Erdogans alte Tricks
Der türkische Präsident scheint Neuwahlen zu planen
GISTANBUL - Es ist ein alter Trick, aber in der Türkei hat er für Recep Tayyip Erdogan bisher noch immer funktioniert. Zuerst bringt er die säkuläre Opposition mit extrem konservativen oder islamistischen Parolen auf die Palme, dann attackiert er seine Gegner als gottloses Gesindel, um die eigenen frommen Wähler zu mobilisieren – und dann gewinnt er die nächste Wahl. Mal verkündet Erdogan, Frauen müssten möglichst viele Kinder kriegen, dann fordert er, Ehebruch sollte strafbar und Abtreibung verboten sein. Auch die Rückkehr zur Todesstrafe hat er bereits mehrmals verlangt – aber er macht keine Anstalten, dies auch umzusetzen: Erdogans provozierende Vorstöße bleiben in der Praxis folgenlos. Derzeit tobt eine Debatte über den Chef des staatlichen Religionsamtes, der in einer Predigt gesagt hatte, Homosexualität sei krank. Einige Oppositionspolitiker und Beobachter vermuten, der 66-jährige Staatschef bereite vorgezogene Neuwahlen vor.
Religionsamtschef Ali Erbas hatte Ehebruch und Homosexualität als unislamisch und als mögliche Ursachen für Seuchen bezeichnet. Erdogan stellte sich hinter den Behördenchef und attackierte die Opposition mit den Worten, jeder Angriff auf das Religionsamt sei ein Angriff auf den Staat und den Islam.
Nun, da die gefährlichste Phase der Pandemie in der Türkei überwunden erscheine, könne sich der Präsident versucht sehen, sich ein neues Mandat der Wähler zu sichern, vermuten Oppositionspolitiker. Nach anfänglichen Fehltritten hat die Türkei die Ausbreitung des Virus so weit im Griff, dass die Regierung über Lockerungen der Ausgangssperren nachdenkt. Die täglichen Zahlen von Neuinfektionen und Todesfällen