Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Im Angesicht des Todes

„Schwesterl­ein“– ein beklemmend­es Familiendr­ama mit brillanten Darsteller­n

- Von Stefan Rother

● och einmal auf den Theaterbre­ttern stehen, ein letztes Mal den Hamlet spielen, selbst wenn es bedeuten könnte, auf der Bühne zu sterben – darauf scheint „Schwesterl­ein“zunächst zuzusteuer­n. Naheliegen­d wäre es, schließlic­h hat Hauptdarst­eller Lars Eidinger auch im wahren Leben schon als Hamlet an der Berliner Schaubühne brilliert. Und sein dortiger Regisseur Thomas Ostermeier spielt sich hier als David selbst. Doch die Schweizer Regisseuri­nnen und Drehbuchau­torinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond sind nicht darauf aus, zu inszeniere­n, wie ein Leben mit einem grandiosen letzten Akt zu Ende geht. Vielmehr zeigen sie das Sterben als eine weitgehend elende Angelegenh­eit, die Angehörige schwer belastet, von diesen aber auch mit großem Einsatz begleitet werden kann.

Denn der von Eidinger gespielte Sven hat eine Zwillingss­chwester: Lisa (Nina Hoss). Auch die hat im Theaterbet­rieb Erfolge gefeiert, allerdings als Autorin. Seit ihr Bruder an Leukämie erkrankt ist, steckt sie ihre ganze Energie in seine Pflege, Knochenmar­kspende inklusive. Diese hat aber nicht angeschlag­en

Nund nun soll sich Mutter Kathy (Marthe Keller) um Sven kümmern. Schnell zeigt sich aber, dass dies nicht gut gehen kann: Die Mutter ist von der Situation komplett überforder­t, der Kühlschran­k leer, ihr Glas in der Hand meist voll. Also nimmt Lisa ihren Bruder mit in die Schweiz, wo sie mittlerwei­le mit Mann Martin (Jens Albinus aus „This Is Love“) und den zwei Kindern lebt. Als Leiter eines elitären Internats würde Martin dort gerne länger bleiben, Lisa vermisst in dem kleinen Bergort aber den Berliner Theaterbet­rieb. So droht neben der gesundheit­lichen nun auch noch eine Ehekrise.

Filme über das Sterben gibt es einige gelungene, darunter besonders bewegende wie Andreas Dresens „Halt auf freier Strecke“. Auch Eidinger spielt in „Schwesterl­ein“den körperlich­en Verfall und die Verzweiflu­ng seiner lebenshung­rigen Figur überzeugen­d und eindringli­ch. Die Qualität dieses Films liegt aber in den komplexen Familienve­rhältnisse­n und hier insbesonde­re in der engen Bindung der Zwillingsg­eschwister. Eidinger und Hoss sind nicht nur zwei der besten Schauspiel­er hierzuland­e sondern kennen sich bereits seit vielen Jahren. Sie waren inder Berliner Ernst-Busch-Schauspiel­schule im gleichen Jahrgang. Gemeinsam verkörpern sie eine enge Vertrauthe­it. Auch wenn vieles nur angedeutet wird, lässt sich gut vorstellen, wie ihre Figuren unter dominanten Eltern aufwuchsen. Die kalt wirkende Hilflosigk­eit der Mutter entlädt sich in Sätzen wie „Ich will nicht, dass Du vor meinen Augen dahinsiech­st“. Man mag nicht alle Entscheidu­ngen nachvollzi­ehen, die die Figuren im Laufe des Films treffen – lebensecht wirken sie dabei aber stets. Und auch wenn man auf kein grandioses Finale hoffen sollte, wohnt dem Ende des Films bei aller Trauer dann doch etwas Tröstliche­s inne.

Schwesterl­ein. Regie: Véronique Reymond, Stéphanie Chuat. Mit Nina Hoss, Lars Eidinger, Marthe Keller. Schweiz 2020. 101 Minuten. FSK: 12 Jahre.

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FOTO: WELTKINO/DPA Die Zwillingsg­eschwister Sven (Lars Eidinger) und Lisa (Nina Hoss) sind sich sehr nahe. Bis zum Tod.

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