Horrorbotschaft vom Chef
Fast zeitgleich mit dem Wabco-Kauf kündigt der Zulieferer ZF per Brief den Abbau von bis zu 15 000 Stellen an
GFRIEDRICHSHAFEN - Schon allein der Zeitpunkt zeigt die Dramatik: Einen Tag vor dem sehnlichst erwarteten Abschluss eines Zukaufs, für den Analysten in aller Welt den Zulieferer ZF gefeiert haben, schickt der Vorstand des Friedrichshafener Unternehmens einen Brief an die Mitarbeiter mit einer für den Traditionskonzern vom Bodensee außergewöhnlichen Schreckensbotschaft: In den nächsten fünf Jahren baut ZF in aller Welt bis zu 15 000 Arbeitsplätze ab – die Hälfte davon in Deutschland. Grund: der Wirtschaftseinbruch im Zuge der Corona-Pandemie und der zu erwartenden Rezession.
Klar ist: Hätte ZF die Krise vorausahnen können, das Unternehmen hätte von der Übernahme des mehr als sechs Milliarden Euro teuren Bremsenbauers Wabco wohl abgesehen – oder sie zumindest verschoben. Nun fällt der Tag, an dem das belgisch-amerikanische Unternehmen in New York von der Börse genommen werden und in den Besitz von ZF übergehen soll, in die Zeit, in der sich die Lage der Autobranche und damit die Situation des Friedrichshafener Unternehmens von Tag zu Tag verschärft.
Ökonomen gehen von einer tief greifenden Rezession aus. Nach Prognosen des ifo-Instituts trifft den Fahrzeugbau mit einem Minus von mehr als 40 Prozent der stärkste Einbruch aller Industriebranchen. Es ist einfach: Wenn Menschen um ihre Arbeitsplätze kämpfen und unklar ist, ob die Politik die Branche mit Kaufprämien stützt, kauft keiner ein neues Auto. Und genau damit begründet ZF die Jobabbaupläne. „Als Folge des Nachfragestopps auf Kundenseite wird unser Unternehmen 2020 hohe Verluste machen. Die Verluste
bedrohen unsere finanzielle Unabhängigkeit“, schreiben ZF-Chef Wolf-Henning Scheider und seine für das Personal zuständige Vorstandskollegin Sabine Jaskula in einem Schreiben an die Mitarbeiter. „Wenn wir bestimmte Kennzahlen verfehlen, könnten externe Kreditgeber Einfluss auf unsere Geschäftsentscheidungen fordern“. Es sind die Kreditgeber, mit denen ZF den Kauf von Wabco bewerkstelligt hat.
In dem Schreiben, das die Mitarbeiter am Donnerstagnachmittag erhielten und das der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, weisen Scheider und Jaskula darauf hin, dass „alle bislang getroffenen Maßnahmen bei Weitem nicht ausreichen, denn die
Krise wird länger dauern und wir werden selbst 2022 beim Umsatz spürbar unter unseren Planungen liegen. Kurzfristig wird das Unternehmen zusätzliche Beiträge aus dem Kreis der Mitarbeiter brauchen, um das Jahr 2020 zu bewältigen.“Einen Spielraum, die angesprochenen Abbaupläne zu vermeiden, „haben wir aktuell nicht mehr, weshalb wir jetzt schnell und konsequent handeln müssen“.
Auf Fragen, ob ganze Standorte gefährdet sind oder die zu streichenden Stellen gleichmäßig verteilt werden, ob ein Teil der Arbeitsplätze über Altersteilzeit und natürliche Fluktuation abgebaut und auf diese Weise betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden können, antwortet das Unternehmen auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht. Ein Sprecher verwies darauf, dass das Schreiben als interne Kommunikation an die Belegschaft gerichtet sei.
Nach den Worten von Scheider und Jaskula hat der ZF-Vorstand die IG Metall und den Betriebsrat über die geplanten Maßnahmen und das Gesamtkonzept informiert und erwarte eine kurzfristige Stellungnahme. Die Detailplanung werde in den nächsten Wochen verhandelt.
Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Mitarbeiterkreisen hat der Betriebsrat erst in dieser Woche von den Plänen erfahren. „Wir müssen das jetzt erst mal intern bewerten und werden dann reagieren“, sagte Betriebsratschef Achim Dietrich der „Schwäbischen Zeitung“. „Klar ist: Wir kämpfen um jeden einzelnen Arbeitsplatz.“Dietrich verweist darauf, dass es an den großen deutschen Standorten von ZF Standort- und Beschäftigungssicherungsabkommen gibt. „Wir werden natürlich auf deren Einhaltung drängen“, erklärte der Arbeitnehmervertreter. Es gebe aber überall auch „Hagelschlagklauseln“, also die Möglichkeit, bei extremen Situationen auszusteigen. Für den Standort Friedrichshafen, an dem ZF 9500 Mitarbeiter beschäftigt, läuft die Beschäftigungssicherung Ende 2022 aus. Insgesamt arbeiten bei dem Autozulieferer rund 148 000 Menschen, davon rund 50 000 in Deutschland. Die größte Gefahr sei das Ende ganzer Standorte. „ZF wird die Belegschaft halten, wenn es eine gute Perspektive gibt“, sagte Dietrich.
Kämpferisch gab sich die zweite Bevollmächtigte der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben, Helene Sommer: „Wir erwarten, dass ZF die Krise meistert, indem das Unternehmen Beschäftigung und Standorte sichert.“