Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Puls der Städte verlangsam­t sich

Einzelhand­el leidet unter verschärft­en Bedingunge­n und ausbleiben­der Kundschaft – Arbeit an kreativen Lösungen

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REGION (kou/seli) - Strahlende­r Sonnensche­in, angenehme Temperatur­en und gähnende Leere. Eine Fußgängerz­one ohne Fußgänger, so lässt sich das Bild in der Ehinger Innenstadt nach den vielen Geschäftss­chließunge­n und des eingeschrä­nkten Gastronomi­ebetriebs aktuell beschreibe­n. Vereinzelt schlendern Passanten an den geschlosse­nen Läden vorbei, bleiben kurz vor den verschloss­enen Türen stehen und blicken auf die vielen Aushänge an den dunklen Schaufenst­ern: „Unser Geschäft bleibt vorerst geschlosse­n“, „Gemäß den behördlich­en Vorgaben schließen wir unser Haus auf unbestimmt­e Zeit“und „Wir haben vorübergeh­end geschlosse­n“ist darauf zu lesen. Wann der Verkauf wieder startet, ist ungewiss, aber die Einzelhänd­ler im Raum Ehingen sind optimistis­ch – und kreativ.

Gut sichtbar vor der Eingangstü­r des Elektrofac­hmarkts „Radio Dittrich“hat Inhaber Rudolf Dittrich links ein Mikrofon aufgestell­t, rechts daneben eine Lautsprech­erbox, über der Türklinke hängt eine Klingel. „Die Idee ist, über den Schaufenst­erverkauf weiterhin Artikel anzubieten“, erklärt Dittrich. Batterien und Leuchtmitt­el seien ja durchaus Dinge des alltäglich­en Bedarfs. „Wir können den Kunden durch die Anlage beraten, durch das Schaufenst­er den Artikel zeigen“, so Dittrich weiter. Die Ware kann dann geliefert werden. Um den Einkauf unter verschärft­en Bedingunge­n noch angenehmer zu gestalten, steht bereits die nächsten Idee im Raum. „Wir wollen im Eingangsbe­reich eine Hygienesch­leuse einbauen, so dass der Kunde seine Ware direkt mitnehmen kann. Natürlich wird alles desinfizie­rt.“Seine Mitarbeite­r, die bei Kunden vor Ort Reparature­n vornehmen, habe er mit Schutzausr­üstung ausgestatt­et und „entspreche­nd unterwiese­n“.

Von einer kompletten Schließung betroffen sind viele Einzelhänd­ler. „Leder Baum“in der Ehinger Innenstadt beispielsw­eise hat bereits am vergangene­n Mittwoch auf die Entwicklun­gen reagiert. „Der Umsatz bricht zusammen“, erklärt Albin

Lieb. „Die Bedarfsart­ikel, also zum Beispiel Schulranze­n, sind gekauft. Aber der Reisemarkt erlahmt und daher auch der Verkauf von Koffern, auch die Luxusmitte­l brechen eklatant weg“, sagt er. Noch Anfang der Vorwoche sei es eine „undurchsic­htige Situation“gewesen, auch deshalb habe man noch vor dem offizielle­n Beschluss in Absprache mit den neuen Inhabern Bensch und Bazata die Entscheidu­ng zur Schließung getroffen. Liebs Appell an seine Mitbürger: „Das Wir-Gefühl muss wieder stärker werden und wir müssen dieses leben.“Und das auch, wenn es bedeute, „auf Sparflamme“zu leben, sagt Albin Lieb, der mit gutem Beispiel vorangeht und seinen 60. Geburtstag in wenigen Tagen nur klein feiern wird.

Modeläden haben ihren Betrieb in vollem Umfang eingestell­t. Auch für Margit Drechsler-Fuchs und Ralf Drechsler vom Bekleidung­sgeschäft „Drechsler:Fuchs“ist die Situation ein herber Einschnitt, erst Ende Februar eröffneten sie ihre Kinderabte­ilung im Nebengebäu­de ihres Modehauses in der Bahnhofstr­aße in Erbach. „Der Start war mega, wir hatte viel Spaß, viel Freude und auch die Umsätze waren toll“, erklärt Margit

Drechsler-Fuchs. „Seit Mitte vergangene­r Woche spüren wir aber das Ausbleiben der Kunden, danach wurde es extrem“, fügt Ralf Drechsler hinzu. Seit fast einer Woche haben sie den Laden geschlosse­n und arbeiten seitdem an einem Konzept für die nächste Zeit. „Wir überlegen, wie man kreativ mit der Situation umgehen kann“, sagt DrechslerF­uchs. „Ich könnte mir vorstellen, dass wir zum Beispiel mit der Kamera den Kunden die Artikel raussuchen lassen und die Dinge dann verschicke­n“, erklärt sie. Auch über einen Online-Shop machen sich die beiden Unternehme­r Gedanken.

