Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Neue Erkenntnis­se im Morphin-Fall

Verdacht gegen Ärztinnen an Uniklinik „abgeschwäc­ht“– Sie dürfen wieder arbeiten

- Von Michael Kroha

GULM - Ärzte, Pfleger und Krankensch­western in den Kliniken der Region erfahren dieser Tage, in denen das Coronaviru­s die Nachrichte­nwelt bestimmt, reichlich Anerkennun­g. Am Universitä­tsklinikum Ulm war die Gemütslage vor wenigen Wochen noch eine ganz andere. Der Morphin-Skandal, die mutmaßlich­e Vergiftung von fünf Babys auf einer Überwachun­gsstation der Kinderklin­ik am Michelsber­g, erschütter­te nicht nur die Klinik und deren Mitarbeite­r, sondern die gesamte Region.

Der Vorfall hinterließ Spuren. Vertrauen ging verloren, nicht nur in die Klinik. Deren Leitung sowie das Personal standen unter enormem Druck. Mitarbeite­r waren angehalten, mit niemandem darüber zu sprechen und jeden, der sich auf der besagten Station merkwürdig verhalten würde, zu melden.

Dass dem Landeskrim­inalamt (LKA) Baden-Württember­g bei den Ermittlung­en eine Panne im Labor unterlief, ließ dann nicht mehr nur Zweifel am Vorgehen der Klinik, sondern auch an Behörden aufkommen. Und so sind auch weiterhin einige Fragen offen.

Eine 28 Jahre alte Krankensch­wester geriet anfangs unter dringenden Tatverdach­t, den fünf Säuglingen das Morphin in den Morgenstun­den des 20. Dezember verabreich­t zu haben. In ihrem Spind wurde bei Durchsuchu­ngen eine Spritze mit einem vermeintli­chen Gemisch aus Muttermilc­h und dem Betäubungs­mittel Morphin gefunden. Die Frau saß zeitweise in Untersuchu­ngshaft. Zu Unrecht, wie sich wenige Tage später herausstel­lte. Bei den Untersuchu­ngen seitens des LKA kam es zu Verunreini­gungen der Proben. Die Staatsanwa­ltschaft entschuldi­gte sich bei der Frau und deren Familie. Im Umfeld der Mitarbeite­r war gar von Mobbing die Rede.

Die 28-Jährige gehört aber weiterhin zum Kreis von insgesamt sechs Beschuldig­ten: vier Pflegerinn­en und zwei Ärztinnen. Alle hatten den Vorwurf bestritten, mit der Vergiftung der Babys etwas zu tun zu haben.

Doch wie ist nun der aktuelle Stand der Ermittlung­en in diesem hochbrisan­ten Fall? Wie beeinfluss­t die Corona-Krise die Aufklärung der Tat? Rückt der Vorfall sowie dessen Aufarbeitu­ng angesichts der aktuellen Gegebenhei­ten gar in den

Hintergrun­d, auch an der Klinik? „Da können wir keine Rücksicht nehmen“, sagt Oberstaats­anwalt Michael Bischofber­ger im Gespräch mit Schwäbisch­e.de. Die Ermittlung­en würden weiterlauf­en, so der Behördensp­recher. Mittlerwei­le, so erklärt Peter Staudenmai­er, Oberstaats­anwalt und Sachbearbe­iter des Morphin-Falls, sei nachvollzi­ehbar, wer sich wann und wo auf der besagten Station aufgehalte­n habe – und wer nicht. Möglich sei das durch unterschie­dliche technische Indikatore­n wie beispielsw­eise die Zugangsdat­en der Türen, aber auch durch ein Monitoring-System an den Säuglingen. Um die Station betreten zu können, müsse das Personal die Türen mithilfe eines Chips öffnen.

Durch das Abgleichen der vorliegend­en Daten seien die Ermittler zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Tatverdach­t gegen die zwei Ärztinnen, die in der besagten Nacht Dienst hatten, „abgeschwäc­ht“habe. Zu dem Zeitpunkt, als bei den fünf Babys die Symptome einer Atemnot auftraten und die Kinder in Lebensgefa­hr gerieten, seien diese nicht auf der Station gewesen, erklärt der Oberstaats­anwalt.

Das Universitä­tsklinikum Ulm hat darauf bereits reagiert. Die Klinik stehe weiterhin in engem Austausch mit der Staatsanwa­ltschaft Ulm, heißt es auf Anfrage. Der „abgeschwäc­hte“Tatverdach­t bei den beiden Ärztinnen wurde zum Anlass genommen, deren Freistellu­ng aufzuheben. Die Ermittler hätten keine Bedenken geäußert, so die Klinik. Durch eine längere Freistellu­ng wäre zudem die Facharztau­sbildung der beiden Mitarbeite­rinnen gefährdet gewesen. Die Frage, inwiefern die weiteren vier beschuldig­ten Pflegerinn­en weiterhin vom Dienst freigestel­lt sind und wo die beiden Ärztinnen nun arbeiten, ließ die Klinik bislang unbeantwor­tet.

Sollte die Staatsanwa­ltschaft aber die Ermittlung­en gegen die Betroffene­n einstellen, so seien die Mitarbeite­r „vollständi­g rehabiliti­ert und es bestünde kein Grund für das Universitä­tsklinikum Ulm, die Mitarbeite­rinnen weiter freizustel­len“, heißt es. Auch wenn der Tatverdach­t abgeschwäc­ht sei, geht Oberstaats­anwalt Peter Staudenmai­er bei seinen Ermittlung­en wegen gefährlich­er Körperverl­etzung und versuchten Totschlags weiterhin von insgesamt sechs Beschuldig­ten aus – und stellt klar: „Wir ermitteln weiter wegen einer Straftat.“

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