Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Situation erfordert Kompromiss­e

- Von Reiner Schick ●» r.schick@schwaebisc­he.de

ERBACH - Der Schillersc­hule Erbach ist es nicht mehr erlaubt, ihre Grundschül­er einen minimalen Teil des Unterricht­sstoffs in Lernpakete­n zu Hause erledigen zu lassen. Einige betroffene Eltern hatten mit einem Protest beim Schulamt Erfolg. Schulleite­r Karl Nusser und seine Lehrkräfte hatten in Absprache mit dem Elternbeir­at ein Konzept entwickelt, bei dem alle Grundschül­er zweimal pro Woche erst zur zweiten Schulstund­e zum Unterricht kommen, um aus Coronaschu­tzgründen das Schülerauf­kommen vor Unterricht­sbeginn zu entzerren und Lehrerkapa­zitäten für die wegen der Coronaaufl­agen besonders aufwendige Ganztagesb­etreuung zu schaffen.

Einige Eltern hatten sich mit dieser Form des Fernlernun­terrichts (FLU) nicht einverstan­den erklärt – unter anderem deshalb, weil sie der Auffassung sind, dass die Kinder die Aufgaben nicht ohne Hilfe meistern können. Da sie selbst die erforderli­che Unterstütz­ung nicht bieten wollen oder können – weil sie zum Beispiel berufstäti­g sind –, die morgendlic­he Kernzeitbe­treuung (Kerni) der Elterninit­iative keine Lerninhalt­e vermittelt und auch die Ganztagess­chule für sie nicht in Frage kommt, pochten sie auf ihr Recht auf Präsenzunt­erricht.

Und bekamen vom Schulamt Recht. FLU dürfe nur dort eingesetzt werden, wo es zum Beispiel wegen eines Infektions­geschehens zur Schließung kommt oder nicht genügend Lehrer wegen Vorerkrank­ungen oder Schwangers­chaft nicht vor Ort sein können. In diesem Fall müssten die Lehrer, da sie nicht vom Dienst befreit sind, andere Unterricht­sformen im Klassenzim­mer anbieten – zum Beispiel über Video. Die Aufsicht könnte eine beliebige, dazu fähige Person übernehmen. Das Argument der Schule, dass man nicht genügend Lehrkräfte für kompletten Präsenzunt­erricht zur Verfügung hat, lässt das Schulamt nicht gelten. Die Schule sei ausreichen­d ausgestatt­et, teilte Schulleite­r Nusser mit.

Der ist ziemlich angefresse­n ob der jüngsten Entwicklun­g. Er und sein Kollegium setzten alles daran, unter den gegebenen Pandemiebe­dingungen einen bestmöglic­hen Unterricht anzubieten und zugleich die Schüler und sich selbst vor einer Infektions­gefahr zu schützen. „Wir haben immer weniger Lehrkräfte zur Verfügung, ohne Vertretung­en zu bekommen. Mein Kollegium arbeitet am Anschlag, ich bin begeistert von der Einsatzber­eitschaft aller, aber allmählich sehe ich die Gefahr, dass die Motivation schwindet“, sagt Karl Nusser im SZ-Gespräch. Er ärgere sich maßlos darüber, „dass wir keine Unterstütz­ung bekommen. Man schickt uns ohne Waffen an die Front. Wir in der Schule sollen so tun, als ob es keine Pandemie gäbe“.

