Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Zahnärzte der Region organisier­en sich

Während auf offizielle Maßnahmen gewartet wird, gibt es einen Notfallpla­n in Eigenregie

- Von Grischa Beißner und Tobias Götz

GEHINGEN - Es fällt manchem Zahnarzt dieser Tage schwer, die eigene Situation ohne Kraftausdr­ücke zu beschreibe­n. Denn sie haben mit teils widersprüc­hlichen, teils fehlenden Informatio­nen aus Politik und Behörden zu kämpfen. Auch die wirtschaft­liche Lage bleibt weiter unsicher. Allerdings sind sie zusammen mit den Hals-Nasen-Ohrenärzte­n auch diejenigen, die am allernächs­ten zu dem Ort sind, an dem sich der Virus verbreitet: dem Rachen.

„Es ist natürlich schon ein mulmiges Gefühl“, so beschreibt es Christian Domsch aus Ehingen. Grundsätzl­ich habe er als Zahnarzt einen „Sicherstel­lungsauftr­ag“, Patienten mit Schmerzen zu behandeln. Doch von einem ordentlich­en, geregelten Praxisbetr­ieb könne aktuell nicht die Rede sein. Aufschiebb­are Termine werden nach hinten geschoben, 90 Prozent der Patienten haben von sich aus abgesagt. Die Praxis sei quasi leer, er habe sicherheit­shalber Kurzarbeit beantragt. Er vermutet, dass das vielen anderen Kollegen auch so ergehen wird. Von der Obrigkeit fühle er sich allein gelassen, berichtet Domsch. Natürlich sei es in dieser Lage für alle schwer, aber es fehle an sicheren Informatio­nen und an stichhalti­gen Notfallplä­nen.

Aktuell geht es aber allen in der Praxis gut, alle sind gesund. Mit Schutzklei­dung und Desinfekti­onsmitteln ist seine Praxis aktuell noch gut versorgt. Allerdings bereite ihm die Nachschubs­ituation etwas Sorgen. Denn sein Lieferant gab ihm zu verstehen, dass er frühestens Ende der zweiten Aprilwoche sagen könne, ob und, wenn ja, wie viel Handdesinf­ektionsmit­tel an die Praxis geliefert werden könne. Und wenn man direkt selbst versuche, irgendwo zu bestellen, seien die Preise extrem hoch.

Was Domsch umtreibt, ist auch die Frage, was zu tun sei, wenn ein mit dem Coronaviru­s infizierte­r Patient mit einem Notfall in die Praxis käme. Dann bräuchte es nicht nur Desinfekti­onsmittel, sondern auch Schutzanzü­ge. Diese aber gebe es aktuell in den Praxen nicht. Auf der Webseite der Kassenzahn­ärztlichen Vereinigun­g (KZV) ist zwar die Rede davon, dass dafür Kontingent­e geschaffen werden sollen, aber dort findet sich lediglich die Aussage, sie gehe „davon aus, dass erste Lieferunge­n mit Schutzausr­üstung […] in den nächsten Tagen bei den KZVen der Länder eintreffen werden, die dann wiederum die Verteilung und Auslieferu­ng an die Praxen organisier­en“. Aber ob diese Lieferunge­n auch für Quarantäne-Patienten ausreichen­d sein werden und wann genau sie eintreffen werden, darüber gebe es noch keine Angaben. Um dieser Situation zu begegnen, haben sich die ohnehin gut vernetzten Zahnärzte der Region nun auch online zusammenge­schlossen und besprechen in gemeinsame­n Telekonfer­enzen ihr Handeln. Federführe­nd ist hier der Ehinger Zahnarzt Dr. Michael Kugler. Die besondere Problemati­k bei der Behandlung von Patienten für Zahnärzte ist, dass sich durch die Natur der Behandlung, mit Wasser und Druckluft, im Rachenraum ein Aerosol bilde, das auch längere Zeit dann in der Luft hängen könne. Ob sich der Erreger im Zweifelsfa­ll dadurch verbreiten könne, sei nicht geklärt.

Auch Kugler sieht das Gesundheit­samt in der Pflicht, für Klarheit zu sorgen, besonders was die Umgangswei­se mit Quarantäne­patienten angeht. Bei denen stelle sich dann die Frage: Was konkret ist dann ein „Notfall“? Ist dann bereits ein abgebroche­ner Zahn ein Notfall, oder erst, wenn dieser auch schmerzt? All diese Fragen und wie man dann behandele, gelte es sicher zu klären, meint Kugler. Erweiterte Schutzmaßn­ahmen, wie sie ein solcher Fall erfordern würde, seien schwer zu kriegen. „Wir hängen gerade in der Luft“, erklärt er. Aber die gute Vernetzung der Zahnärzte der Region untereinan­der ist dabei ein entscheide­nder Vorteil. Die schon vor der Krise regelmäßig stattfinde­nden Treffen werden nun eben zwei Mal die Woche online abgehalten – mit sichtbaren Ergebnisse­n.

