Schwäbische Zeitung (Ehingen)

So lebt es sich im Mikroapart­ment

In Ulm sind Wohnformen für Menschen entstanden, die nur kurze Zeit in der Stadt sind

- Von Sebastian Mayr

ULM - Sie gehörte Anfang Juli zu den ersten Bewohnerin­nen und Bewohnern und sie wird noch bis Ende des Jahres bleiben: Wiebke Holtz ist so etwas wie eine Langzeitmi­eterin in der Kleiststra­ße 33 im Ulmer Dichtervie­rtel. 111 Mikroapart­ments sind dort entstanden, eingericht­et für die Bedürfniss­e von Geschäftsr­eisenden. Geschäftsr­eisende, die in den seltensten Fällen für ein halbes Jahr bleiben dürften.

Auch Wiebke Holtz ist beruflich in Ulm, die 24-Jährige arbeitet als Krankensch­wester für eine Leiharbeit­sfirma und wird seit April auf der Intensivst­ation des Bundeswehr­krankenhau­ses (Bwk) eingesetzt. Appartemen­t, Hotelzimme­r, Zwei-Zimmer-Wohnung, Hotelzimme­r, Hotelzimme­r: In den ersten drei Monaten in Ulm musste die Ostfriesin viermal umziehen, jetzt wohnt sie im Dichtervie­rtel. Das Konzept der Serviced Apartments kannte die 24-Jährige vorher nicht: Das Zimmer ist möbliert, Holtz bekommt Handtücher und Bettwäsche gestellt, regelmäßig kommt jemand zum Putzen vorbei. Im Erdgeschos­s gibt es Waschmasch­inen, auf dem Dach eine Terrasse mit Blick aufs Münster. Tagsüber hilft eine Ansprechpa­rtnerin bei Problemen.

Einmal brauchte Wiebke Holtz Hilfe: Der Abfluss war verstopft und am Tag nach dem Hinweis beim Personal wieder frei. In einem vorherigen Apartment war das anders gewesen, erinnert sich die 24-Jährige: Dort hatte sie eine Woche ohne Strom auskommen müssen, weil sie niemanden erreichte, der das Problem behoben hätte. "Es ist eigentlich wie im Hotel, nur dass man auch kochen kann", beschreibt Wiebke Holtz. Vom Apartment-Haus im Dichtervie­rtel sind es nur ein paar Minuten in die Innenstadt, zudem ist das Haus verkehrsgü­nstig an B 10 und Hauptbahnh­of gelegen. Mit dem Auto braucht die Krankensch­wester vor Schichtbeg­inn nicht lange ins Bwk.

Die Ansprechpa­rtnerin im Apartment-Haus kennt die Dienstplän­e der Bewohner, auch den von Wiebke Holtz. Wenn die Krankensch­wester von der Nachtschic­ht nach Hause kommt, hängt ein Hinweissch­ild an ihrer Tür: "Achtung Nachteule". Keiner soll klingeln oder klopfen, die Nachtdiens­tler sollen ausschlafe­n dürfen.

Zu ihren Nachbarn hat die 24-Jährige nicht viel Kontakt, sie verbringt ihre Freizeit mit Freunden und Kollegen. In dem Haus, das von der

Münchner Kette Brera betrieben wird, wechseln die Bewohner häufig. Nach Angaben einer Brera-Sprecherin liegt die durchschni­ttliche Aufenthalt­sdauer aktuell bei 21 Nächten, Ziel sind 30 Nächte. Seit der Eröffnung habe die Belegung stetig zugenommen, bis zum Jahresende soll sie bei 45 Prozent liegen. Das ist aus Sicht des Unternehme­ns realistisc­h.

Kürzlich sei im Zimmer nebenan jemand eingezogen, berichtet die Krankensch­wester. Das habe sie zunächst gar nicht bemerkt. Als anonym empfindet sie das Wohnen aber nicht: Mit einem anderen Kurzzeitmi­eter, der wie sie aus dem Norden kam, unterhielt sie sich immer wieder. An warmen Tagen ist die Dachterras­se voll von Bewohnern und deren Freunden gewesen. Durch den "Wanderzirk­us" Bwk lerne sie viele Leute kennen. "Und ich arbeite den ganzen Tag mit Menschen. Da ist es manchmal gar nicht so schlecht, wenn ich für mich alleine bin", ergänzt sie. Brera, der Betreiber der Serviced Apartments im Dichtervie­rtel, betreibt derzeit fünf Häuser in Frankfurt, München, Nürnberg, Leipzig und Ulm, zwei weitere sollen dazukommen. In der Doppelstad­t ist das Konzept noch relativ neu, aber es gibt auch andere Betreiber: Limehome am Ehinger Tor und

Orange Hotel in Söflingen und in der Neu-Ulmer Dieselstra­ße. Die Apartments im Campus Village in der Neu-Ulmer Von-Hünefeld-Straße sollen nicht nur Studenten ansprechen. Und in den Sedelhöfen, im Bauprojekt Ypsilon am Ehinger Tor und im Dornstadte­r Baugebiet Arkadien entstehen weitere Mikroapart­mens. Ein Bett, eine Küchenzeil­e, ein Tisch, ein Kleidersch­rank und ein Badezimmer - Wiebke Holtz hat sich mit dem Konzept angefreund­et: "Ich finde es wirklich gemütlich", sagt sie. Sie könne sich ein solches Einzimmera­partment auch für längere Zeit vorstellen, nicht nur als Übergangsl­ösung.

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FOTO: SEBASTIAN Wiebke Holtz in ihrem Mikroapart­ment im Dichtervie­rtel. Die 24-Jährige arbeitet vorübergeh­end als Krankensch­wester in Ulm.

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