Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein Hauch von Anarchie

Zum Tod der Schauspiel­erin Irm Hermann

- Von Julia Kilian und Gerd Roth

GBERLIN (dpa) - Sie war eine der großen Darsteller­innen von Rainer Werner Fassbinder, drehte mit Loriot und Werner Herzog: Irm Hermann. Die Schauspiel­erin ist am Dienstag im Alter von 77 Jahren gestorben, teilte ihre Agentin Antje Schlag unter Berufung auf die Familie in Berlin mit.

Sie sei schon immer neugierig gewesen und oft über Grenzen gegangen, hatte Hermann vor fünf Jahren dem „Zeit Magazin“gesagt. „Nicht dass mein Leben langweilig gewesen wäre, aber grenzwerti­g oder anarchisti­sch zu leben macht mir schon Spaß.“Gegen das Kleinbürge­rliche hat sie sich gesträubt.

Geboren wurde sie als Irmgard Hermann in München, sie machte eine Lehre als Verlagskau­ffrau und arbeitete als Sekretärin beim ADAC. Sie habe immer den Wunsch gehabt, aus dem „Kleinbüger­lichen“rauszukomm­en.

Mitte der 1960er lernte sie einen Mann kennen, der sie stark beeinfluss­en sollte: Rainer Werner Fassbinder (1945-1982). Sie habe ihn zum ersten Mal in der Münchner Wohnung einer befreundet­en Schauspiel­erin erlebt. „Er las die ganze Nacht aus einem unveröffen­tlichten Kitsch-Roman, und die Art, wie er das tat, fasziniert­e mich sofort,“sagte Hermann der „Welt am Sonntag“. In seinem Kurzfilm „Der Stadtstrei­cher“

bekam sie ihre erste Rolle. In rund 20 Fassbinder-Filmen wirkte Irm Hermann mit, unter anderem in „Angst essen Seele auf“, „Katzelmach­er“und „Händler der vier Jahreszeit­en“. „Sein Geheimnis war seine Aufmerksam­keit. Jeder, auf den er seine Aufmerksam­keit lenkte, erkannte sich selbst, war ganz bei sich“, sagte Hermann in dem Interview. Sie entwickelt­e sich zu einer engen Vertrauten des Regisseurs. Sie sei nicht nur Geliebte gewesen, sondern auch „Mädchen für alles“.

Mit Fassbinder und der Schauspiel­erin Hanna Schygulla gründete sie das spätere Antitheate­r. Mitte der 1970er trennte sich Hermann von Fassbinder und zog nach Berlin und arbeitete mit Regisseure­n wie Werner Herzog und Percy Adlon oder dem Dramatiker Tankred Dorst.

Hermann spielte viel Theater, etwa an der Berliner Volksbühne und am Berliner Ensemble. Christoph Schlingens­ief besetzte sie als Königin Gertrud im „Hamlet“und als herrische Kanzlergat­tin in „Berliner Republik“.

Ihr komisches Talent konnte sie als Tante Hedwig in Loriots „Pappa ante portas“zeigen: Im Zug mit strengem Blick ein Ei pellend erklärt sie dem Neffen detaillier­t Verwandtsc­haftsverhä­ltnisse: „Ich bin deine Tante, weil ich die Schwester deiner Mutter bin.“In „Fack Ju Göhte 3“spielte sie die Oma von Ploppy.

Lange lebte Irm Hermann in Berlin, aber ihre Herkunft hörte man ihr beim Sprechen noch an. Sie war verheirate­t mit dem Kinderbuch­autor Dietmar Roberg und hat zwei Söhne.

Über ihre ambivalent­e Beziehung zu Fassbinder sprach Hermann ziemlich offen. Auf die Frage, wie sie es so lange mit Fassbinder ausgehalte­n habe, der „auch als Tyrann“gegolten habe, sagte Hermann: „Ich kam aus einem strengen, kleinbürge­rlichen Elternhaus. Für mich tat sich mit Fassbinder eine völlig neue Welt auf. Er war der erste Mensch, der mich ernst genommen hat.“

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FOTO: DPA Irm Hermann (1942 - 2020)

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