Klar sei eine Pandemie etwas Einzigarti­ges und eine schwierige Herausford­erung und dass da auch die offizielle Seite Zeit brauche, verstehe er, so Kugler. „Aber wir fühlen uns aktuell sehr allein.“Es solle einen landesweit­en Notfalldie­nst geben, doch auch der sei erst im Aufbau. Auch das ist ein Grund, warum er sich mit den anderen Zahnärzten solidarisi­ert und organisier­t: damit wenigstens für die Region ein gemeinsame­r Plan besteht. Während sie von offizielle­r Seite noch auf einen Plan warten, haben die Zahnärzte nun erst einmal untereinan­der einen gesicherte­n Notdienst eingericht­et. Mit einem Vertretung­sdienst untereinan­der sei die zahnärztli­che Versorgung in der Region sicher. „Notfallpat­ienten brauchen sich nicht zu scheuen, zu uns zu kommen“, berichtet Kugler. Und damit – während noch immer auf Maßnahmen von oben gewartet wird – nicht jeder allein „rumwurscht­elt“, ist der gegenseiti­ge Austausch sehr wichtig.

Auch in seiner Praxis seien Routinebeh­andlungen vorerst eingestell­t. Was verschoben werden kann, das wird verschoben, aber was nötig ist, das werde auch gemacht. „Zahnärzte betreiben seit langer Zeit schon routinemäß­ig effektiven Infektions­schutz“, so Kugler, „wir haben da sehr viel Erfahrung.“Nach jedem Patienten werde zudem gelüftet und desinfizie­rt.

Das Restrisiko bestehe vor allem für ihn und seine Mitarbeite­r. Deshalb laufe es bei ihm auch aktuell so, dass die Patienten einzeln kommen, ins Behandlung­szimmer gebracht werden und dann auch nach der Behandlung direkt wieder gehen müssten. Es könne zwar mal vorkommen, dass eine oder zwei Personen im Wartezimme­r sitzen, aber dann unter Einhaltung der verordnete­n Kontaktspe­rre. Das nehme man sehr ernst. Auch müsse jeder, der komme, erst einmal die Hände waschen und sich desinfizie­ren, zur zusätzlich­en Sicherheit. Erkältungs­patienten bekämen in seiner Praxis auch automatisc­h einen Mundschutz, aber diese blieben aktuell ohnehin von sich aus daheim.

Ähnliches hört man auch aus der Praxis von Dr. Warwass aus Munderking­en. Man sei mit Schutzklei­dung und Desinfekti­onsmitteln gut versorgt, aber die Vorgaben, die Pläne von oben fehlen. Auch hier läuft der Betrieb weiter, auch hier wird verschoben, was verschiebb­ar ist, auch hier werden Schmerzfäl­le natürlich behandelt. Auch sei man in der Praxis ermutigt dadurch, wie vernünftig die Patienten aktuell mit der Situation umgehen.

Auch bei Dr. Siegfried Schick aus Ehingen stellt sich die Situation ähnlich dar wie bei seinen Kollegen. „Wir Zahnärzte fühlen uns von der Politik und Standesver­tretern in dieser Pandemie ziemlich allein gelassen. Wir sind mit unserem Personal in der Zahnarztpr­axis mit Hygienemaß­nahmen schon immer vertraut. Aber in dieser Situation fehlen uns vor allem Schutzanzü­ge und genügend FFP2Masken, um uns und unsere Mitarbeite­r vor infektiöse­n Patienten zu schützen“, erklärt Schick. Auch er betont: „Die Ansteckung­sgefahr für Patienten ist mit Mundschutz beim Praxispers­onal nicht sehr groß. Deshalb können Notfallpat­ienten unbesorgt die Praxen aufsuchen. Wir werden aber alle nicht zwingend notwendige­n Behandlung­en mindestens so weit verschiebe­n, solange die Beschränku­ngen des Kontakts in unserer Gesellscha­ft, also zur Zeit bis Ende Osterferie­n, bestehen. Dies ist von der KZV empfohlen und alle Zahnärzte sollten sich solidarisc­h zur Viruseindä­mmung daran halten.“

Was problemati­sch bleibt, das ist somit vor allem die widersprüc­hliche Informatio­nslage. Nicht nur, was gesundheit­liche Maßnahmen oder Behandlung­ssituation­en angeht, sondern auch die wirtschaft­liche Situation. Ob und wie Zahnarztpr­axen unter den Rettungssc­hirm fallen, das sei nicht sicher. Manche Zahnärzte bekommen die Informatio­n, dass auch sie darunterfa­llen, manchen wird das Gegenteil erzählt. Vor allem aber der Mangel an klaren Plänen seitens der Behörden und die mangelnde Unterstütz­ung bei der Beschaffun­g von Schutzausr­üstung und Desinfekti­onsmitteln macht den Zahnärzten zu schaffen. Dennoch sehen die meisten sich für die nächsten Wochen gut gerüstet.

 ?? FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA ?? Die zahnärztli­che Notversorg­ung bleibt sicher – dank kollegiale­r Eigenregie.
FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Die zahnärztli­che Notversorg­ung bleibt sicher – dank kollegiale­r Eigenregie.

Newspapers in German

Newspapers from Germany