Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wenn der Stall zum Salon wird

Vom Echthaarto­upet bis zum eingeölten Euter – Kuhfitter bereiten Tiere für Schönheits­wettbewerb­e vor

- Von Frederick Mersi

GRÜCKHOLZ (dpa) - Die Schönheits­kur seiner Models beginnt für Tobias Guggemos immer am hinteren Körperteil. Als der 23-Jährige die Schermasch­ine anwirft, lässt seine etwa 600 Kilogramm schwere Kundin namens Granit das ruhig über sich ergehen. „Sie ist es gewohnt“, sagt Guggemos. Er hält große Stücke auf die Brown-Swiss-Kuh. Mit vier Jahren hat sie schon 8500 Liter Milch gegeben – und bei der Bundesjung­züchtersch­au 2019 in der Kategorie „schönstes Euter“den zweiten Platz geholt. Für Guggemos ein besonderer Erfolg: Er macht Rinder wie Granit als Kuhfitter für große Auftritte schön.

Wie oft er das in den vergangene­n sieben Jahren getan hat, weiß Guggemos nicht genau. „200 bis 300 Tiere werden es schon sein“, sagt er. „Irgendwann hört man auf zu zählen.“Aber er weiß, worauf es ankommt: eine gerade Oberlinie am Rücken als Zeichen für Langlebigk­eit, die Betonung von breiten, abfallende­n Beckenknoc­hen, die fürs Kalben wichtig sind, und gut sichtbare Adern, die viel Milch verspreche­n. „Das Auge spielt immer mit“, sagt Guggemos. Deswegen reibt er Euter mit Babyöl ein, kaschiert Unebenheit­en am Rücken durch gerade Felllinien oder bringt ein Echthaarto­upet am Schwanz an.

Bis zu zweieinhal­b Stunden kann es dauern, bis seine Kundinnen für Zuchtschau­en bereit sind. Für dieses Hobby muss im Zweifelsfa­ll auch mal die Arbeit auf dem Hof der Eltern in Rückholz im Landkreis Ostallgäu in Bayern hintenanst­ehen. Schöne Kühe

können Züchtern beim Verkauf der Kälber, Embryonen oder des Tieres selbst viel Geld bringen. „Für eine durchschni­ttliche Kuh bekommt man bis zu 2000 Euro“, schätzt Guggemos, Vorsitzend­er der Allgäuer Jungzüchte­r. „Ein echter Champion kann aber 5000 bis 10 000 Euro wert sein.“Hauptberuf­liche Kuhfitter gibt es in Deutschlan­d nach Angaben des Bundesverb­ands Rind und Schwein (BRS) nicht. Man schätze, dass hierzuland­e etwa 25 Fitter im Nebenberuf

aktiv seien. Darüber hinaus gebe es einige Nachwuchsk­räfte. „Davon leben kann man nur in den USA und vielleicht in der Schweiz“, sagt Guggemos. Ihn fasziniere, was man aus den Tieren heraushole­n könne. „Sie werden dadurch elegant wie Models“, sagt er. „Dafür braucht man Leidenscha­ft und einen gewissen Ehrgeiz.“Eine gerade Oberlinie zu schneiden, zu bürsten, zu föhnen und mit Spray zu fixieren, erfordert Konzentrat­ion und Geduld. Gleiches gilt für die „Nassrasur“des Fells am Euft er auf ein Zehntelmil­limeter. Beim tierischen Schönheits­wettbewerb gibt es aber auch Grenzen. „Das fängt da an, wo es um den Tierschutz geht“, sagt Christoph Busch. Er ist bei der Allgäuer Herdebuchg­esellschaf­t unter anderem für Messen zuständig und als Richter bei Zuchtschau­en tätig. „Wenn ein Züchter seine Kuh zum Beispiel nicht milkt, damit das Euter bei der Schau optimal aussieht, kann ich das Tier disqualifi­zieren“, sagt er. Das komme selten vor, müsse aber kritisch verfolgt werden.

Gegen den Grundgedan­ken, die Vorteile einer Kuh durch schönes Herrichten hervorzuhe­ben, sei dagegen nichts einzuwende­n, findet Busch. Er selbst habe in seiner Freizeit schon als Kuhfitter gearbeitet. Inzwischen gebe es aber auch Veranstalt­er, die diese Art der Vorbereitu­ng bei ihren Schauen teilweise oder gar nicht mehr zulassen: „Da geht es um Chancengle­ichheit für Landwirte, die kein Geld dafür ausgeben wollen.“

Doch beim Kuhfitting geht es längst nicht nur ums Geld: „Das ist auch eine Visitenkar­te für die Betriebe, da ist eine gewisse Ehre mit dabei“, sagt Busch. Die Möglichkei­t, sich so zu zeigen, ist wegen der Corona-Krise derzeit aber kaum vorhanden: Schauen und Auktionen sind abgesagt, Kühe werden nur durch Direktverm­arktung verkauft. Trotzdem macht Tobias Guggemos weiter, vor allem mit Tieren vom eigenen Hof. „Man muss in Übung bleiben“, sagt er. Außerdem werde das Fell durch regelmäßig­es Scheren feiner.

Nach mehr als einer Stunde ist Granit mit Ausnahme des Kopfes fertig frisiert: kurzes Fell, gerade Oberlinie und gut sichtbare Adern. Friseur Guggemos ist zufrieden, die Kuh aber unruhig. „Sie muss jetzt in den Melkstand“, sagt er. Ob er auch Menschen die Haare schneiden könnte? Das habe er sich trotz geschlosse­ner Friseursal­ons in Zeiten von Corona nicht getraut, sagt Guggemos. „Für meine Haare hat meine Schwester die Schermasch­ine vor zwei Wochen aber benutzt.“

 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Tobias Guggemos ist Landwirt und Kuhfitter. Für Letzteres rasiert er das Fell mit der Schermasch­ine. Das kann den Verkaufspr­eis des Milchviehs steigern.
FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Tobias Guggemos ist Landwirt und Kuhfitter. Für Letzteres rasiert er das Fell mit der Schermasch­ine. Das kann den Verkaufspr­eis des Milchviehs steigern.

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