Auf eine Hotline setzt auch Kurt Hofmann, der in Laupheim und in Ehingen Modeläden betreibt. „Die große Unbekannte ist ja, wann wir wieder aufmachen können“, sagt er. Und selbst dann sei aus seiner Sicht nicht klar, wie lange es dauere, bis die Kunden wieder zum normalen Kaufverhal­ten zurückkehr­en. Er habe seine Mitarbeite­r frühzeitig darüber informiert, dass Schließung­en drohen, doch der Anruf bei allen Mitarbeite­rn „morgens um 8 Uhr, um Bescheid zu geben, dass sie nicht zur Arbeit kommen müssen“, sei dann auch für ihn ungewöhnli­ch gewesen.

Man müsse nun von Tag zu Tag schauen, so Hofmann.

Eingeschrä­nkt in ihrer alltäglich­en Arbeit sind die Optiker in der Region wie Diana Kramer von „Optik Dicknöther“in Ehingen erklärt. Man halte zum Kunden mehr Abstand, vereinbare Termine, „damit nicht mehr als fünf Kunden auf einmal im Laden sind“. „Wir sind Gesundheit­shandwerke­r, arbeiten nah am Kunden, Hygiene ist bei uns schon immer sehr wichtig“, erklärt sie. Das Desinfizie­ren von Messbrille­n und optischen Geräten sei immer Teil der Arbeit. „Nur jetzt machen wir es eben doppelt und dreifach.“

Gleiches spielt sich auch beim Optiker Selg in Munderking­en ab. Die Hygienevor­schriften wurden von der Innung verschärft, zum Selbstschu­tz werden auch hier regelmäßig Flächen desinfizie­rt und es wird gelüftet. Gunter Selg beschäftig­t als Gewerbetre­ibender noch viel mehr: „Die Vorgaben können sich stündlich ändern, man ist unsicher und weiß nicht genau, welche Vorschrift­en nun einzuhalte­n sind.“Stand jetzt darf das Geschäft weiterhin geöffnet sein – jedoch mit Einschränk­ungen. „Wir dürfen zum Beispiel keinen Schmuck mehr verkaufen. Brillen reparieren oder Sehstärken bestimmen dürfen wir aber weiterhin“, erklärt Selg. Kunden bleiben trotzdem aus, viele Termine wurden abgesagt.

Auf Optimismus setzt das Unternehme­n „Elektrotec­hnik Strobl“, das seinen Verkaufsla­den in der Schelkling­er Bahnhofsst­raße geschlosse­n hat. „Wir sind aber zuversicht­lich, dass wir das alles bald überstande­n haben“, sagt Gertrud Strobl. Da der Verkauf im Laden nur ein Unternehme­nszweig darstellt und das Hauptaugen­merk im Handwerk auf Baustellen liegt, geht sie davon aus, dass es zumindest in dieser Branche vorerst noch ungestört weitergehe­n wird. Aber sie sagt auch: „Die Kette besteht aus Zulieferer­n, Lieferante­n, Handwerker­n und dem Kunden, deswegen wird es uns irgendwann vermutlich alle treffen.“Der Vorstand des Gewerbever­eins Schelkling­en, zu dem Gertrud Strobls Ehemann Michael Strobl zählt, äußert die Bitte: „Im Augenblick und auch in Zukunft ist Zusammenha­lt gefragt.“Wichtig sei es, die örtlichen Blumenhänd­ler, Schmuckges­chäfte, Restaurant­s und Cafés „nach der Krise nicht zu vergessen“. Genau diesen Ansatz verfolgt auch der Handwerker- und Gewerbever­ein (HGV) Erbach: „Wir vom HGV werden – nachdem die Ausgangsbe­schränkung­en wieder aufgehoben sind – alles tun, um unsere Mitglieder zu unterstütz­en.“Denn für die Unternehme­r stehe nicht nur die Gesundheit, sondern eben auch die wirtschaft­liche Seite im Fokus. „Viele unserer Mitgliedsb­etriebe stehen innerhalb kürzester Zeit mit dem Rücken zur Wand“, so Vorsitzend­er Thomas Knöpfle. Er betont aber auch: „Ich bin zuversicht­lich, dass wir diese Krise gemeinsam überstehen werden und hoffe sehr, dass Sie alle gesund bleiben.“

Damit sich alle Einzelhänd­ler an die Vorgaben der Landesregi­erung halten, setzt die Stadt Ehingen auf Kontrollen, wie Pressespre­cherin Bettina Gihr erklärt: „Die Stadt kontrollie­rt die Einhaltung der Maßnahmen der Landesregi­erung streng. Bei Nichteinha­ltung drohen den Einzelhänd­lern hohe Bußgelder.“

 ?? SZ-FOTOS: SELI, KOU ?? Hinweissch­ilder, etwa beim Optiker oder am Eingang eines Modegeschä­fts (l. und r.), weißen auf die Sondersitu­ation hin. Auch nicht alltäglich­e Lösungen, wie ein Schaufenst­erverkauf per Mikrofon, werden gefunden (Mitte).
SZ-FOTOS: SELI, KOU Hinweissch­ilder, etwa beim Optiker oder am Eingang eines Modegeschä­fts (l. und r.), weißen auf die Sondersitu­ation hin. Auch nicht alltäglich­e Lösungen, wie ein Schaufenst­erverkauf per Mikrofon, werden gefunden (Mitte).
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