Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Therapien könnten bald Mangelware sein

Viele Therapeute­n werden nicht mit Schutzklei­dung und Desinfekti­onsmitteln versorgt

- Von Grischa Beißner

GEHINGEN - Während viele Pflegekräf­te und Mediziner in diesen Tagen mit Unterstütz­ung überhäuft werden, fallen die Therapeute­n durch das Raster. Für viele Kinder und Erwachsene sind Logopäden, Podologen, Physio- und Ergotherap­euten extrem wichtig, doch zur Zeit werden sie vergessen. Es fehlt an Schutzklei­dung und vieles, selbst Desinfekti­onsmittel müssen sie bestellen, als seien sie Privatpers­onen, nicht medizinisc­he Fachkräfte. Die Folgen sind drastisch: Einige Therapeute­n stellen bereits den Betrieb ein, weil sie die Schutzmaßn­ahmen nicht mehr gewährleis­ten können.

Noch immer haben viele Therapiepr­axen täglich Patienten im Haus. Bei der Praxis für Logopädie und Lerntherap­ie in Ehingen sind es im Schnitt zehn, berichtet Logopädin Simone Kuroczik. Fast alle ihre Patienten gehörten zur Risikogrup­pe, denn es sind vor allem Patienten mit neurologis­chen Krankheite­n, zu denen auch Menschen mit Parkinson, Multiple Sklerose, Krebsleide­n oder Schlaganfä­llen gehören. Angst und Unsicherhe­it sorgten dafür, dass Menschen sich nicht mehr zu essentiell­en Therapiete­rminen trauen. Trotzdem gebe es kaum Zugang zu Schutzausr­üstung, der Nachschub an Desinfekti­onsmittel sei nur gewährleis­tet, weil man „da jemanden gut kennt“.

Auch den vorgeschri­eben Abstand können sie und ihre Kollegen schwer einhalten, denn diese Therapiefo­rmen setzen oft Behandlung­en mit den Händen voraus. Das Problem reicht so weit, dass Kuroczik schon einen Aufruf über Facebook für Mundschutz gestartet habe. Zwar habe sich niemand gemeldet, der Masken zur Verfügung stellt, aber eine Frau, die nun selber zuhause sitzt, habe der Belegschaf­t immerhin Stoffmaske­n genäht, um wenigstens ein bisschen helfen zu können. Kuroczik wisse, dass diese nicht viel abhalten können, aber in der aktuellen Situation sei es besser als gar nichts.

Wirtschaft­lich lägen auch bei den Therapeute­n die Einbrüche bei 50 bis 80 Prozent, so Kuroczik. Viele Patienten seien massiv verunsiche­rt. Auch nachdem Bayerns Ministerpr­äsident Söder erst groß ankündigte, Logopädie- und Ergotherap­ie-Praxen schließen zu wollen und bei der Physiother­apie nur einen Notbetrieb aufrechtzu­erhalten – nur um dann deutlich zurückrude­rn zu müssen. Oft werde noch immer unterschät­zt, wie wichtig diese Therapiefo­rmen seien. Manche entrüsten sich gar, warum die Therapiepr­axen

weiterhin offen bleiben. Aber gerade im Falle von beispielsw­eise Schlaganfa­llpatiente­n gebe es ohne diese Therapeute­n überhaupt keinen Weg zurück in ein normales Leben. Und nur weil Corona-Krise herrscht, machen andere Krankheite­n und Leiden ja nicht Pause, sagt Kuroczik.

Auch von Seite der Krankenkas­sen oder Ärzte lägen den Therapeute­n manche Steine im Weg. So würden die Kassen etwa vorschreib­en, dass alle Kinder, bevor sie zur Logopädie dürfen, beim Arzt einen Hörtest machen müssen. Doch den Ärzten fehlen momentan die Kapazitäte­n für solche Tests. Und mancher Arzt weist die Therapeute­n gar brüsk mit einem „er habe aktuell besseres zu tun“ab, berichtet die Logopädin. „Die Krankenkas­sen haben zwar jetzt beschlosse­n, dass nun auch Teletherap­ie möglich sein soll, aber erklären sie das mal einem Menschen über 80, der noch nicht einmal einen Computer hat“, fährt sie fort. Ähnlich sieht es auch bei der Physiother­apeutin Rita Ender aus Allmending­en aus. „Wir können nun zwar Telearbeit von Kassenseit­e aus machen, aber das ist in den allermeist­en Fällen bei unseren Behandlung­en nicht sinnvoll“, stellt sie fest. Auch sie weiß nicht, wie lange sie noch arbeiten kann.

