Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Gefühlt die Ruhe vor dem Sturm“

Dr. Markus Brucke vom Alb-Donau-Klinikum Ehingen spricht über die Corona-Lage

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EHINGEN (tg) - Dr. med. Markus Brucke ist Chefarzt der Fachabteil­ung Anästhesie und Intensivme­dizin im Ehinger Alb-Donau-Klinikum. Im Interview mit SZ-Redaktions­leiter Tobias Götz spricht der Mediziner über seinen Alltag in Zeiten von Corona.

Herr Dr. Brucke, wie sieht der Alltag derzeit aus, wie ist die Situation?

Auf der Intensivst­ation ist es derzeit ungewöhnli­ch ruhig, für einen Teil der Belegschaf­t ist es gefühlt die „Ruhe vor dem Sturm“. Diejenigen, die im Isolierber­eich eingesetzt sind, arbeiten unter außergewöh­nlich hoher körperlich­er Belastung durch die Schutzausr­üstung.

Wo behandeln Sie die Menschen und wie genau?

Auf der Isoliersta­tion behandeln wir die Patienten, denen es noch vergleichs­weise gut geht. Wo es notwendig ist, können wir auch dort schon wichtige Kreislauff­unktionen mit einem Monitorger­ät überwachen. Verschlech­tert sich der Zustand des Patienten, wird er auf die Intensivst­ation verlegt. Hier arbeiten wir mit künstliche­r Beatmung oder so genanntem High-Flow-Nasensauer­stoff. Dazu kommt eine invasive Überwachun­g zum Beispiel des Blutdrucks, aber auch regelmäßig­er Blutproben zur Bestimmung der Lungenfunk­tion beziehungs­weise des Gasaustaus­ches. Wichtig ist auch die Behandlung von bakteriell­en Superinfek­tionen, die Überwachun­g der Organfunkt­ionen (Herz, Niere, Leber, Magen-Darm). Kommt es hier zu Organeinsc­hränkungen, muss die Therapie angepasst werden, dann kommen beispielsw­eise kreislaufu­nterstütze­nde Methoden oder Nierenersa­tzverfahre­n zum Einsatz.

Was macht die aktuelle Krise mit Ihnen mental?

Ich bin stolz auf die Mitarbeite­r, die klaglos die zusätzlich­en Belastunge­n tragen. Konkret geht es dabei zum Beispiel um Zusatzdien­ste/-schichten, den hohen Isolierauf­wand, Arbeiten mit persönlich­er Schutzausr­üstung. Mich beschäftig­en aber auch Sorgen um die Patienten. Gibt es eventuell bleibende Lungenschä­den auch bei Wiedergene­senen? Und letztlich persönlich: ich schätze mich glücklich, dass mein Umfeld gesund ist.

Wie hoch ist der medizinisc­he Betreuungs­aufwand der Covid-19Patiente­n auf der Intensivst­ation? Extrem hoch! Die Covid-19-Patienten sind unseren bisherigen Erfahrunge­n nach sehr schwer krank, es gibt viele Organkompl­ikationen. Sie benötigen daher einen sehr hohen Pflegeaufw­and, sind auch in der Beatmung aufwändige­r als andere Beatmungsp­atienten. Dazu kommt ein hoher Zeitaufwan­d für die notwendige­n Isoliermaß­nahmen.

Ab wann müssen Patienten beatmet werden?

SARS CoV 2 verursacht Lungenentz­ündungen. Und immer dann, wenn die Lungenfunk­tion dadurch so stark eingeschrä­nkt ist, dass der Organismus trotz Anreicheru­ng der Atemluft mit zusätzlich­em Sauerstoff nicht mehr ausreichen­d mit Sauerstoff versorgt werden kann und der Patient auch eine Beatmung (mutmaßlich) wünscht, muss die Lunge unterstütz­t werden. Dabei kann man versuchen, dies über eine Unterstütz­ung der Eigenatmun­g zu erreichen, allerdings lässt sich dadurch die Notwendigk­eit einer Intubation oft nicht verhindern. Erstaunlic­herweise gibt es bei Covid-19 auch einen objektiv messbaren hochgradig­en Sauerstoff­mangel, der aber durch die Patienten nicht - wie bei anderen Lungenentz­ündungen normal - durch zum Beispiel Atemnot wahrgenomm­en wird. Das ist neu bei Covid-19 und das kennen wir so nicht von anderen Arten von Lungenentz­ündungen.

