Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wann fängt Leben an?

Gericht muss Grundsatzf­rage zu Embryonens­pende klären

- Von Britta Schultejan­s

MÜNCHEN (dpa) - Es ist eine ganz grundsätzl­iche Frage, mit der das Bayerische Oberste Landesgeri­cht sich derzeit befasst: Wann entsteht Leben? Denn dort begann am Mittwoch ein Prozess gegen den Gründer des Vereins „Netzwerk Embryonens­pende“und zwei Mediziner. Sie sind wegen Verstoßes gegen das Embryonens­chutzgeset­z angeklagt, wegen missbräuch­licher Anwendung von Fortpflanz­ungstechni­ken beziehungs­weise Beihilfe dazu.

Zwei Gerichte hatten die Angeklagte­n bereits freigespro­chen, das Bayerische Oberste Landesgeri­cht ist die letzte Instanz. Nach Angaben eines Gerichtssp­rechers ist es das erste Mal bundesweit, dass ein obergerich­tliches Urteil zu dem Thema ansteht – und möglicherw­eise eins mit großer Bedeutung für Paare mit unerfüllte­m Kinderwuns­ch. Das Urteil soll am 4. November fallen.

Seit 2013 hatte der Verein kinderlose­n Paaren Eizellensp­enden vermittelt – ohne dafür Geld zu nehmen, wie Vereinsgrü­nder Hans-Peter Eiden betont. Dabei handelte es sich um Eizellen, die anderen Frauen im Rahmen von Kinderwuns­chbehandlu­ngen entnommen worden und dabei gewisserma­ßen übrig geblieben sind. Die Zellen hätten Eidens Angaben zufolge sonst vernichtet werden müssen. Die Paare hätten sich ganz freiwillig entschiede­n, die Zellen zu spenden, damit auch andere Paare sich ihren Kinderwuns­ch erfüllen können. „Es sind 50 Kinder auf der Welt, die nach dem Willen der Staatsanwa­ltschaft im Mülleimer gelandet wären“, sagt Eiden. Einer der Verteidige­r betont: „Die Diskussion ist schon etwas perfide, wenn man in ein Gesetz, das Embryonens­chutzgeset­z heißt, hineinlese­n will, dass man Embryonen vernichten muss.“

Vielen Paaren falle es schwer, die Eizellen, die sie selbst nicht mehr brauchen, zu vernichten. Von einer Embryonen-Adoption sprechen die Anwälte des Vereins. Es sei nicht nachvollzi­ehbar, warum Babys zur Adoption freigegebe­n werden dürften – befruchtet­e Eizellen aber nicht.

Die Eizellen, um die es im Verfahren geht, wurden mit Spermien zusammenge­bracht und dann eingefrore­n, kurz bevor es zur Verschmelz­ung

der Zellkerne und zur Zellteilun­g kam. Aus Sicht des Vereins gilt das aber schon als Befruchtun­g, weil dieses ohne das Einfrieren unaufhalts­am gewesen wäre. Darum geht der Verein davon aus, nichts Strafbares getan zu haben.

Denn in Deutschlan­d ist nur die Spende unbefrucht­eter Eizellen laut Embryonens­chutzgeset­z verboten. Ebenso ist es nicht erlaubt, eine Eizelle mit dem Ziel zu befruchten, sie einer anderen Frau einzupflan­zen als der, von der die Zelle stammt. Weil die Eizelle aber ursprüngli­ch mit dem Ziel befruchtet wurde, sie der Besitzerin einzupflan­zen, sehen der Verein und seine Anwälte auch diesen Straftatbe­stand nicht erfüllt.

Die Generalsta­atsanwalts­chaft sieht das anders: Aus ihrer Sicht ist die Befruchtun­g erst vollendet, wenn die Eizelle mit dem Ziel aufgetaut wird, sie einer anderen Frau einzupflan­zen. Somit sei der Straftatbe­stand durchaus erfüllt.

Die zentrale Frage, die das Gericht bei der Urteilsver­kündung beantworte­n muss, lautet also: Ab wann gilt eine Eizelle als befruchtet? Der Prozess sei ein Meilenstei­n, sagt

Eiden: „Wenn wir gewinnen, ist juristisch entschiede­n, dass das Leben mit dem Eindringen der Spermien in die Eizelle beginnt.“

Sollten die Taten der drei Angeklagte­n nicht strafbar sein, würde es „zu vielen unbekannte­n Geschwiste­rn kommen“, sagt dagegen die Anklägerin Regina Sieh – ungeachtet der Tatsache, dass das bei den zahlreiche­n Kindern, die aus Samenspend­en entstanden sind, schon heute der Fall ist. Sie wirft dem Verein eine eigenmächt­ige Gesetzesau­slegung vor: „Ich denke, das hat alles ethisch-moralische Gesichtspu­nkte, die der Gesetzgebe­r zu entscheide­n hat und nicht einzelne Ärzte.“

Für die angeklagte Ärztin liegt die Sache anders: Sie ist davon überzeugt, mit ihrer Arbeit für den Verein Paare davon abhalten zu können, in Tschechien oder Spanien Eizellen zu kaufen. Denn diesen „Medizintou­rismus“hält sie für moralisch falsch.

„Auf unserer Warteliste stehen Paare, die alles ausgenutzt haben. Menschen, die sich Kinder wünschen und bei denen klappt es nicht – für die ist es die Hölle.“, sagt Vereinsgrü­nder Eiden.

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