Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Höhere Tochter im Antifa-Land

Der Film „Und morgen die ganze Welt“ist ein mutiges moralische­s Drama

- Von Rüdiger Suchsland

● uisa, gespielt von Mala Emde („303“), ist die Neue in einer idealistis­chen, auch konfliktbe­reiten Gruppe junger Leute, die die Welt besser machen wollen und gegen Rassismus, Ressentime­nts und rechte Gesinnung kämpfen. Die höhere Tochter im Antifa-Land.

Mit Luisas Augen taucht man ein in eine neue fremde Welt zwischen Engagement und Abenteuer. Man kann der Antifa bei der Arbeit zusehen: Fitnesstra­ining als Demo-Vorbereitu­ng, Kampfsport zum Schutz gegen Neonazis, Klamotten für Flüchtling­e sammeln und nicht zuletzt dichte Beobachtun­g der rechten Szene. Bald wird es ernst: Ein Sprengstof­flager wird entdeckt. Für Luisa und ihre Freunde stellt sich die Frage: Was tun?

„Und morgen die ganze Welt“entfaltet ein moralische­s Dilemma: In einer für den deutschen Film – leider – sehr ungewöhnli­chen Weise wird hier die Gewaltfrag­e gestellt. Dieser Film schwört der Gewalt nicht pauschal ab zugunsten eines unverbindl­ichen Moralismus, sondern formuliert die Herausford­erung: Muss man manchen Anfeindung­en nicht einfach mit Gewalt begegnen? Kann der Entschluss zur Gewalt individuel­l eine moralische Lösung sein, auch wenn man nicht Graf Stauffenbe­rg heißt? Denn in dessen Tradition versteht sich die Antifa, darum steht im Zentrum die Frage: „Wann ist Widerstand etwas Positives?“

Dieser Film verherrlic­ht Gewalt keineswegs. Er stellt Fragen. Der Unterschie­d zwischen Angriffsge­walt und verteidige­nder Gegengewal­t

Lwird deutlich herausgear­beitet. Der Film räumt aber auch mit dem Missverstä­ndnis auf, Politik seieine Art öffentlich­er Wohngemein­schaft, in der immer alles „ausdiskuti­ert“werden muss. Und den Satz, dass immer irgendwie alle alles verstehen müssen, entlarvt er als fromme Lüge. Neonazis sind hier nicht „eigentlich wie wir“, bloß auf die schiefe Bahn geraten. Sondern sie sind der Feind. Keine gebildeten, rassistisc­hen Bürger mit Mordgedank­en, sondern dumpfe Primitivli­nge, die wir nicht verstehen müssen, auch wenn sie in den Parlamente­n sitzen.

Leider aber ist diesem Film auch anzusehen, dass er von den deutschen Filmförder­ern eigentlich nicht gewollt wurde. Und zwar nicht, weil die deutschen Förderer so hervorrage­nd sind, und sich einen viel besseren Film vorstellen können. Sondern weil sie sich nur einen viel schlechter­en vorstellen konnten, und alles darangeset­zt haben, auch diesen Film schlechter zu machen: Sie haben viel zu wenig Geld gegeben, sodass der Film nicht komplett in Deutschlan­d finanziert werden konnte, sondern nur mithilfe von französisc­hem Geld.

Noch schwerer wiegt: Die quälend langsame Produktion­sgeschicht­e: Die erste Drehbuchfa­ssung lag dem WDR im Jahr 2002 vor! Also arbeitete Julia von Heinz seit mindestens 18 Jahren an dem Stoff. Seitdem wurden die Drehbücher und Geschichte­n andauernd umgeschrie­ben, an allem Möglichen herumgemäk­elt. Weil dieser Film offensicht­lich über den ästhetisch­en und dramaturgi­schen Horizont der Gremien hinausgeht und ihnen moralisch-politisch nicht in den Kram passt. Die Zähigkeit der Regisseuri­n, die hier auch ihre persönlich­e Biografie verarbeite­t und auch darum trotz aller Hinderniss­e an ihrer Vision festhielt, ist hochrespek­tabel – und macht allein den Film schon sympathisc­h.

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FOTO: OLIVER WOLFF/ALAMODE FILM/DPA In ihrem Film „Und morgen die ganze Welt“verarbeite­t die Regisseuri­n Julia von Heinz auch ihre eigenen Erfahrunge­n im Antifa-Milieu.

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