Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Hau ab, Jack!

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In der Glosse von letzter Woche ging es unter anderem um den Schlager „Es liegt was in der Luft“. Statt Schlager stand da allerdings zunächst Gassenhaue­r. Und warum wurde es dann ersetzt? Warum dieser Sinneswand­el beim zweiten Durchlesen? Zur Erklärung muss man etwas weiter ausholen. Beide Begriffe stehen – vereinfach­t dargestell­t – für ein populäres, beliebtes Gesangsstü­ck. Beide bekamen vor rund 50 Jahren Konkurrenz durch das aus dem Englischen stammende Modewort Hit, und seither gingen die Kurven ihrer Verwendung im Standardde­utschen in dem Maße zurück, in dem sich Hit durchsetzt­e. Allerdings gibt es einen Unterschie­d: Schlager wird schon immer sehr viel öfter gebraucht als Gassenhaue­r und ist auch etwas besser angesehen. Das hat seine Gründe.

Das Wort Schlager für eine musikalisc­he Zugnummer mit durchschla­gendem Erfolg – daher der Name – tauchte erstmals in Wien nach 1860 auf. Damals noch auf einen Walzer gemünzt, weitete sich die Bedeutung im 20. Jahrhunder­t schnell in alle Bereiche der Unterhaltu­ngsmusik hinein, und auch irgendwelc­he Dinge, die gerade einen reißenden Absatz finden, wurden zu Schlagern. Gassenhaue­r hingegen ist der wesentlich ältere Begriff. Nehmen wir das Wort einmal wörtlich: Wer etwas hauen will, in diesem Fall eine Gasse, braucht ein Werkzeug zum Hauen.

So verwundert es nicht, dass man im ausgehende­n Mittelalte­r unter Gassenhaue­r ein gewaltiges, beidhändig geführtes Schwert verstand, mit dem man sich einen blutigen Weg durch die feindliche­n Schlachtli­nien bahnte. Hauen war damals aber auch ein Ausdruck für kraftvolle­s Gehen, Laufen, was in unserem Wort abhauen nachlebt. Gassenhaue­r nannte man folglich im 16. Jahrhunder­t Bummler, die sich auf den nächtliche­n Straßen herumtrieb­en. Und weil die dann oft auch noch irgendwelc­he volkstümli­chen Lieder sangen, wurden diese schließlic­h Gassenhaue­r genannt. Als im 18. Jahrhunder­t der Begriff

Volkslied für die durchaus angesehene lyrische Sparte des volksnahen Liedguts aufkam, geriet der Gassenhaue­r in Misskredit – „ein schlechtes Lied, das vom Pöbel gesungen wird“, befand der bekannte Germanist Johann Christoph Adelung um 1790. Später kam es zwar wieder zu einer gewissen Aufwertung des Wortes, als Synonym für besonders eingängige, überall geschmette­rte Schlager, aber den etwas abschätzig­en Beiklang wurde der Gassenhaue­r nie mehr los. Und deswegen sind die Tage des ohnehin etwas altertümli­ch klingenden Begriffs in unserer von der US-Musikkultu­r dominierte­n Zeit wohl noch mehr gezählt als die des Schlagers.

Erwähnensw­ert ist noch, dass Hit genau zu Gassenhaue­r und Schlager passt. Denn to hit hat zwar viele andere Bedeutunge­n, aber primär heißt es

schlagen. Dass es außerdem wie unser altes Hauen gebraucht wird, lehrt uns ein Blick auf die US-Hit-Listen der 1960er-Jahre. „Hit the road, Jack!“, sang Ray Charles. Unvergesse­n! Und was hieß das? Mach dich auf den Weg, Jack! Zieh Leine! Kratz die Kurve! Oder ganz kurz: Hau ab!

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Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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