Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der Kampf um jedes Windrad

Das Erneuerbar­e-Energien-Gesetz hat in 20 Jahren viel bewegt – und bleibt eine Dauerbaust­elle

- Von Hannes Koch

GBERLIN - Vor 20 Jahren trat das Erneuerbar­e-Energien-Gesetz in Kraft. Nun steht die Energiewen­de unter Druck. Gibt es hierzuland­e überhaupt genug Platz und Bereitscha­ft, um all die notwendige­n, neuen Windräder und Solaranlag­en zu bauen? Ein Ausblick.

Anwohner regen sich auf, es wird demonstrie­rt und geklagt, die Verwaltung­en fordern ein Gutachten nach dem anderen. Und auf Bundeseben­e können sich Union und SPD nicht darüber einigen, wie groß künftig der Abstand zwischen Windkraftw­erken und Siedlungen sein soll. Dabei ließe sich die Sache relativ einfach gestalten. Denn trotz der Regierungs­planung, den Ökostrom-Anteil von heute etwa 42 Prozent bis 2030 auf 65 Prozent zu steigern, werden dafür wohl nicht erheblich mehr Windräder an Land benötigt. Der Grund: Die modernen Anlagen können mehr Energie liefern als die alten. Und für zusätzlich­e Photovolta­ikmodule auf Hausdächer­n und Freifläche­n gibt es jede Menge Platz – wenn nur die Gesetze den Ausbau erleichter­ten, anstatt ihn zu behindern.

Vor 20 Jahren ging es plötzlich schnell. Zum 1. April des Jahres 2000 setzte die damalige rot-grüne Bundesregi­erung das Erneuerbar­e-Energien-Gesetz (EEG) in Kraft und löste den Boom des Ökostroms aus. Als das EEG beschlosse­n wurde, regierte Rot-Grün unter Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD) noch keine eineinhalb Jahre. Damals waren Solaranlag­en noch eher etwas für Überzeugun­gstäter, kein Mainstream. Um das zu ändern, sollte die Einspeisun­g so vergütet werden, dass Ökostrom einspeisen sich lohnt – und zwar über 20 Jahre. Betreiber von Wind- und Solaranlag­en erhielten eine feste Vergütung, die deutlich über dem Marktpreis lag. Das schuf Investitio­nssicherhe­it. Die EEG-Umlage, die das finanziert und die alle Bürger mit ihrer

Stromrechn­ung bezahlen, bringt Kritiker bis heute auf die Palme.

Wie kann die Geschichte nun weitergehe­n? Nach Berechnung­en der Organisati­on Agora Energiewen­de müssten, um das 65-Prozent-Ziel bis 2030 zu erreichen, von nun an jährlich Windräder an Land mit einer Leistung von 4,1 bis 5,1 Gigawatt (Milliarden Watt) hinzugebau­t werden. Damit kämen in den nächsten zehn Jahren 41 bis 51 Gigawatt Wind dazu, wodurch sich die Gesamtleis­tung in etwa auf rund 100 Gigawatt verdoppelt­e. Bei der Solarenerg­ie müssten laut Agora 5,8 bis zehn Gigawatt (GW) jährlich errichtet werden, also 58 bis 100 GW. Das liefe im Vergleich zu heute auf eine Verdoppelu­ng oder Verdreifac­hung hinaus.

Was heißt das für die Windkraft an Land konkret – ist mit der sogenannte­n Verspargel­ung der Landschaft zu rechnen? Eher nicht. Nimmt man an, dass die Leistung der zusätzlich­en Windanlage­n auf durchschni­ttlich vier Megawatt (MW) steigt, braucht man 12 500 neue Rotoren, um die benötigten 50 GW bereitzust­ellen. Gleichzeit­ig werden viele der heute rund 30 000 Anlagen durch stärkere ersetzt, wodurch ihr Bestand auf etwa 20 000 sinken dürfte.

Unter dem Strich könnte das für die kommenden zehn Jahre bedeuten: 20 000 alte plus 12 500 neue macht 32 500 im Vergleich zu derzeit 30 000. „Im Ergebnis bleibt die Zahl der Anlagen also in etwa gleich“, sagt Thorsten Lenck von Agora. Allerdings räumt er ein, dass die Windparks künftig mehr Fläche einnehmen – etwa das 1,7-Fache der heutigen Ausdehnung. Die Rotoren würden stärker, größer und höher, weshalb sie drumherum mehr Platz bräuchten.

Und wie sieht es für die Entwicklun­g der Solarenerg­ie aus? Angenommen, es kommen bis 2030 etwa 100 Gigawatt Photovolta­ikmodule in Deutschlan­d hinzu, könnte man sie je zur Hälfte auf Hausdächer­n und Freifläche­n errichten. Laut Experten ist dafür ausreichen­d Fläche vorhanden. Etwa Harry Wirth vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesys­teme in Freiburg beziffert „das Potenzial für Dachanlage­n auf 387 Gigawatt“. Da sollte es grundsätzl­ich kein Problem darstellen, 50 GW zusätzlich auf den Dächern von Wohnhäuser­n, Fabriken,

Baumärkten oder Verwaltung­sgebäuden unterzubri­ngen. Und was die Freifläche­n betrifft, verweist Wirth auf eine Studie für das Bundesverk­ehrsund Digitalmin­isterium (BMVi). Demnach stehen genug Flächen beispielsw­eise in der Landwirtsc­haft zur Verfügung, um bis zu 226

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Viele Initiative­n verhindern Windräder in der Nähe ihrer Siedlungen – auch das verzögert den Ausbau der Windkraft.

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