Karl Nusser ist verärgert, und das ist verständli­ch. Da erarbeitet die Schulleitu­ng, gemeinsam mit dem Kollegium und nach Rücksprach­e mit dem El- ternbeirat, mit größter Mühe ein Konzept, das den Spagat zwischen Verantwort­ung für die Gesundheit der Schüler und Lehrkräfte einerseits und dem Anspruch auf guten Unterricht anderersei­ts zu meistern scheint – und dann sind es ein paar wenige, die das Ganze aushebeln, weil sie vehement auf ein Recht pochen, das in gewöhnlich­en Zeiten eine Selbstvers­tändlichke­it wäre. Nun sind diese Zeiten aber alles andere als gewöhnlich. Vielmehr sind Kompromiss­e gefragt, um die Herausford­erungen der Pandemie zu meistern. Zwei bis drei Wochenstun­den zusätzlich­e, nennen wir es Hausaufgab­en, sollten zu meistern sein, zumal es an der Schule ja durchaus Hilfsangeb­ote wie Kernzeit- und Ganztagesb­etreuung

Das gehe nur so lange gut, „bis es zur Katastroph­e kommt“.

Diese – sprich ein größeres Infektions­geschehen in der gesamten Schule – zu verhindern, sei sein oberstes Ziel. Es sei eine enorme Herausford­erung, trotz erhebliche­r Platzprobl­eme – auf dem Gelände der Grund-, Real- und Gemeinscha­ftsschule

gibt. Vielleicht mag das nicht für alle passend sein, aber es sollte doch andere Lösungen geben, als im Schulgeset­z zu blättern und den passenden Paragraphe­n herauszupi­cken. Schade, dass dem Schulamt auch nichts Besseres einfällt, als der Schule die juristisch­e Pistole auf die Brust zu setzen. Die Schulleitu­ngen, und nicht nur die an der Erbacher Schillersc­hule, jedenfalls sind um ihre Herkulesau­fgaben nicht zu beneiden. Bleibt zu hoffen, dass andernorts die Bereitscha­ft, die Herausford­erungen gemeinsam und mit Rücksicht aufeinande­r zu bewältigen, größer ist. Übrigens: Es würde nicht wundern, wenn unter den ersten, die bei einem Coronaausb­ruch an der Erbacher Schillersc­hule mit Vorwürfen um die Ecke kommen, auch einige jener Eltern wären, die nun ohne Wenn und Aber auf den Präsenzunt­erricht pochen.

versammeln sich täglich rund 1000 Schüler und 100 Lehrer – das erforderli­che Hygienekon­zept umzusetzen. Und trotz des Personalma­ngels habe man es geschafft, interne Vertretung­sreserven zu schaffen. Dazu seien aber auch Kompromiss­e im Unterricht­sangebot nötig. Nusser: „Wir reduzieren ja nicht unser Programm, wenn wir es ganz einfach auch anders bewältigen könnten. Aber unsere Versorgung reicht gerade fürs Minimum. Und bei dem Fernlernun­terricht – Lernpakete sind eigentlich der passendere Ausdruck – geht es darum, dass die Kinder zwei bis drei Stunden pro Woche zusätzlich­e Übungsaufg­aben zu Hause machen, manchmal auch nur etwas basteln, und nicht um neue wichtige Lernstoffe.“Er könne verstehen, dass es Eltern gebe, die die dabei nötige Unterstütz­ung ihren Kindern nicht geben könnten. Aber dafür habe man das Kerni-Angebot, in dem ein Teil der Aufgaben bewältigt werden könne, und das Ganztagesb­etreuung, das komplette Unterstütz­ung biete. Die Lösung mit den Lernpakete­n sei mit dem Elternbeir­at abgesproch­en gewesen: „Die meisten Eltern sind auch zufrieden damit.“Aber er habe den Eindruck, dass es einigen wenigen ums bloße Recht und nicht um die gemeinsame Bewältigun­g der Pandemiebe­dingungen gehe.

Man werde sich aber dem amtlichen Willen beugen und so bald wie möglich („Wir können nicht von heute auf morgen zurückrude­rn“) in den hundertpro­zentigen Präsenzunt­erricht wechseln. „Ich kann aber nicht garantiere­n, dass das gut geht und nicht doch irgendwann ganze Klassen zu Hause bleiben müssen“, sagt der Schulleite­r mit Blick auf die Infektions­gefahr.

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FOTO: KURT EFINGER Karl Nusser
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