Frankreich ruft höchste Terrorwarnstufe aus
Spekulationen über Zusammenhang mit Mohammed-Karikaturen nach Messerattacke in Nizza
●
PARIS - Frankreich ist innerhalb von gut einem Monat zum dritten Mal Ziel eines Anschlags geworden. Im Zentrum von Nizza erstach ein Mann in der Basilika Notre-Dame zwei Frauen und einen Mann, bevor die Polizei ihn anschoss. Der Attentäter rief Augenzeugen zufolge mehrmals „Allahu Akbar“, als er aus der Kirche kam. „Unser Land wurde vom islamistischen Terrorismus getroffen“, sagte Präsident Emmanuel Macron, der umgehend nach Nizza geflogen war. Er zog eine Verbindung zum Messerangriff auf das französische Konsulat im saudiarabischen Dschiddah, bei dem ein Wachmann verletzt wurde. „Frankreich wird angegriffen“, ergänzte der Staatschef. Seit Donnerstag gilt deshalb die höchste Terrorwarnstufe. Die Zahl der Soldaten der Anti-Terror-Operation Sentinelle, die seit der Anschlagserie 2015 patrouilliert, soll von 3000 auf 7000 erhöht werden.
Der Angreifer schnitt laut dem Fernsehsender BFMTV zunächst einer betenden Frau die Kehle durch, bevor er den Küster der Gemeinde mit dem Messer erstach. Ein drittes Opfer, ebenfalls eine Frau, konnte aus der Kirche in eine benachbarte Bar fliehen, wo sie anderthalb Stunden später ihren Verletzungen erlag. Zehn Minuten nach der Messerattacke überwältigte die Polizei den Attentäter. Die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft nahm gegen ihn Ermittlungen wegen „Mordes im Zusammenhang mit einem terroristischen Vorhaben“auf.
Die Basilika Notre-Dame sei in den vergangenen Tagen vor Attacken rund um Allerheiligen gewarnt worden, sagte Priester Gil Florini. „Wir waren wachsamer, aber wir dachten nicht, dass es so kommen würde.“Über den Angreifer, der im Krankenhaus behandelt wurde, war zunächst nichts bekannt. „Nizza hat einen zu schweren Tribut gezahlt, ebenso wie das ganze Land seit einigen Jahren“, twitterte Bürgermeister Christian Estrosi.
Die Stadt an der Côte d’Azur hatte bereits vor gut vier Jahren ein schweres Attentat erlebt: Am 14. Juli 2016 fuhr ein Islamist mit einem Lastwagen auf der weltbekannten Promenade des Anglais in die Menge, die gerade das traditionelle Feuerwerk am Nationalfeiertag verfolgte. 86 Menschen starben, mehr als 400 wurden verletzt. Wenige Tage später erstachen zwei Männer in einer Kleinstadt in der Normandie den
Priester Jacques Hamel mitten in der Messe und verletzten ein Gemeindemitglied schwer.
Macron kündigte an, dass die Kirchen vor Allerheiligen schärfer bewacht werden sollten. In einer internen Mitteilung warnte Innenminister Gérald Darmanin vor Nachahmungstaten rund um den Feiertag am Sonntag. Zum Gedenken an die Opfer läuteten am Donnerstag um 15 Uhr in allen Kirchen die Glocken. Papst Franziskus bekundete den Franzosen seine Solidarität. „Ich bete für die Opfer, ihre Familien und das geliebte französische Volk“, twitterte das Kirchenoberhaupt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich „tief erschüttert“.
Die jüngste Anschlagserie hatte Ende September begonnen, als ein 25-jähriger Pakistaner vor dem ehemaligen Redaktionsgebäude der Satirezeitung „Charlie Hebdo“in Paris zwei Menschen mit einem Metzgerbeil
schwer verletzte. Vor knapp zwei Wochen enthauptete ein 18-jähriger Tschetschene im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine den Lehrer Samuel Paty, weil dieser im Unterricht die Mohammed-Karikaturen durchgenommen hatte, die „Charlie Hebdo“veröffentlicht hatte. „Am 16. Oktober wurde die Freiheit der Lehre getroffen. Heute ist es die Freiheit der Religion und darüber hinaus die Freiheit des Gewissens“, sagte Regierungschef Jean Castex. Auch der Anschlag von Nizza könnte mit den Karikaturen von „Charlie Hebdo“zusammenhängen. Am Mittwoch provozierte die Zeitung den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit einer Karikatur, die ihn halbnackt zeigt, wie er einer verschleierten Frau das Gewand hochzieht.
Erdogan hatte zuvor zu einem Boykott französischer Produkte aufgerufen. Er hetzte auch gegen Emmanuel Macron, dem er riet, sich auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen. Der türkische Staatschef empörte sich vor allem über Äußerungen Macrons, der in seiner Trauerrede für Paty versichert hatte, dass Frankreich an der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen festhalte. In einer Rede zur Bekämpfung des „islamistischen Separatismus“Anfang Oktober hatte Macron dem Islam bescheinigt, weltweit in einer Krise zu stecken. In mehreren muslimischen Ländern gab es danach Proteste und Boykottaufrufe. „Wenn wir angegriffen werden, dann für unsere Werte“, sagte Macron in Nizza und kündigte an: „Wir werden in nicht nachgeben.“