„Heimaten sind Konzepte von Zugehörigkeit“
Saša Stanišic erhält den Eichendorff-Preis – Seinen Streit mit Peter Handke bezeichnet er als Aufklärungsarbeit
Für seinen Roman „Herkunft“wurde Saša Stanišic 2019 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. In seiner Dankesrede hat der bosnische Autor damals den Literaturnobelpreisträger Peter Handke scharf für seine Darstellung des Jugoslawienkriegs kritisiert. Nun bekommt Stanišic den EichendorffPreis des Wangener Kreises. Ursprünglich sollte er diesen am Sonntag in der Wangener Stadthalle im Rahmen der 37. Baden-Württembergischen Literaturtage entgegennehmen. Sowohl er als auch Laudatorin Ilma Rakusa haben ihre Teilnahme an der Veranstaltung jedoch abgesagt, wie der Leiter des Wangener Kulturamts, Hermann Spang, auf Anfrage mitteilt. Grund sei, dass beide aus Risikogebieten anreisen müssten. Die Veranstaltung fällt nun aus, Stanišic erhält seine Urkunde auf postalischem Weg. Im Interview mit Christina Mikalo hat er über seine Ehrung und seinen Roman gesprochen.
Sie erhalten den Eichendorff-Preis des Wangener Kreises, der sich schon früh für eine Aussöhnung mit Polen eingesetzt hat. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Jede Auszeichnung lebt von einer Geschichte dahinter. Im Rheingau habe ich den Rheingauer Literaturpreis erhalten, der mit 111 Flaschen Rheingauer Riesling dotiert war. 111 Flaschen Riesling zu trinken, ist keine einfache Aufgabe, man kommt kaum noch zum Schreiben. Und jetzt: Eichendorff: ein Autor, der mich stets begleitet hat, als Lektüre und auch als Figur: Ich erfreue mich dieser Nähe.
„Herkunft“ist ein Buch über Ihre „Heimaten“, wie Sie schreiben. Warum benutzen Sie dieses Wort in der Mehrzahl?
Heimaten sind Konzepte von Zugehörigkeit. Mal emotional, mal geografisch, mal sinnlich. Mal aus einem Verlust geboren, mal niemals verloren. In der Jugend oft anders bewertet als mit einer Reife. Der Begriff ist für mich also mehrfach besetzt und mit zahlreichen sehr unterschiedlichen Geschichten untermalt – eine Art kakofonische Sinfonie aus Erinnerungen, Orten, Menschen, die nur für mich Sinn macht, mich bewegt und auch definiert als den Menschen, der ich heute bin.
Sie wurden in Bosnien geboren und sind mit 14 Jahren vor dem Jugoslawienkrieg nach Heidelberg geflohen. Wie haben Sie Flucht und Ankunft erlebt?
Überforderung, Angst, Unsicherheit, Fragen ohne klare Antworten, Schlaflosigkeit, Befremdung, Isolation, Müdigkeit, Sorge.
Mit Ihrer Kritik an Peter Handkes Darstellung des Jugoslawienkriegs haben Sie eine Debatte über Wahrheit und Lüge in der Literatur entfacht. Was hat diese bewirkt?
Dass diejenigen, die Handkes Jugoslawien-Texte in der Zukunft – oder noch einmal – lesen, sie aufgeklärt lesen werden. Das heißt: mit Tatsachenwissen
ausgestattet, dem Wissen um Täter und Opfer, um Kriegsverbrechen und Genozid, um so der, den Texten innewohnenden Geschichtsklitterung und der ideologisch-tendenziösen Parteinahme Handkes für ein nationalistisches, mörderisches Regime mit der höchst notwendigen Vorsicht begegnen zu können.