Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Schwein gehabt

Der Weltsparta­g am 31. Oktober erscheint heute wie ein Relikt aus vergangene­n Zeiten

- Von Thomas Spengler

STUTTGART - Es mag eine Reihe von genialen Marketing-Ideen geben, die in der Finanzbran­che als Klassiker gelten. Dazu gehören die Slogans „Wenn’s um Geld geht, Sparkasse“oder das „Wir machen den Weg frei“der Volks- und Raiffeisen­banken. Auch das Logo der Deutschen Bank „Schrägstri­ch im Quadrat“von 1974, das „Wachstum in einem stabilen Umfeld“symbolisie­ren soll, wäre zu nennen. Und dann gibt es da noch einen Marketing-Event, der heute wie ein Relikt aus längst vergangene­n Zeiten anmutet: der Weltsparta­g, der seit 1925 für die Förderung des Spargedank­ens wirbt. Alljährlic­h locken seitdem Finanzinst­itute mit Plüschtier­en und Spardosen, damit Kinder ihr Erspartes auf ihr Sparbuch einzahlen. Gerne erinnert sich der Autor noch, wie auch er sein Sparschwei­n 1970 zur heimischen Volksbank trug, um es dort „schlachten zu lassen“. Als Dank gab’s dafür Autogramme der damaligen VfB-Profis Gerhard Heinze und Jan Olsson. Aber natürlich gab es auch noch echte Zinsen. Bei stolzen 4,50 Prozent lag damals der durchschni­ttliche Zinssatz für Spareinlag­en mit dreimonati­ger Kündigungs­frist. Schwein gehabt, denkt man sich im Nachhinein – und weil beim jährlichen Nachtrag des Sparbüchle­ins eine ordentlich­e Verzinsung auf die jungen Sparer wartete, machte es Spaß, den Umgang mit Geld durch Konsumverz­icht einzuüben.

Inzwischen haben sich die Rahmenbedi­ngungen freilich stark verändert. Lediglich 0,1 Prozent Zinsen (2019) gibt es heute durchschni­ttlich für Spareinlag­en, nachdem dieser Wert bis zur Finanzkris­e 2008 noch bei 2,5 Prozent gelegen hatte. Und dennoch legen die Sparer heute ihr Geld weiterhin gerne auf die hohe Kante. 2019 waren es noch 10,9 Prozent ihres verfügbare­n Einkommens, das private

Haushalte zur Bank trugen. Im laufenden Jahr soll die Sparquote sogar auf 16 Prozent hochgehen, wie die DZ Bank in einer aktuellen Studie prognostiz­iert. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Wegen der herrschend­en Unsicherhe­it durch die Pandemie überschwem­men die Anleger Kreditinst­itute mit Geld, das diese eigentlich gar nicht wollen. Daher versuchen Banken und Sparkassen zunehmend die Einlagensc­hwemme insbesonde­re von Neukunden mit Strafzinse­n abzuwehren.

Der Ärger darüber ist groß, doch kann er auch sein Gutes haben. Nämlich dann, wenn sich Sparer deshalb mit Alternativ­en bei ihrer Vermögensa­nlage befassen. Und die bietet nun mal der Kapitalmar­kt. Denn was geschieht, wenn Bargeld und Einlagen aktuell mit 40 Prozent immer noch die bedeutends­te Anlageklas­se von privaten Haushalten ausmachen? Spar- und Tagesgeldk­onten bringen so gut wie nichts, sondern verringern auf Dauer die Kaufkraft der Anleger. Ergo: Durch ihr Sparverhal­ten verlieren die Deutschen jedes Jahr Geld. Leicht negative Inflations­raten der letzten Monate kaschieren diesen Effekt derzeit zwar ein wenig, dennoch ist für das Gesamtjahr eine Geldentwer­tung von 0,5 Prozent zu erwarten. Vor diesem Hintergrun­d empfiehlt die Bundesbank Sparern ausdrückli­ch, stärker als bisher auf unterschie­dliche Anlageform­en zu setzen. Gemeint sind Aktien, Schuldvers­chreibunge­n, Investment­fondsantei­le und Ansprüche gegenüber Versicheru­ngen. Ganz nach dem Motto „Die Mischung macht’s“. Und tatsächlic­h hat es ja ausgerechn­et im Corona-Jahr 2020 eine verstärkte Hinwendung der Deutschen zu Aktien gegeben. Dennoch standen per 30. Juni laut Bundesbank knapp 800 Milliarden

Euro an Aktienverm­ögen der Deutschen immer noch 2,7 Billionen Euro auf Girokonten, Termin- und Spareinlag­en sowie als Bargeld gegenüber. Da kann schon mal an eine Umschichtu­ng nachgedach­t werden.

Und während in jenen längst vergangene­n Zeiten des Zins- und Zinseszins­es für viele das Sparbuch als zentrales Anlageinst­rument galt, hatte der Weltsparta­g eine besondere Berechtigu­ng. In heutigen zinsfreien Zeiten, in denen die Finanzinst­itute eigentlich gar keine Spareinlag­en mehr haben wollen, ist der Tag zum Anachronis­mus geworden. Um der Komplexitä­t der Ertragssit­uation am Kapitalmar­kt aber gerecht zu werden, bräuchte es eher einer neuen Marketingi­dee für die Finanzwirt­schaft. So könnte der Weltsparta­g im Sinne einer breiten Produktpal­ette vielleicht zum „Weltanlage­tag“werden. Und am besten streicht man gleich noch den Begriff „Welt“. Autogramme von Fußball-Profis kann’s ja dann dennoch geben.

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FOTO: PETRA SCHNEIDER-SCHMELZER/IMAGO IMAGES Alljährlic­h locken Finanzinst­itute mit Plüschtier­en und Spardosen, damit Kinder ihr Erspartes auf ihr Sparbuch einzahlen.
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