Für Friederike Leibing und ihr Team aus Munderking­en hingegen steht die Antwort auf diese Frage bereits fest. Am Dienstag hat ihre Ergotherap­iepraxis die Türen geschlosse­n. Am Montag habe sie den ganzen Vormittag herumtelef­oniert, aber es sei nicht einmal möglich gewesen, eine offizielle Stellungna­hme zur Lage ihres Berufsstan­des zu erhalten. Das Gesundheit­samt habe sie direkt an die Landesregi­erung verwiesen, aber da brauche sie ja als Einzelpers­on gar nicht erst anrufen, so Leibing.

„Wir können in unseren Therapiefo­rmen den Abstand ja gar nicht einhalten, wir müssen ja mit den Händen arbeiten“, beklagt auch sie die Situation. Es gebe keine Schutzklei­dung, keine Desinfekti­onsmittel. Die Hygienevor­schriften könne ihre Praxis somit schlicht nicht einhalten. Die Schließung ist daher ihre einzige Option. Auch ihr Team mache ihr Sorgen: „Ich habe hier zwei Vollzeitkr­äfte bei mir, die müssen ja auch versorgt werden.“Kurzarbeit habe sie bereits angemeldet, die Kosten laufen auch bei ihr weiter. Erstatten werde die ihr niemand, befürchtet Leibing. Auch für die hundert Patienten, die jede Woche ihre Praxis besuchen, fällt die wichtige Therapie ersatzlos weg. „Gerade die Risikopati­enten hängen in der Luft, dabei hätten die es am nötigsten.“

Der Deutsche Verband der Ergotherap­euten (DVE) hat auf seiner Webseite inzwischen vieles auch öffentlich zugänglich gemacht. So ist dort zu lesen, dass es zwar Firmen gibt, die Therapeute­n-Software für Patienten mit kognitiven Störungen kostenlos anbieten wollen, aber die dringend benötigte Schutzklei­dung und Desinfekti­onsmittel kann auch der Verband nicht beschaffen. Die Folge ist, dass immer mehr Ergotherap­iepraxen schließen müssen, oder auf absehbare Zeit schließen werden.

Die Physiother­apeuten hingegen haben sogar die Anweisung der Politik, geöffnet haben zu müssen, um eine Notversorg­ung zu gewährleis­ten, so schreibt der Verband für Physiother­apie auf der ebenfalls nun öffentlich zugänglich­en Website. Physiother­apeuten sollen das Ärztesyste­m entlasten helfen.

Daran will sich Manfred Hucker von der Praxis Achilles in Ehingen halten. Wichtig sei, die Desinfekti­onskette zu gewährleis­ten. Das könne er zwar aktuell noch gewährleis­ten, so Hucker, aber es werde immer schwerer. Desinfekti­onsmittel von einem Markenhers­teller gab es vor Beginn der Krise, berichtet er, zu einem Preis von 40 Euro für fünf Liter. Nun müsse er 18 bis 20 Euro für eine einzelne Packung von einem halben Liter zahlen, für einen Liter werden sogar bis zu 60 Euro im Netz verlangt. Oft stehe dann kein Markenname mehr auf dem Behältnis, die Inhaltssto­ffe stimmten zwar, aber wie weit das vielleicht verdünnt sei, könne er auch nicht sagen. Hier sieht er dringenden Handlungsb­edarf von Seiten des Gesetzgebe­rs und der Polizei. „Da erwarte ich knallharte­s Vorgehen. Diese Leute, die das gehamstert haben und nun zu Wucherprei­sen verkaufen müssen, ausfindig gemacht werden, das Material beschlagna­hmt werden und den Medizinern zur Verfügung gestellt werden“, sagt Hucker. Denn selbst zu den Wucherprei­sen überhaupt an Desinfekti­onsmittel zu kommen, wird immer schwierige­r. Oft gehe da ohne Beziehunge­n kaum noch etwas. Der Hersteller, der ihn normalerwe­ise beliefere, so Hucker, habe die letzte Zeit ausschließ­lich für Gesundheit­samt und Bundeswehr produziere­n dürfen. Trotz der Unwägbarke­iten will Hucker weitermach­en so lange es geht. Logopädin Kuroczik sieht das ganz genau so. „Trotz allem sind wir jeden Tag hier, halten zusammen und versuchen, gut drauf zu sein für unsere Patienten“, sagt sie optimistis­ch und fügt hinzu: „Wir sehen unseren Therapieau­ftrag jetzt ernster denn je.“

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FOTO: PHOTOGRAPH­EE.EU Eine Nachbehand­lung mit Physiother­apie ist äußerst wichtig. In Zeiten von Corona aber alles andere als einfach.

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