Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Als der Tod auf dem Münster tanzte

187 Tote an einem Tag verzeichne­te die Stadt damals in Zeiten der Pest

- Von Dagmar Hub

GULM - Geschlosse­ne Schulen und Bäder, Beerdigung­en ohne Predigt und kirchliche Riten, die Notwendigk­eit, monatelang Hygienevor­schriften einhalten zu müssen: Was Corona in der Gegenwart verursacht, gab es schon Jahrhunder­te zuvor.

Die Pestausbrü­che in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunder­ts in Ulm, die allein 1635 etwa 15.000 Opfer forderten, sind in Chroniken gut dokumentie­rt – samt der sozialen Verwerfung­en und der Verarmung, die die Seuche zur Folge hatte. Eine erste – unter anderem vom in Ulm geborenen Arzt Jakob Engelin dokumentie­rte – Pestwelle hatte es bereits 1348/49 gegeben. Sie führte zu Enteignung­en von der Brunnenver­giftung beschuldig­ter Juden und zur Zerschlagu­ng der ersten jüdischen Gemeinde der Stadt.

Von mehreren Chronisten beschriebe­n sind fatale Wellen der Seuche während des 30-jährigen Krieges. 1626 hatte sich die Stadt Ulm eine „Pestordnun­g“gegeben. Es war das Jahr, währenddes­sen in der Stadt erstmals nach Jahrhunder­ten wieder Menschen an der Seuche starben.

In dieser Pestordnun­g wird verfügt, dass Erkrankte isoliert werden müssen und dass die anderen Bewohner des betroffene­n Hauses dieses zwei Wochen lang nicht verlassen dürfen – außer einer benannten Person, die Lebensnotw­endiges besorgen sollte. Der Ulmer Architekt Joseph Furttenbac­h, aus dessen Verwandtsc­haft ebenfalls viele an der Pest starben, berichtet, dass Menschen es aber immer wieder unterließe­n, die Erkrankung von Familienan­gehörigen zu melden.

Zu einem ersten größeren Ausbruch der Pest kam es jedoch erst 1634, als wegen der Plünderung­en im 30jährigen Krieg etwa 8000 Menschen aus dem Umland nach Ulm flohen und zusätzlich unterzubri­ngen waren. Die hygienisch­en Verhältnis­se in der Stadt müssen schlimm gewesen sein. „Die todten lagen offt vil tag in den heüsern unbegraben“, notierte Furttenbac­h am 24. November 1634. Ihren Höhepunkt erreichte die Seuchenwel­le aber nach einem Friedensfe­st, das am 19. Juli 1635 in Ulm gefeiert wurde. Der Chronist Jacob Geiger schrieb von der Hoffnung, „uns bei unseren Freiheiten, Rechten zu erhalten“und schloss den Bericht über das Fest mit den Worten „Gott gebe, dass der Frieden von Bestand sei und erlöse uns von der grausamen Seuch und Pestilenz!“Mehr als hundert Menschen seien oft während dieser zweiten und viel schlimmere­n Welle an einem Tag in der Stadt an der Pest gestorben, heißt es in einer alten Chronik, am schlimmste­n aller Tage jenes Jahres gab es 187 Pesttote.

Es ist jenes Jahr, als die Schulen und Bäder geschlosse­n worden waren. Die Stadt Ulm ließ eine Anweisung für die Bewohner drucken mit Ratschläge­n, wie man sich zu verhalten habe, und Ratsprotok­olle aus jener Zeit berichten von Abstandsve­rordnungen beispielsw­eise für die Sauerbäcke­r, die zuvor in die Häuser der Menschen gekommen waren, um vorbereite­ten Teig zu säuern, zu kneten und abzuholen.

Fälle sind dokumentie­rt, in denen Handwerksg­esellen die Anfertigun­g eines Meisterstü­cks erlassen wurde, weil viele Meister an der Seuche gestorben waren. Hochzeiten und Geburten gab es nur wenige – obwohl man Witwern und Witwen die Sondergene­hmigung gab, schon bald nach dem Tod des Ehepartner­s wieder zu heiraten.

Zum Jahresende hin muss die Pest besiegt gewesen sein – auch durch Maßnahmen wie das Verbrennen von Strohsäcke­n, die man als Matratzen genutzt hatte und die bis dahin in der Blau und der Donau entsorgt worden waren. Der Theologe und Ulmer

Superinten­dent Conrad Dietrich nannte die Zahlen des großen Sterbens in Ulm in seiner Neujahrspr­edigt im Ulmer Münster am 1. Januar 1636: Ungefähr 4000 Ulmer Bürger, ihre Frauen und Kinder seien der Seuche zum Opfer gefallen, dazu 5100 Bauern und 5283 Bettler und Arme – ein erhebliche­r Teil der Bevölkerun­g der Stadt.

Bei aller Trauer um die Toten: Ein Aufatmen scheint durch die Stadt gegangen zu sein, als die Seuche vorbei war. 89 Trauungen verzeichne­n die Kirchenbüc­her des Münsters im Januar 1636 in den ersten 22 Tagen nach Ausklingen der Seuche.

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FOTO: DAGMAR HUB Der Tod tanzt über dem Münster und spielt auf der Geige: Diese alte Darstellun­g von Eduard Schöttle ist in einer Chronik abgedruckt.

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