Zahnärzte der Region organisieren sich
Während auf offizielle Maßnahmen gewartet wird, gibt es einen Notfallplan in Eigenregie
GEHINGEN - Es fällt manchem Zahnarzt dieser Tage schwer, die eigene Situation ohne Kraftausdrücke zu beschreiben. Denn sie haben mit teils widersprüchlichen, teils fehlenden Informationen aus Politik und Behörden zu kämpfen. Auch die wirtschaftliche Lage bleibt weiter unsicher. Allerdings sind sie zusammen mit den Hals-Nasen-Ohrenärzten auch diejenigen, die am allernächsten zu dem Ort sind, an dem sich der Virus verbreitet: dem Rachen.
„Es ist natürlich schon ein mulmiges Gefühl“, so beschreibt es Christian Domsch aus Ehingen. Grundsätzlich habe er als Zahnarzt einen „Sicherstellungsauftrag“, Patienten mit Schmerzen zu behandeln. Doch von einem ordentlichen, geregelten Praxisbetrieb könne aktuell nicht die Rede sein. Aufschiebbare Termine werden nach hinten geschoben, 90 Prozent der Patienten haben von sich aus abgesagt. Die Praxis sei quasi leer, er habe sicherheitshalber Kurzarbeit beantragt. Er vermutet, dass das vielen anderen Kollegen auch so ergehen wird. Von der Obrigkeit fühle er sich allein gelassen, berichtet Domsch. Natürlich sei es in dieser Lage für alle schwer, aber es fehle an sicheren Informationen und an stichhaltigen Notfallplänen.
Aktuell geht es aber allen in der Praxis gut, alle sind gesund. Mit Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln ist seine Praxis aktuell noch gut versorgt. Allerdings bereite ihm die Nachschubsituation etwas Sorgen. Denn sein Lieferant gab ihm zu verstehen, dass er frühestens Ende der zweiten Aprilwoche sagen könne, ob und, wenn ja, wie viel Handdesinfektionsmittel an die Praxis geliefert werden könne. Und wenn man direkt selbst versuche, irgendwo zu bestellen, seien die Preise extrem hoch.
Was Domsch umtreibt, ist auch die Frage, was zu tun sei, wenn ein mit dem Coronavirus infizierter Patient mit einem Notfall in die Praxis käme. Dann bräuchte es nicht nur Desinfektionsmittel, sondern auch Schutzanzüge. Diese aber gebe es aktuell in den Praxen nicht. Auf der Webseite der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) ist zwar die Rede davon, dass dafür Kontingente geschaffen werden sollen, aber dort findet sich lediglich die Aussage, sie gehe „davon aus, dass erste Lieferungen mit Schutzausrüstung […] in den nächsten Tagen bei den KZVen der Länder eintreffen werden, die dann wiederum die Verteilung und Auslieferung an die Praxen organisieren“. Aber ob diese Lieferungen auch für Quarantäne-Patienten ausreichend sein werden und wann genau sie eintreffen werden, darüber gebe es noch keine Angaben. Um dieser Situation zu begegnen, haben sich die ohnehin gut vernetzten Zahnärzte der Region nun auch online zusammengeschlossen und besprechen in gemeinsamen Telekonferenzen ihr Handeln. Federführend ist hier der Ehinger Zahnarzt Dr. Michael Kugler. Die besondere Problematik bei der Behandlung von Patienten für Zahnärzte ist, dass sich durch die Natur der Behandlung, mit Wasser und Druckluft, im Rachenraum ein Aerosol bilde, das auch längere Zeit dann in der Luft hängen könne. Ob sich der Erreger im Zweifelsfall dadurch verbreiten könne, sei nicht geklärt.
Auch Kugler sieht das Gesundheitsamt in der Pflicht, für Klarheit zu sorgen, besonders was die Umgangsweise mit Quarantänepatienten angeht. Bei denen stelle sich dann die Frage: Was konkret ist dann ein „Notfall“? Ist dann bereits ein abgebrochener Zahn ein Notfall, oder erst, wenn dieser auch schmerzt? All diese Fragen und wie man dann behandele, gelte es sicher zu klären, meint Kugler. Erweiterte Schutzmaßnahmen, wie sie ein solcher Fall erfordern würde, seien schwer zu kriegen. „Wir hängen gerade in der Luft“, erklärt er. Aber die gute Vernetzung der Zahnärzte der Region untereinander ist dabei ein entscheidender Vorteil. Die schon vor der Krise regelmäßig stattfindenden Treffen werden nun eben zwei Mal die Woche online abgehalten – mit sichtbaren Ergebnissen.