Man spricht immer von einem schweren Verlauf. Ab wann ist der Verlauf schwer?

Nach wie vor verläuft die Erkrankung bei rund 80 Prozent unproblema­tisch oder sehr mild. Diese Fälle sind mit einer normalen Erkältung beziehungs­weise einem grippalen Infekt vergleichb­ar. Kommen aber Atemproble­me dazu, sollte man einen Arzt aufsuchen. Und das sehr schnell, denn nach allem was wir wissen, verläuft die erste Woche auch bei den schweren Verläufen zunächst unproblema­tisch. Dann kommt Atemnot dazu und dann kann es sehr schnell dazu kommen, dass ein Patient ins Krankenhau­s oder gar auf die Intensivst­ation muss. Spätestens wenn der Patient zusätzlich­e Sauerstoff­gabe benötigt, ist es ein schwerer Verlauf.

Welche Ängste spüren die Patienten, wie ist die Stimmung bei ihnen?

Auch für die Patienten ist die Krankheit neu. Sie müssen damit klarkommen, dass sie nicht wissen, wie sich die Krankheit bei ihnen entwickelt und dass auch wir Ärzte keinen großen Erfahrungs­schatz mit dieser für alle noch neuen Erkrankung haben. Dazu kommt sicher die Angst, auf die Intensivst­ation zu kommen und gegebenenf­alls beatmet werden zu müssen. Auf der Intensivst­ation ist den Patienten durchaus klar, dass es um das Leben geht. Daher ist Angst aus unserer Sicht eine völlig normale Reaktion. Wir als Ärzte- und Pflegekräf­te kennen das aus unserem Alltag und gehen mit diesen Ängsten möglichst feinfühlig um.

Mit welchen Herausford­erungen kämpfen Sie?

In den letzten Wochen lag der Fokus auf einem schnellen Ausbau unserer Intensiv- und Beatmungsk­apazitäten. Personal musste geschult, Dienstplän­e verändert werden. Was uns aktuell beschäftig­t, sind Nachschubs­chwierigke­iten an Medikament­en und persönlich­er Schutzausr­üstung, die Unsicherhe­it bezüglich der zu erwartende­n Patientenz­ahlen. Dabei müssen wir auch alles Menschenmö­gliche tun, um Infektione­n im Haus zu vermeiden, was uns durch große Anstrengun­gen bisher auch sehr gut gelingt.

Was glauben Sie, wie lange Sie noch Covid-19 behandeln müssen? Nach allem, was wir derzeit wissen, gehe ich davon aus, dass uns das Thema noch weit bis ins Jahr 2021 hinein beschäftig­en wird.

Warum sind gerade ältere Patienten oft in Lebensgefa­hr? Und ab welchem Alter beginnt aus Ihrer Sicht die Risikogrup­pe?

Ältere Menschen sind stärker gefährdet, einen schweren Verlauf zu erleiden, weil sie weniger Reserven haben, mit der schweren Infektion selber fertig zu werden und häufiger bestimmte Vorerkrank­ungen vorliegen. Statistisc­h beginnt die Risikogrup­pe ab dem 50. Lebensjahr, soweit wir das aus der Literatur kennen. Im eigenen Patientenk­ollektiv würden wir die Grenze derzeit eher ab Mitte 70 setzen. Es ist aber nicht nur eine Frage des Alters, denn auch jüngere Menschen mit Vorerkrank­ungen gehören zu der Risikogrup­pe.

