Klicken, beten, Gemeinschaft bleiben
Viele Kirchengemeinden begehen die Karwoche und Ostern wegen der Corona-Kontaktbeschränkungen digital
GULM - Kar- und Ostertage vor leeren Kirchenbänken – so sehen 2020 die wichtigsten Feste der Christenheit in vielen Ländern der Erde aus. „Die Bänke in der Basilika bleiben leer“, bestätigt der katholische Dekan Ulrich Kloos, der in Ulm-Wiblingen die Pfarrei St. Martin leitet, „aber die virtuellen Bänke werden voll sein und sind es jetzt schon.“Denn die beiden großen Kirchen entdecken in der Corona-Krise die digitalen Möglichkeiten für sich. Problematisch und schwierig seien Trauergespräche und Beerdigungen, räumen die Geistlichen ein.
Für die katholische Kirche hatte der Vatikan die Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie angeordnet, die Diözesen hatten diese für ihre Bereiche präzisiert. In einem Dekret von vergangener Woche stellt die Gottesdienstkongregation klar: In Ländern mit Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, also auch in Deutschland, sollen Priester und Bischöfe die Gottesdienste der Karund Ostertage „ohne Teilnahme des Volkes“begehen.
An diesen Maßnahmen gab es Kritik: Der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz beispielsweise fordert, die in der Corona-Krise verordneten Einschränkungen von Grundrechten immer neu abzuwägen und kritisch zu hinterfragen. Ihn irritiere die „Kritiklosigkeit und Willfährigkeit aufseiten jener, die von den Anordnungen betroffen sind“, so der Priester. Gehorsam sei richtig. Kritik übt er am pauschalen Verbot aller Gottesdienste, das den Kern des Grundrechts auf Religionsausübung treffe.
„Ich kann nicht erkennen, dass man auch nur einen Gedanken darauf verschwendet hätte, da die Gläubigen mitzunehmen, statt sie auszusperren.“In den vielfach „großen, leeren Kirchen“hätte der Infektionsschutz eingehalten werden können, so der Stadtdekan. Dabei ziele seine Kritik „nicht nach oben, sondern zur Seite, zu uns hin. Mir wird es ganz schwummrig, wenn ich sehe, wie schnell wir bereit waren, uns generellen Verboten zu unterwerfen.“
„Ja“, sagt Dekan Ulrich Kloos, auch er sehe die Anordnung, dass die Geistlichen die Gottesdienste der Kar- und Ostertage allein, ohne anwesende Gemeinde feiern sollen, kritisch. Aber die geistliche Not wecke kreative Fähigkeiten: „Wir haben die Gläubigen gebeten, Selfies zu schicken, wir kleben sie an die Bänke unserer Kirchen, und machen so die Gemeinschaft im Gebet in diesem Jahr deutlich.“Ein Digitalteam habe zehnminütige Videoclips für die Kar- und Ostertage gedreht, aus verschiedenen Kirchen wie beispielsweise in Allmendingen, Obermarchtal oder Ehingen gebe es Livestreams der Gottesdienste.
Mit einem Livestream hat auch die „Schwäbische Zeitung“gute Erfahrungen
gesammelt. Steffi Dobmeier, stellvertretende Chefredakteurin und Leiterin Digitale Inhalte und Strategie, berichtet von der Übertragung aus der Kirche St. Johann in Sigmaringen am vergangenen Sonntag: „Wir haben die katholische Messe live auf Schwäbische.de übertragen und damit fast 1000 Menschen erreicht.“Nicht alle hätten den kompletten Gottesdienst auf dem Computer, dem Tablet oder dem Smartphone angeschaut – viele seien aber recht lange dabeigeblieben. Grund genug, auch diese Woche wieder einen Gottesdienst auf der Website zu übertragen. Dieses Mal wird es die Feier der evangelischen Kirchengemeinde Bad Waldsee sein.
Ähnlich agiert der katholische Dekan Matthias Koschar in Tuttlingen, der sich selbst zwar als „Mediendinosaurier“bezeichnet, aber digital zu erleben ist: „Wir sind dabei, einen YouTube-Kanal einzurichten: Kirchetutgut. So zeichnen wir unsere Gottesdienste auf, um wenigstens so für unsere Gemeindemitglieder da zu sein.“
Aus der Benediktiner-Abtei Beuron berichtet der Prior, Pater Sebastian: „Der Gedanke, denen, die sich Beuron verbunden fühlen und hier gewöhnlich den Gottesdienst mitfeiern, über die Einrichtung eines Livestreams die Teilnahme an der Liturgie der Gemeinschaft zu ermöglichen, stand von Anfang an im Raum. Nach einiger Tüftelei können die Feier der Konventmesse sowie der Vesper und der Komplet nun live über unsere Webseite online mitverfolgt werden: www.erzabtei-beuron.de.“
Neben den digitalen Ansätzen setzt der Ulmer Münster-Dekan Ernst-Wilhelm Gohl auf klassische Lösungen, um mit den Gemeindegliedern in Kontakt zu bleiben: „Wir verschicken Postkarten, verteilen Predigten, sind telefonisch erreichbar, stehen als Pfarrer im Münster zum persönlichen Gespräch zur Verfügung
und diskutieren auch, ob die Gläubigen an den Kar- und Ostertagen daheim das Abendmahl feiern können.“Dies ist für katholische Christen aus theologischen Gründen nicht möglich: Ob die Osterkommunion nach Hause gebracht werden kann, werde in den einzelnen Gemeinden entschieden, heißt es aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
So kreativ die Gemeinden werden, wenn es um digitale Lösungen wie Malbilder im Internet oder Gebets-Mails geht, so hilflos stehen die Geistlichen den gesetzlichen Beschränkungen gegenüber, wenn es um die Übergänge im Leben geht, also Geburt, Eheschließungen und Tod: „Trauungen und Taufen werden häufig von selbst abgesagt. Das Verschieben der Konfirmationen auf einen Zeitpunkt, den noch niemand wissen kann, ist für viele bitter“, sagt der evangelische Dekan Sebastian Berghaus aus Tuttlingen. Schlimm seien die Trauerfälle: „Es können nur Beisetzungen stattfinden und eine seelsorgliche Begleitung am Telefon. Das ist für viele Menschen eine sehr einsame Zeit, wie auch im Krankenhaus, besonders auf den Palliativund Intensivstationen und in den Pflegeheimen.“Denn bei Beisetzungen am Grab mit einer kurzen Ansprache dürfen nur zehn Personen dabei sein, Trauerfeiern in der Kirche sind verboten. Wie Berghaus suchen seine Kollegen nach Lösungen. In Ulm will Münster-Dekan Gohl nach der Krise individuelle Trauergottesdienste anbieten: „Da können dann auch Familie und Freunde dazukommen.“Hilfreich seien jetzt schon Videoübertragungen.
Trost bietet wieder ein Klassiker, auf den der katholische Pfarrer Johannes Amann vom Heuberg im Landkreis Tuttlingen hinweist: „Im täglichen abendlichen Glockenläuten um 19 Uhr flechten wir uns in eine große ökumenische Gemeinschaft ein und sind eingeladen, um diese Zeit sich im Gebet mit vielen anderen verbunden zu wissen. Als äußeres Zeichen ist es schön, wenn man dabei eine natürlich gut geschützte Kerze auf die Fensterbank stellt.“
„Wir verschicken Postkarten, verteilen Predigten, sind telefonisch erreichbar.“Ernst-Wilhelm Gohl, Ulms Münster-Dekan, setzt weiter – auch – auf analoge Wege