Klar sei eine Pandemie etwas Einzigartiges und eine schwierige Herausforderung und dass da auch die offizielle Seite Zeit brauche, verstehe er, so Kugler. „Aber wir fühlen uns aktuell sehr allein.“Es solle einen landesweiten Notfalldienst geben, doch auch der sei erst im Aufbau. Auch das ist ein Grund, warum er sich mit den anderen Zahnärzten solidarisiert und organisiert: damit wenigstens für die Region ein gemeinsamer Plan besteht. Während sie von offizieller Seite noch auf einen Plan warten, haben die Zahnärzte nun erst einmal untereinander einen gesicherten Notdienst eingerichtet. Mit einem Vertretungsdienst untereinander sei die zahnärztliche Versorgung in der Region sicher. „Notfallpatienten brauchen sich nicht zu scheuen, zu uns zu kommen“, berichtet Kugler. Und damit – während noch immer auf Maßnahmen von oben gewartet wird – nicht jeder allein „rumwurschtelt“, ist der gegenseitige Austausch sehr wichtig.
Auch in seiner Praxis seien Routinebehandlungen vorerst eingestellt. Was verschoben werden kann, das wird verschoben, aber was nötig ist, das werde auch gemacht. „Zahnärzte betreiben seit langer Zeit schon routinemäßig effektiven Infektionsschutz“, so Kugler, „wir haben da sehr viel Erfahrung.“Nach jedem Patienten werde zudem gelüftet und desinfiziert.
Das Restrisiko bestehe vor allem für ihn und seine Mitarbeiter. Deshalb laufe es bei ihm auch aktuell so, dass die Patienten einzeln kommen, ins Behandlungszimmer gebracht werden und dann auch nach der Behandlung direkt wieder gehen müssten. Es könne zwar mal vorkommen, dass eine oder zwei Personen im Wartezimmer sitzen, aber dann unter Einhaltung der verordneten Kontaktsperre. Das nehme man sehr ernst. Auch müsse jeder, der komme, erst einmal die Hände waschen und sich desinfizieren, zur zusätzlichen Sicherheit. Erkältungspatienten bekämen in seiner Praxis auch automatisch einen Mundschutz, aber diese blieben aktuell ohnehin von sich aus daheim.
Ähnliches hört man auch aus der Praxis von Dr. Warwass aus Munderkingen. Man sei mit Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln gut versorgt, aber die Vorgaben, die Pläne von oben fehlen. Auch hier läuft der Betrieb weiter, auch hier wird verschoben, was verschiebbar ist, auch hier werden Schmerzfälle natürlich behandelt. Auch sei man in der Praxis ermutigt dadurch, wie vernünftig die Patienten aktuell mit der Situation umgehen.
Auch bei Dr. Siegfried Schick aus Ehingen stellt sich die Situation ähnlich dar wie bei seinen Kollegen. „Wir Zahnärzte fühlen uns von der Politik und Standesvertretern in dieser Pandemie ziemlich allein gelassen. Wir sind mit unserem Personal in der Zahnarztpraxis mit Hygienemaßnahmen schon immer vertraut. Aber in dieser Situation fehlen uns vor allem Schutzanzüge und genügend FFP2Masken, um uns und unsere Mitarbeiter vor infektiösen Patienten zu schützen“, erklärt Schick. Auch er betont: „Die Ansteckungsgefahr für Patienten ist mit Mundschutz beim Praxispersonal nicht sehr groß. Deshalb können Notfallpatienten unbesorgt die Praxen aufsuchen. Wir werden aber alle nicht zwingend notwendigen Behandlungen mindestens so weit verschieben, solange die Beschränkungen des Kontakts in unserer Gesellschaft, also zur Zeit bis Ende Osterferien, bestehen. Dies ist von der KZV empfohlen und alle Zahnärzte sollten sich solidarisch zur Viruseindämmung daran halten.“
Was problematisch bleibt, das ist somit vor allem die widersprüchliche Informationslage. Nicht nur, was gesundheitliche Maßnahmen oder Behandlungssituationen angeht, sondern auch die wirtschaftliche Situation. Ob und wie Zahnarztpraxen unter den Rettungsschirm fallen, das sei nicht sicher. Manche Zahnärzte bekommen die Information, dass auch sie darunterfallen, manchen wird das Gegenteil erzählt. Vor allem aber der Mangel an klaren Plänen seitens der Behörden und die mangelnde Unterstützung bei der Beschaffung von Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln macht den Zahnärzten zu schaffen. Dennoch sehen die meisten sich für die nächsten Wochen gut gerüstet.