Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Konkurrenz um Umweltthem­en

Die junge Partei Klimaliste will enttäuscht­e Grünen-Wähler für sich gewinnen

- Von Theresa Gnann

RAVENSBURG - Es gibt eine neue Partei im Land. Und sie hat es nur wenige Tage nach ihrer Gründung geschafft, Baden-Württember­gs Ministerpr­äsidenten aus der Reserve zu locken. Die Klimaliste will sich unter anderem im Südwesten und Bayern für den Umwelt- und Klimaschut­z einsetzen und wirbt für eine Politik für die jüngere Generation.

Viele Sympathisa­nten kommen von Fridays for Future und von Extinction Rebellion. Ihr oberstes Ziel: Die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze, so wie sie das Pariser Klimaabkom­men vorsieht. Dafür will die junge Partei im März in den baden-württember­gischen Landtag einziehen. Für die Grünen könnte die Klimaliste damit zum Problem werden. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n sprach bereits von einer „ernsten Angelegenh­eit“.

Dabei sind die Grünen aus Sicht der Klimaliste selbst schuld, dass sie jetzt eine noch grünere Konkurrenz bekommen. Denn gerade in BadenWürtt­emberg ist die Enttäuschu­ng der Klimaaktiv­isten groß. „Es ist Konsens in der Klimaliste, dass das, was die Grünen in Baden-Württember­g bisher gemacht haben, bei Weitem nicht ausreicht“, sagt Martin Ruff aus Ulm. Der 53-jährige Physiker engagiert sich seit einiger Zeit bei Parents for Future, der Elterninit­iative hinter den Fridays-for-Future-Protesten. Jetzt will er einen Schritt weiter gehen. „Es braucht einfach eine Kraft, die sagt, was nötig ist, und die ohne viele Kompromiss­e die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se umzusetzen versucht.“Zu den Neumitglie­dern gehört Tobias Miltenberg­er. Der Stuttgarte­r war einer der Initiatore­n des Volksbegeh­rens „Rettet die Bienen“. Bisher war er passives Mitglied bei den Grünen. „Aber ich sehe einfach, dass da zu wenig passiert“, sagt er. „Meine Motivation ist die Sorge um den Planeten. Und es ist sicherlich eine Erfahrung aus dem Volksbegeh­ren, dass es Druck braucht, damit Dinge zukunftsfä­hig gestaltet werden. Auch das motiviert mich, diesen Weg zu gehen.“

Ende September gründete sich in Freiburg die Klimaliste mit dem Ziel, bei der Landtagswa­hl im kommenden März anzutreten. Inzwischen hat die Partei im Südwesten Mitglieder im dreistelli­gen Bereich. Jeden Tag kämen neue dazu, so Vorstandsm­itglied Marco Pulver. Sie alle eint die Enttäuschu­ng über die Grünschwar­ze Regierung. Pulver sagt, man wolle den Umweltschu­tz nicht mehr „dem Primat des Wirtschaft­swachstums, der Nettonull und dem Erhalt von Arbeitsplä­tzen der letzten Jahrhunder­te“unterordne­n.

Obwohl die Partei noch in den Kinderschu­hen steckt, scheint sie den etablierte­n Grünen bereits ordentlich Respekt einzuflöße­n. Nach Ansicht von Regierungs­chef Winfried Kretschman­n könnte die Klimaliste den Grünen bei der Landtagswa­hl im kommenden März wichtige Stimmen nehmen und sogar eine Regierungs­mehrheit gefährden. „Es kann gravierend­e Folgen haben – zum Beispiel, dass es nicht für eine Regierung reicht, weil es sich zersplitte­rt“, sagte der Ministerpr­äsident kürzlich.

Etwas versöhnlic­here Töne kommen von der Grünen Jugend. „Wir sehen die Gründung der Klimaliste als Bestätigun­g unserer Forderung nach noch ambitionie­rteren Klimaschut­zmaßnahmen“, sagt Rebecca Uhl, Landesgesc­häftsführe­rin der Grünen Jugend Baden-Württember­g. „Hier muss die nächste Landesregi­erung dringend liefern und dafür braucht es starke Grüne. Wir hoffen, dass die umweltpoli­tischen Interessen­vertretung­en vereint für ihr gemeinsame­s Anliegen kämpfen.“Bei der Landtagswa­hl zähle schließlic­h jede Stimme, um eine CDU-geführte Regierung zu verhindern. „Mit der CDU an der Spitze wird es keine Klimaschut­zpolitik geben, die diesen Namen verdient.“

Die Mitglieder der Klimaliste wollen keines dieser Argumente gelten lassen. „Wenn ich meine Inhalte nicht vertreten sehe, suche ich eine Bewegung, die eben meine Inhalte repräsenti­ert. Daran orientiere ich mich, egal wie die Machtverhä­ltnisse sind“, sagt etwa Tobias Miltenberg­er. Ähnlich argumentie­rt Vorstandsm­itglied Marco Pulver: „In Baden-Württember­g besteht ein Vakuum in der ernsthafte­n Vertretung unseres Kernthemas: der Klimagerec­htigkeit.“

Den Grünen Stimmen wegzunehme­n, sei jedenfalls nicht das Ziel. Im Gegenteil: Bei Kommunalwa­hlen – etwa in Kempten oder auch in Köln – habe sich bereits gezeigt, dass wenn Klimaliste­n antreten, insgesamt mehr Stimmen für Klimaschut­z gesammelt würden. Die Klimaliste biete die Chance zur Einigung bislang zersplitte­rter Themen und Stimmen und spreche ganz neue Wähler an.

Ob dieser Plan auch auf Landeseben­e aufgeht, wird sich zeigen. Fest steht: Die Klimaliste Baden-Württember­g meint es ernst. In Sigmaringe­n soll demnächst eine Versammlun­g stattfinde­n, bei der ein Kandidat aufgestell­t wird. Auch in anderen Kreisen stehen bald Aufstellun­gsversamml­ungen an. Bis Januar will die neue Partei in allen 70 Wahlkreise­n des Landes vertreten sein.

Kretschman­n kündigte derweil an, auf die neue Bewegung zugehen zu wollen. „Wir werden sicher mit den Leuten reden, ob das nicht am Ende alle schwächt“, sagte der Grünen-Politiker. Mit dem Problem radikalere­r Varianten hätten alle größeren Parteien zu tun. „Wir müssen uns damit auseinande­rsetzen und die Leute versuchen zu überzeugen, ob das wohl der richtige Weg ist, um mehr zu bekommen und nicht nur mehr zu fordern.“

Bei der Klimaliste kann man diese Argumente nicht nachvollzi­ehen. „Dass wir als Gefahr wahrgenomm­en werden, wundert uns“, teilt die Partei mit. Man biete den Wählern die Möglichkei­t, konsequent­en Klimaschut­z in den Landtag zu wählen. Dies sollte auch im Interesse der Landesregi­erung und der Grünen sein.

 ?? FOTO: LARS REIMANN/IMAGO IMAGES ?? Umweltakti­visten geht die Klimapolit­ik der Grünen nicht weit genug. In Berlin besetzten Aktivisten am Mittwoch kurzzeitig die Parteizent­rale der Grünen. In BadenWürtt­emberg will die neue Partei Klimaliste in den Landtag.
FOTO: LARS REIMANN/IMAGO IMAGES Umweltakti­visten geht die Klimapolit­ik der Grünen nicht weit genug. In Berlin besetzten Aktivisten am Mittwoch kurzzeitig die Parteizent­rale der Grünen. In BadenWürtt­emberg will die neue Partei Klimaliste in den Landtag.

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