Der VfB triumphiert nach 0:2-Rückstand
Endo, González und Castro treffen im Topspiel gegen den HSV nach der Pause
GSTUTTGART - Es war das erste Geisterspiel in der langen Geschichte des VfB Stuttgart 1893 e.V., und er hat es mit Glück, Geschick und unglaublicher Moral bestanden. Vor traumhaften Bedingungen in der MercedesBenz-Arena – Abendsonne, 18 Grad, nur die elektrisierende Stimmung der Fans fehlte aufgrund der CoronaPandemie – schlug der VfB den Ligazweiten Hamburger SV im Spitzenspiel der 2. Fußball-Bundesliga am Donnerstagabend mit 3:2 trotz 0:2Rückstand zur Pause, ist nun selbst Zweiter und darf weiter auf den sofortigen Wiederaufstieg hoffen. „Es war nach zwei bitteren Niederlagen und einer katastrophalen ersten Halbzeit sehr wichtig für den Kopf“, sagte Matchwinner Gonzalo Castro bei Sky.
Auch die „Cannstatter Kurve“dürfte es im Fernsehen erfreut zur Kenntnis genommen haben, vermutlich. Denn die treuesten VfB-Anhänger hatten immerhin die Erlaubnis bekommen, ein Transparent ins Stadion zu hängen: „Der Fußball wird leben, euer Business ist krank“, stand darauf. Tatsächlich ist der Fußball ohne Fans vor allem eines: sehr kühl, sachlich, auf das rudimentäre beschränkt: passen, stoppen, flanken, schießen, laufen, grätschen – aber nicht weniger dramatisch.
Das mit dem Laufen und Kämpfen machte der HSV gegen den VfB, der auf drei Positionen verändert war – für Didavi, Karazor (beide gesperrt) und Mario Gomez spielten Silas, Mangala und Al Ghaddioui – vor der Pause bei weitem besser. Er wirkte bissiger, wacher, williger, der VfB verunsichert, fast ängstlich. Nach zehn Minuten hätten die Gäste bereits in Front gehen können. Nach einem Fehlpass von VfB-Verteidiger Pascal Stenzel vor dem eigenen Strafraum flankte Jeremy Dudziak auf Martin Harnik, dessen Kopfball aber zu harmlos war. Kurz darauf die HSV-Führung: VfB-Stürmer Nicolas González verlängerte Aaron Hunts Ecke unfreiwillig per Hinterkopf auf den Finnen Joel Pohjanpalo, der ihn unhaltbar für Gregor Kobel ins rechte untere Eck köpfte. Nach 25 Minuten hatte Stuttgart die erste kleine Chance – Silas zog ab, Heuer Fernandes parierte. Die Daten nach 30 Minuten sagten alles: Der HSV lief nicht nur zwei Kilometer mehr, er gewann auch 72 Prozent der Zweikämpfe. Nach 44 Minuten sah Abwehrchef Holger Badstuber wegen gefährlichen Spiels seine fünfte Gelbe Karte und ist damit am Sonntag in Dresden (13.30 Uhr/Sky) gesperrt, kurz darauf kam es noch dicker: Timo Letschert köpfte Stenzel im Luftkampf aus der Nahdistanz an den erhobenen Arm, und Schiedsrichter Christian Dingert folgte einer der unverständlichsten Regeln, die es wohl im Fußball gibt – er entschied auf Handspiel und auf Elfmeter. Hunt blieb cool und schob den Ball in die Mitte, Kobel lag im falschen Eck. Ein 0:2 zum psychisch ungünstigsten Zeitpunkt.
Oder doch ein heilsames 0:2? „In der Kabine hat es gefetzt“, gestand Stenzel. Der VfB gab nicht auf, im Gegenteil, er kam wie verwandelt aus der Kabine, schon nach 47 Minuten stand es 1:2. Wataru Endo köpfte einen Stenzel-Freistoß in den Winkel, und der VfB-Staff jubelte so laut, dass der Hall von einer Tribüne zur anderen echote. In der 60. Minute wurde es noch lauter, denn diesmal bekam der VfB einen Elfmeter. Der Ex-Hamburger Mangala tauchte nach feinem Spielzug halblinks frei vor Heuer Fernandes auf, verpasste aber den Abschluss und ging nach leichtem Kontakt mit dem Keeper zu Boden. Selten hat ein Spieler wohl einen Elfmeter so sehr gewollt wie Mangala – und er bekam ihn: González verwandelte problemlos zum 2:2.
HSV-Trainer Dieter Hecking brachte zwei neue Spieler (70.), später noch zwei, tatsächlich fing sich sein Team wieder und wurde stärker, ehe auch der VfB wechselte: Stürmer Sasa Kalajdzic gab sein Debüt, zudem kamen der 19-jährige Darko Churlinov und kurz darauf Gonzalo Castro für Al Ghaddioui, Silas und Mangala. Torjäger Mario Gomez schmorte erstaunlicherweise weiter auf der Bank. Kurz vor Ende hatte der VfB die erste Großchance zum Sieg: Stenzels Freistoß prallte gegen den Pfosten. Die zweite allerdings nutzte Stuttgart in der 92. Minute: Der herausragende González tankte sich auf dem linken Flügel durch und passte wunderbar nach innen, wo Castro den Fuß zum 3:2 hinhielt. Der VfB hatte sich für seine unglaubliche Moral und seine Weigerung, aufzugeben, belohnt, alle Spieler rannten im Höchsttempo zu Castro, um ihn zu drücken. „Wir gehen gestärkt aus dem Spiel raus“, meinte Castro.