Corona verschärft die Leiden von Millionen Kindern
Unicef warnt vor humanitären Katastrophen – Entwicklungsminister Müller will zusätzliche Milliardenhilfen
GBERLIN - Die Corona-Pandemie bedroht nach Ansicht des UN-Kinderhilfswerks Unicef das Leben und die Entwicklungschancen von Millionen Heranwachsenden in der Welt. „Covid 19 steht für eine neue, wirklich existenzbedrohende Gefahr für Millionen von Kindern und jungen Menschen“, sagte der Vorsitzende von Unicef Deutschland, Georg Graf Waldersee, am Dienstag in Berlin. Insbesondere in Kriegs- und Krisengebieten treffe das Virus auf Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsysteme, die „ohnehin schon hemmungslos überfordert sind“, ergänzte er.
Die Krankheit erschwere auch die Arbeit von Unicef. So werde es wegen der weltweiten Reisebeschränkungen für die Unicef-Teams immer schwieriger und teurer, Kinder mit Impfstoffen und Hilfsgütern zu erreichen. Die Folgen sind nach den Worten Waldersees dramatisch: So seien Impfkampagnen gegen Masern und Kinderlähmung für etwa 117 Millionen Kinder – unter anderem in Afghanistan und Pakistan – vorerst gestoppt worden. Derzeit suche man mit Hochdruck nach Lösungen, „um auf neue Ausbrüche von Masern und Polio reagieren zu können“.
So sei es gelungen, seit Anfang des Jahres immerhin 17,5 Millionen Impfdosen in den Nahen und Mittleren Osten sowie nach Afrika zu liefern. Doch insgesamt hake es bei den Impfstofflieferungen. „Wir appellieren heute mit Nachdruck an Regierungen, Wirtschaft und Luftfahrtunternehmen, Transportkapazitäten zu bezahlbaren Kosten für lebensrettende Impfstoffe freizumachen“, sagte er. Besonders dramatisch sei die Lage für Familien, die in Slums, Flüchtlingslagern und Kriegsgebieten lebten, sagte Waldersee. Wo Menschen zu Hunderttausenden auf engstem Raum zusammengepfercht seien, sei schon die Befolgung einfacher Regeln zum Schutz vor Corona wie Social Distancing oder tägliche Hygiene ein Ding der Unmöglichkeit.
Waldersee nannte beispielhaft drei Krisengebiete, in denen Millionen Menschen einem Massenausbruch
von Covid 19 weitgehend schutzlos ausgeliefert seien: In Syrien, wo nach wie vor Hunderttausende auf der Flucht und 11 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen seien. Im Jemen, wo aktuell etwa fünf Millionen Kinder von Cholera und lebensgefährlichem Durchfall bedroht sind und die Unicef versucht, zumindest „eine minimale
Wasserversorgung in Gang zu halten“. Und in den Rohingya-Flüchtlingslagern in Bangladesch, in denen mehr als 850 000 aus Myanmar vertriebene Menschen hausen.
Zwar habe Unicef Waschgelegenheiten, Desinfektionsmittel und auch Beatmungsgeräte beschaffen können. „Angesichts der riesigen Zahl betroffener Menschen sind wir aber sehr besorgt“, sagte Waldersee. Entwicklungsminister Müller nannte den Umgang der Regierung Myamnars mit der vertriebenen Minderheit als Hauptgrund für die geplante Einstellung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Für Waldersee ist die humanitäre Katastrophe für die Kinder aber weit größer: So seien Lernzentren, insbesondere in Flüchtlingslagern geschlossen. Damit fällt nicht nur die Schule aus. Auch die für viele Kinder wichtigen Schulspeisungen fallen damit weg. Und weltweit verlieren Menschen ihre sowieso schon prekäre Arbeit. „Eltern von Südafrika bis Indien, die ihr tägliches Brot als Tagelöhner verdienen, haben von einem Tag auf den anderen die Grundlagen für ihren Lebensunterhalt verloren“, warnte Waldersee: Unicef fürchtet, dass zu den 386 Millionen Kindern, die bereits heute in extremer Armut aufwachsen, zwischen 42 und 66 Millionen hinzukommen.
Da zusätzlich Lieferketten reißen, Kapital abfließt, Heuschrecken Ostafrika heimsuchen und Unruhen im Sahel ausbrechen, warnt der Entwicklungsminister bereits vor Anschlägen, Bürgerkriegen und Hungersnöten, die ganze Regionen destabilisieren und neue Fluchtbewegungen auslösen könnten.
Unicef fordert schnell weltweite Hilfe. „Es kommt gerade jetzt darauf an, entschlossen, gemeinsam und vor allem schnell zu handeln, damit aus einer weltweiten Krise keine globale Katastrophe für Kinder wird“, sagte er. Waldersee dankte Entwicklungshilfeminister Müller, der Corona-Soforthilfen seines Hauses in Milliardenhöhe in Aussicht stellte.
Tatsächlich hat das Ministerium durch hausinterne Umschichtungen etwa eine Milliarde Euro Soforthilfen mobilisieren können. Doch Müller fordert mehr: 3,15 Milliarden Euro zusätzlich hat das Entwicklungsministerium bei Finanzminister Olaf Scholz (SPD) angemeldet. Ob das Geld kommt, ist aber noch offen.