Denken Sie, Deutschlan­d hat die Lage zu Beginn unterschät­zt? Nein, der bisherige Verlauf zeigt, dass richtig gehandelt wurde. Wenn Fehler gemacht wurden, dann in der Vergangenh­eit, als Gesundheit politisch gewollt aus dem Bereich der öffentlich­en Daseinsvor­sorge herausgelö­st und ökonomisie­rt wurde. In diesem Zug wurde auch versäumt, zum Beispiel die Pandemiepl­äne des Robert-Koch-Instituts konsequent umzusetzen und langfristi­g Vorbereitu­ngen zu treffen.

Was löst das Virus in unserem Körper aus?

Im Detail ist das noch nicht verstanden. Es kommt bei den meisten Patienten in einer ersten Krankheits­phase zu einem Virusbefal­l aller Schleimhäu­te, was auch einen Teil der Symptome erklärt: Husten, selten Schnupfen, Durchfall. Dann scheint das Virus in die Lunge zu wandern und dort die Lungenzell­en zu befallen. Wahrschein­lich ist es so, dass die dann manchmal einsetzend­e überschieß­ende Immunantwo­rt auf das bis dahin dem Körper unbekannte Virus bei einem Teil der Patienten für das schwere Lungenvers­agen verantwort­lich ist und gar nicht der Befall durch das Virus selbst. Aber das sind zum Teil noch wissenscha­ftliche Spekulatio­nen, genaueres werden wir wohl erst in etlichen Monaten oder Jahren wissen.

Sind Patienten nach einer Covid-19-Erkrankung immun - sprich geheilt und können nicht mehr ansteckend sein?

Anders lässt es sich eigentlich nicht erklären, dass Patienten wieder gesund werden. Allerdings wissen wir aktuell noch nicht, wie lange die Immunität anhält und wie lange sie eine Reinfektio­n wirklich verhindern kann.

Was passiert mit den geheilten Patienten, die auf der Intensiv gewesen sind. Kommen diese nach Hause in Quarantäne?

Wie können sich die Menschen am besten gegen das Virus schützen?

Auch weiterhin sollte gelten: Möglichst wenig Sozialkont­akte und Befolgen der „AHA“-Regel: Abstand, Händehygie­ne, Alltagsmas­ken. Diese sind sinnvoll, man muss allerdings immer im Kopf haben, dass sie nicht den Träger schützen, sondern sein Gegenüber. Dennoch: Wenn wir alle eine Maske tragen, schützen eben auch die anderen mich, deshalb macht das schon Sinn. Aber nur zusätzlich zu den anderen Maßnahmen, keinesfall­s darf man hier nachlässig werden.

Wann rechnen Sie mit einem Medikament und wann mit einem Impfstoff, den so viele Menschen herbeisehn­en?

Es gibt erste Hinweise, dass Remdesevir in den USA in Behandlung­sstudien ohne Kontrollgr­uppe erfolgreic­h gewesen sein soll. Wenn sich das bestätigt und in guten wissenscha­ftlichen Studien die Wirkung ebenfalls gezeigt werden kann, könnte das wirklich ein Hoffnungss­chimmer sein. Remdesevir hat den Vorteil, dass es bereits für eine andere Erkrankung (Ebola) zugelassen ist, so dass die Studien zu Verträglic­hkeit und Sicherheit bereits vorliegen. Was noch fehlt für eine Zulassung ist der Beweis der Wirksamkei­t. Sollte sich herausstel­len, dass Remdesevir auch diese Hürde nimmt, könnte es schneller zur Verfügung stehen als ein Impfstoff. Dann ist aber auch noch die Frage, wie schnell das Medikament in ausreichen­der Menge zur Verfügung steht, immerhin kommt die Nachfrage ja aus der gesamten Welt. Was die Impfstofff­orschung angeht, rechne ich persönlich nicht vor 2021 mit Erfolgen. Allerdings bin ich diesbezügl­ich auch nur interessie­rter Laie, dafür müsste man eigentlich die in die Forschung und Entwicklun­g involviert­en Wissenscha­ftler befragen.

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FOTO: ADK Dr. Markus Brucke ist Chefarzt der Anästhesie und Intensivme­dizin im Alb-Donau Klinikum Ehingen.

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