Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Langsam kommt Frust auf

Tagebuchse­rie: Ehinger Lehrerin beschreibt den ungewöhnli­chen Alltag ihrer Arbeit derzeit

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EHINGEN (seli) - Seitdem klar ist, dass nun auch die Viertkläss­ler in absehbarer Zeit, nämlich nächsten Montag, wieder in die Schule zurück dürfen, ist die Freude bei vielen Lehrern groß. Denn nach Wochen ohne persönlich­en Kontakt vermissen sie ihre Schüler. Anders sieht es bei Susanna Balg, Grundschul­lehrerin am Alten Konvikt in Ehingen, aus. Sie hat in den vergangene­n Wochen immer wieder ihre Gedanken durch Tagebuchei­nträge in der Schwäbisch­en Zeitung Ehingen geteilt. Auch die Schüler haben in der Zeit Tagebuch geführt und damit ihren Alltag ohne Schulunter­richt beschriebe­n.

Nach Wochen ohne regulären Unterricht kommt bei Susanna Balg langsam Frust auf. Kraft schöpft sie vor allem aus den Rückmeldun­gen ihrer Zweitkläss­ler. Was genau sie derzeit erlebt, beschreibt sie in einem aktuellen Tagebuchei­ntrag:

„Aus meiner Klasse gibt es ein Mädchen, das immer noch, wie ich, Tagebuch schreibt. Ich bin sehr stolz auf die Kleine. Sie hat mir auch schon einen Brief geschriebe­n und mir Mut zugesproch­en: Frau Balg, Kopf hoch, es wird alles gut. Was will man da noch sagen?

Die Arbeit mit meinen Kindern und den Kindern der Parallelkl­asse erweist sich von Woche zu Woche als schwierige­r. Ich kann nur noch ganz schwer einschätze­n, was Kinder und Eltern zu leisten fähig sind. In letzter Zeit verschätze ich mich allem Anschein nach und bürde Kinder und Eltern zu viel Arbeit auf. Obwohl ich selber zu Beginn gemahnt habe: Denken Sie daran 15 Minuten zu Hause entspreche­n 45 Minuten in der Schule. Das habe ich offensicht­lich vergessen. Mir fehlt die Arbeit mit den Kindern unendlich. Ich brauche die fragenden Gesichter, den direkten Blick auf die Arbeiten, das persönlich­e Gespräch.

Aktuell habe ich das Gefühl, dass ich mehr kaputt machen als beibringen kann. Die Eltern kommen an ihre Grenzen, die Kinder haben keine Lust mehr, ich kann fast den Erwartunge­n nicht mehr gerecht werden, ich verliere den Draht zu meinen Kindern. Das ist der Worst Case. Am Anfang habe ich gedacht, dass ich das locker schaffe, jetzt bin ich im Zweifel, ob die Eltern mich trotz allen Schwierigk­eiten unterstütz­en und die Kinder ’für mich’ weiter arbeiten, wir so tun können, als sei das alles normal. Bislang haben die Eltern aber trotzdem unendlich viel Geduld mit mir, unserem Programm, keiner Anleitung, und einigen Fehlschläg­en aufgebrach­t. Eisern werden die Arbeiten der Kinder übermittel­t und meine Rückmeldun­g angeforder­t, trotz einiger Fehlschläg­e. Ganz ehrlich, ich bin so froh, dass die Eltern so sind, wie sie sind. Nur zusammen kriegen wir das im Augenblick auf die Reihe. Mit diesen Eltern klappt das, glaub ich. Trotzdem warte ich sehnsüchti­g darauf, die Kinder wieder ganz normal, im Unterricht, wie vor drei Monaten, unbeschwer­t und motiviert zu erleben . Ein Wunsch, der sich so nicht erfüllen wird.“

Kontakt hält Susanna Balg weiterhin eifrig mit jedem ihrer Schüler. Die Kinder teilen mit ihr zum Beispiel ihre Tagebuchei­nträge und lassen sie so an ihren Gedanken teilhaben. Aber natürlich geht es auch um den Lernstoff und kreative Aufgaben, die sich Susanna Balg immer wieder versucht, zu überlegen. So durften die Kindern in der vergangene­n Woche für das Thema Körper gestalteri­sch aktiv werden.

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FOTOS: PRIVAT Für etwas Abwechslun­g im Lern-Alltag zuhause versucht Lehrerin Susanna Balg kreativ zu bleiben. Doch nach Wochen ohne persönlich­en Kontakt zu ihren Schülern fällt es mit der Motivation manchmal gar nicht so leicht.
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