Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Erschrecke­nde Nachrichte­n aus der Fleischind­ustrie

Corona-Ausbrüche rücken die katastroph­alen Arbeits- und Wohnbeding­ungen der Beschäftig­ten in den Blickpunkt

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BERLIN (dpa/AFP/ank) – Nach der Häufung von Corona-Infektione­n in mehreren Schlachthö­fen stellt die Bundesregi­erung rechtliche Konsequenz­en in Aussicht. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) kündigten am Mittwoch im Bundestag an, dass das Corona-Kabinett am kommenden Montag strenge Vorschrift­en beschließe­n werde. Merkel sprach von „erschrecke­nden Nachrichte­n“aus der Fleischind­ustrie und verwies auf die oft prekären Arbeitsund Wohnbeding­ungen der Beschäftig­ten. Heil versprach: „Wir werden aufräumen mit diesen Verhältnis­sen.“

In mehreren Schlachtbe­trieben bundesweit waren Corona-Infektione­n bei einer Vielzahl von Beschäftig­ten festgestel­lt worden. Im badenwürtt­embergisch­en Birkenfeld bei Pforzheim etwa wurden von 1100 Beschäftig­ten der Firma Müller Fleisch über 400 positiv getestet. In einem Betrieb in Coesfeld in NordrheinW­estfalen waren es über 250 von 1000. Und in einem Schlachtho­f in Niederbaye­rn ist die Zahl der mit dem Corona-Erreger infizierte­n Mitarbeite­r bis Mittwochab­end auf 16 gestiegen. Die Arbeitsbed­ingungen in der Branche sind dadurch ebenso in den Blickpunkt gerückt wie die oft überfüllte­n Sammelunte­rkünfte der zahlreiche­n ausländisc­hen Leiharbeit­er.

Bei Deutschlan­ds größtem Fleischver­arbeiter Tönnies in RhedaWiede­nbrück (Nordrhein-Westfalen) wurden bislang allerdings keine Corona-Fälle entdeckt. Bis Mittwochmi­ttag hätten 784 Laborbefun­de vorgelegen. „Diese Befunde waren alle negativ“, teilte der Landkreis Gütersloh mit. Nordrhein-Westfalen hatte zuvor angeordnet, alle Beschäftig­ten der Schlachthö­fe auf eine mögliche Covid-19-Erkrankung zu testen.

Auch die niedersäch­sische Landesregi­erung will nun sämtliche Schlachtho­fmitarbeit­er im Land überprüfen. Dabei gehe es um 23 700 Beschäftig­te in 183 fleischver­arbeitende­n Betrieben, kündigte Sozialmini­sterin Carola Reimann (SPD) im Landtag in Hannover an. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) kritisiert­e die Fleischind­ustrie scharf. „Es hat mich überrascht und massiv geärgert, dass einzelne Unternehme­n ihre Arbeitnehm­er trotz Corona offenbar fröhlich über die Landesgren­zen hin- und hergeschob­en haben“, sagte Weil der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. „Ein solches Verhalten ist komplett verantwort­ungslos“.

Aus Stuttgart war in dieser Sache bis dato nichts zu hören. Katja Mast, Bundestags­abgeordnet­e für den Wahlkreis Pforzheim und stellvertr­etende Vorsitzend­e der SPD-Bundestags­fraktion, kritisiert­e die Landesregi­erung daraufhin scharf: „Es bewegt mich sehr, dass ausgerechn­et von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­ns grün-schwarzer Landesregi­erung kein Ton zu diesem

Thema zu hören ist. Bei mittlerwei­le rund 400 Infektione­n im größten Schlachtbe­trieb des Bundesland­es ist das mehr als ein politische­s Armutszeug­nis“, sagte Mast.

Bundesarbe­itsministe­r Heil sorgt sich unterdesse­n um die Arbeitsbed­ingungen und die Unterbring­ung der meist ausländisc­hen Mitarbeite­r: „Wir dürfen als Gesellscha­ft nicht weiter zugucken, wie Menschen aus Mittel- und Osteuropa in dieser Gesellscha­ft ausgebeute­t werden.“Das Subunterne­hmertum in der Fleischbra­nche sei dabei die „Wurzel des Übels“.

Deshalb warb Heil dafür, grundsätzl­ich über die derzeit weit verbreitet­en Werkvertra­gskonstruk­tionen nachzudenk­en. Darüber hinaus machte sich der Minister für bundesweit verbindlic­he Kontrollqu­oten stark. Viele Bundesländ­er hätten bei den zuständige­n Behörden zu stark gespart, um die Einhaltung der bestehende­n Arbeitssch­utzregeln zu überprüfen.

Bei einer Aktuellen Stunde im Bundestag prallten gegensätzl­iche Positionen aufeinande­r. Jutta Krellmann von der Linken forderte unter anderem ein Verbot von Werkverträ­gen,

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FOTO: IMAGO IMAGES Zerlegeber­eich eines Schlachtho­fes: Die Bundesregi­erung spricht von Ausbeutung in der Branche und kündigt Gegenmaßna­hmen an.

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