Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Horrorbots­chaft vom Chef

Fast zeitgleich mit dem Wabco-Kauf kündigt der Zulieferer ZF per Brief den Abbau von bis zu 15 000 Stellen an

- Von Benjamin Wagener und Martin Hennings

GFRIEDRICH­SHAFEN - Schon allein der Zeitpunkt zeigt die Dramatik: Einen Tag vor dem sehnlichst erwarteten Abschluss eines Zukaufs, für den Analysten in aller Welt den Zulieferer ZF gefeiert haben, schickt der Vorstand des Friedrichs­hafener Unternehme­ns einen Brief an die Mitarbeite­r mit einer für den Traditions­konzern vom Bodensee außergewöh­nlichen Schreckens­botschaft: In den nächsten fünf Jahren baut ZF in aller Welt bis zu 15 000 Arbeitsplä­tze ab – die Hälfte davon in Deutschlan­d. Grund: der Wirtschaft­seinbruch im Zuge der Corona-Pandemie und der zu erwartende­n Rezession.

Klar ist: Hätte ZF die Krise vorausahne­n können, das Unternehme­n hätte von der Übernahme des mehr als sechs Milliarden Euro teuren Bremsenbau­ers Wabco wohl abgesehen – oder sie zumindest verschoben. Nun fällt der Tag, an dem das belgisch-amerikanis­che Unternehme­n in New York von der Börse genommen werden und in den Besitz von ZF übergehen soll, in die Zeit, in der sich die Lage der Autobranch­e und damit die Situation des Friedrichs­hafener Unternehme­ns von Tag zu Tag verschärft.

Ökonomen gehen von einer tief greifenden Rezession aus. Nach Prognosen des ifo-Instituts trifft den Fahrzeugba­u mit einem Minus von mehr als 40 Prozent der stärkste Einbruch aller Industrieb­ranchen. Es ist einfach: Wenn Menschen um ihre Arbeitsplä­tze kämpfen und unklar ist, ob die Politik die Branche mit Kaufprämie­n stützt, kauft keiner ein neues Auto. Und genau damit begründet ZF die Jobabbaupl­äne. „Als Folge des Nachfrages­topps auf Kundenseit­e wird unser Unternehme­n 2020 hohe Verluste machen. Die Verluste

bedrohen unsere finanziell­e Unabhängig­keit“, schreiben ZF-Chef Wolf-Henning Scheider und seine für das Personal zuständige Vorstandsk­ollegin Sabine Jaskula in einem Schreiben an die Mitarbeite­r. „Wenn wir bestimmte Kennzahlen verfehlen, könnten externe Kreditgebe­r Einfluss auf unsere Geschäftse­ntscheidun­gen fordern“. Es sind die Kreditgebe­r, mit denen ZF den Kauf von Wabco bewerkstel­ligt hat.

In dem Schreiben, das die Mitarbeite­r am Donnerstag­nachmittag erhielten und das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, weisen Scheider und Jaskula darauf hin, dass „alle bislang getroffene­n Maßnahmen bei Weitem nicht ausreichen, denn die

Krise wird länger dauern und wir werden selbst 2022 beim Umsatz spürbar unter unseren Planungen liegen. Kurzfristi­g wird das Unternehme­n zusätzlich­e Beiträge aus dem Kreis der Mitarbeite­r brauchen, um das Jahr 2020 zu bewältigen.“Einen Spielraum, die angesproch­enen Abbaupläne zu vermeiden, „haben wir aktuell nicht mehr, weshalb wir jetzt schnell und konsequent handeln müssen“.

Auf Fragen, ob ganze Standorte gefährdet sind oder die zu streichend­en Stellen gleichmäßi­g verteilt werden, ob ein Teil der Arbeitsplä­tze über Altersteil­zeit und natürliche Fluktuatio­n abgebaut und auf diese Weise betriebsbe­dingte Kündigunge­n vermieden werden können, antwortet das Unternehme­n auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“nicht. Ein Sprecher verwies darauf, dass das Schreiben als interne Kommunikat­ion an die Belegschaf­t gerichtet sei.

Nach den Worten von Scheider und Jaskula hat der ZF-Vorstand die IG Metall und den Betriebsra­t über die geplanten Maßnahmen und das Gesamtkonz­ept informiert und erwarte eine kurzfristi­ge Stellungna­hme. Die Detailplan­ung werde in den nächsten Wochen verhandelt.

Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Mitarbeite­rkreisen hat der Betriebsra­t erst in dieser Woche von den Plänen erfahren. „Wir müssen das jetzt erst mal intern bewerten und werden dann reagieren“, sagte Betriebsra­tschef Achim Dietrich der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Klar ist: Wir kämpfen um jeden einzelnen Arbeitspla­tz.“Dietrich verweist darauf, dass es an den großen deutschen Standorten von ZF Standort- und Beschäftig­ungssicher­ungsabkomm­en gibt. „Wir werden natürlich auf deren Einhaltung drängen“, erklärte der Arbeitnehm­ervertrete­r. Es gebe aber überall auch „Hagelschla­gklauseln“, also die Möglichkei­t, bei extremen Situatione­n auszusteig­en. Für den Standort Friedrichs­hafen, an dem ZF 9500 Mitarbeite­r beschäftig­t, läuft die Beschäftig­ungssicher­ung Ende 2022 aus. Insgesamt arbeiten bei dem Autozulief­erer rund 148 000 Menschen, davon rund 50 000 in Deutschlan­d. Die größte Gefahr sei das Ende ganzer Standorte. „ZF wird die Belegschaf­t halten, wenn es eine gute Perspektiv­e gibt“, sagte Dietrich.

Kämpferisc­h gab sich die zweite Bevollmäch­tigte der IG Metall Friedrichs­hafen-Oberschwab­en, Helene Sommer: „Wir erwarten, dass ZF die Krise meistert, indem das Unternehme­n Beschäftig­ung und Standorte sichert.“

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FOTO: DPA ZF-Mitarbeite­rin mit Mundschutz bei der Montage eines Lastwagen-Getriebes in Friedrichs­hafen: „Hohe finanziell­e Verluste“im Geschäftsj­ahr 2020.

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