Situation erfordert Kompromisse
ERBACH - Der Schillerschule Erbach ist es nicht mehr erlaubt, ihre Grundschüler einen minimalen Teil des Unterrichtsstoffs in Lernpaketen zu Hause erledigen zu lassen. Einige betroffene Eltern hatten mit einem Protest beim Schulamt Erfolg. Schulleiter Karl Nusser und seine Lehrkräfte hatten in Absprache mit dem Elternbeirat ein Konzept entwickelt, bei dem alle Grundschüler zweimal pro Woche erst zur zweiten Schulstunde zum Unterricht kommen, um aus Coronaschutzgründen das Schüleraufkommen vor Unterrichtsbeginn zu entzerren und Lehrerkapazitäten für die wegen der Coronaauflagen besonders aufwendige Ganztagesbetreuung zu schaffen.
Einige Eltern hatten sich mit dieser Form des Fernlernunterrichts (FLU) nicht einverstanden erklärt – unter anderem deshalb, weil sie der Auffassung sind, dass die Kinder die Aufgaben nicht ohne Hilfe meistern können. Da sie selbst die erforderliche Unterstützung nicht bieten wollen oder können – weil sie zum Beispiel berufstätig sind –, die morgendliche Kernzeitbetreuung (Kerni) der Elterninitiative keine Lerninhalte vermittelt und auch die Ganztagesschule für sie nicht in Frage kommt, pochten sie auf ihr Recht auf Präsenzunterricht.
Und bekamen vom Schulamt Recht. FLU dürfe nur dort eingesetzt werden, wo es zum Beispiel wegen eines Infektionsgeschehens zur Schließung kommt oder nicht genügend Lehrer wegen Vorerkrankungen oder Schwangerschaft nicht vor Ort sein können. In diesem Fall müssten die Lehrer, da sie nicht vom Dienst befreit sind, andere Unterrichtsformen im Klassenzimmer anbieten – zum Beispiel über Video. Die Aufsicht könnte eine beliebige, dazu fähige Person übernehmen. Das Argument der Schule, dass man nicht genügend Lehrkräfte für kompletten Präsenzunterricht zur Verfügung hat, lässt das Schulamt nicht gelten. Die Schule sei ausreichend ausgestattet, teilte Schulleiter Nusser mit.
Der ist ziemlich angefressen ob der jüngsten Entwicklung. Er und sein Kollegium setzten alles daran, unter den gegebenen Pandemiebedingungen einen bestmöglichen Unterricht anzubieten und zugleich die Schüler und sich selbst vor einer Infektionsgefahr zu schützen. „Wir haben immer weniger Lehrkräfte zur Verfügung, ohne Vertretungen zu bekommen. Mein Kollegium arbeitet am Anschlag, ich bin begeistert von der Einsatzbereitschaft aller, aber allmählich sehe ich die Gefahr, dass die Motivation schwindet“, sagt Karl Nusser im SZ-Gespräch. Er ärgere sich maßlos darüber, „dass wir keine Unterstützung bekommen. Man schickt uns ohne Waffen an die Front. Wir in der Schule sollen so tun, als ob es keine Pandemie gäbe“.
Karl Nusser ist verärgert, und das ist verständlich. Da erarbeitet die Schulleitung, gemeinsam mit dem Kollegium und nach Rücksprache mit dem El- ternbeirat, mit größter Mühe ein Konzept, das den Spagat zwischen Verantwortung für die Gesundheit der Schüler und Lehrkräfte einerseits und dem Anspruch auf guten Unterricht andererseits zu meistern scheint – und dann sind es ein paar wenige, die das Ganze aushebeln, weil sie vehement auf ein Recht pochen, das in gewöhnlichen Zeiten eine Selbstverständlichkeit wäre. Nun sind diese Zeiten aber alles andere als gewöhnlich. Vielmehr sind Kompromisse gefragt, um die Herausforderungen der Pandemie zu meistern. Zwei bis drei Wochenstunden zusätzliche, nennen wir es Hausaufgaben, sollten zu meistern sein, zumal es an der Schule ja durchaus Hilfsangebote wie Kernzeit- und Ganztagesbetreuung
Das gehe nur so lange gut, „bis es zur Katastrophe kommt“.
Diese – sprich ein größeres Infektionsgeschehen in der gesamten Schule – zu verhindern, sei sein oberstes Ziel. Es sei eine enorme Herausforderung, trotz erheblicher Platzprobleme – auf dem Gelände der Grund-, Real- und Gemeinschaftsschule
gibt. Vielleicht mag das nicht für alle passend sein, aber es sollte doch andere Lösungen geben, als im Schulgesetz zu blättern und den passenden Paragraphen herauszupicken. Schade, dass dem Schulamt auch nichts Besseres einfällt, als der Schule die juristische Pistole auf die Brust zu setzen. Die Schulleitungen, und nicht nur die an der Erbacher Schillerschule, jedenfalls sind um ihre Herkulesaufgaben nicht zu beneiden. Bleibt zu hoffen, dass andernorts die Bereitschaft, die Herausforderungen gemeinsam und mit Rücksicht aufeinander zu bewältigen, größer ist. Übrigens: Es würde nicht wundern, wenn unter den ersten, die bei einem Coronaausbruch an der Erbacher Schillerschule mit Vorwürfen um die Ecke kommen, auch einige jener Eltern wären, die nun ohne Wenn und Aber auf den Präsenzunterricht pochen.
versammeln sich täglich rund 1000 Schüler und 100 Lehrer – das erforderliche Hygienekonzept umzusetzen. Und trotz des Personalmangels habe man es geschafft, interne Vertretungsreserven zu schaffen. Dazu seien aber auch Kompromisse im Unterrichtsangebot nötig. Nusser: „Wir reduzieren ja nicht unser Programm, wenn wir es ganz einfach auch anders bewältigen könnten. Aber unsere Versorgung reicht gerade fürs Minimum. Und bei dem Fernlernunterricht – Lernpakete sind eigentlich der passendere Ausdruck – geht es darum, dass die Kinder zwei bis drei Stunden pro Woche zusätzliche Übungsaufgaben zu Hause machen, manchmal auch nur etwas basteln, und nicht um neue wichtige Lernstoffe.“Er könne verstehen, dass es Eltern gebe, die die dabei nötige Unterstützung ihren Kindern nicht geben könnten. Aber dafür habe man das Kerni-Angebot, in dem ein Teil der Aufgaben bewältigt werden könne, und das Ganztagesbetreuung, das komplette Unterstützung biete. Die Lösung mit den Lernpaketen sei mit dem Elternbeirat abgesprochen gewesen: „Die meisten Eltern sind auch zufrieden damit.“Aber er habe den Eindruck, dass es einigen wenigen ums bloße Recht und nicht um die gemeinsame Bewältigung der Pandemiebedingungen gehe.
Man werde sich aber dem amtlichen Willen beugen und so bald wie möglich („Wir können nicht von heute auf morgen zurückrudern“) in den hundertprozentigen Präsenzunterricht wechseln. „Ich kann aber nicht garantieren, dass das gut geht und nicht doch irgendwann ganze Klassen zu Hause bleiben müssen“, sagt der Schulleiter mit Blick auf die Infektionsgefahr.