Blindflug für die Gastronomie
Die einen haben gerade erst wiedereröffnet, andere investiert – Fast alle haben: Existenzangst
ULM/NEU-ULM (sz) - Ein neuer Boden, größere Fenster, mehr Licht für den Gastraum: Melanie Börsing hatte das Rathausstüberl in Au bis zur Neueröffnung im September komplett renoviert. Bereits in den ersten Tagen herrschte großer Andrang, das „Mariele“war ausgebucht. Im November bleiben die Räume leer.
Das Land ist wieder zumindest vorübergehend in Schockstarre. Nachdem am Mittwoch 14 964 Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Deutschland gemeldet wurden, beschloss Kanzlerin Angela Merkel zusammen mit den Ministerpräsidenten neue Corona-Beschränkungen. Die Regeln gelten ab Montag und treffen vor allem die Gastronomen hart, die bereits im Frühjahr wegen der Pandemie ihre Lokale schließen mussten.
Melanie Börsing, die mit dem „Mariele“ihren Traum vom eigenen Restaurant verwirklichte, klingt hörbar niedergeschlagen. „Wir haben alle Regeln eingehalten“, sagt sie. Die Gastronomie wieder zu schließen, erscheine ihr willkürlich und nicht nachvollziehbar. Im Restaurant verläuft der Betrieb Börsing zufolge in geordneten Bahnen, die Gäste seien geschützt: „Das ist anders, wenn sie das Essen abholen und privat in Gruppen zusammensitzen.“Die Pächterin müsse ihre Teilzeitkräfte in Kurzarbeit schicken, die Köche seien für den Abholservice im „Mariele“weiter im Einsatz. Trotz ihrer Bestürzung zeigt sich Börsing entschlossen: „Wir kriegen das hin.“
„Mega frustrierend“, beschreibt Andreas Kierndorfer, Inhaber des Gasthauses Hirsch in Attenhofen und des Anno 1460 in Weißenhorn, die Situation. Das Anno 1460 ist nach Umbaumaßnahmen seit September wieder geöffnet. Denn wegen der engen Räume im Schloss musste der Wirt umstrukturieren. „Und jetzt machen wir nach zwei Monaten wieder zu“, sagt Kierndorfer. Obwohl er und seine rund 80 Mitarbeiter gute Erfahrungen mit den Hygienekonzepten im Anno und im Hirsch gemacht haben. „Die Gäste kamen auch nach der Wiedereröffnung: Die Platzzuweisung, die Datenaufnahme, die Maskenpflicht, alles wurde angenommen“, berichtet Kierndorfer über die vergangenen Wochen. Der Lockdown sei ein „ungewisser Blindflug“für die Branche. Seine Mitarbeiter wird er zum zweiten Mal in diesem Jahr in Kurzarbeit schicken müssen. Dabei dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass sich für Servicekräfte oder Köche vor allem steuerfreie Zulagen an Sonn- und Feiertagen, sowie Nachtdienste lohnen. Diese, wie auch das Trinkgeld, fallen neben dem regulären Gehalt ebenfalls weg.
Vor wenigen Tagen hat Kierndorfer Luftreinigungsgeräte gekauft, die kommende Woche per Post bei ihm ankommen. Ein Gerät kostet im Schnitt 3000 Euro, Kierndorfer hat gleich mehrere gekauft. Damit würde er 99,99 Prozent virenfreie Luft in den Gasträumen bekommen. Behalten wird er die teuren Geräte trotzdem für die Zeit nach der Schließung.
Überzeugt von seinem Konzept ist auch Barfüßer-Wirt Eberhard Riedmüller, der ungefähr 900 Mitarbeiter in 15 Betrieben beschäftigt. Rund 60 000 Euro hat er für Plexiglasscheiben ausgegeben, um die Verbreitung von Aerosolen zu verhindern. Umso ärgerlicher sei die Zwangsschließung jetzt. „Der Einzige, der seine Hausaufgaben in den letzten Monaten nicht gemacht hat, ist der Staat“, sagt Riedmüller. „Ich habe für vieles Verständnis. Aber wem hilft es, die Wirtschaft an die Wand zu fahren?“Er würde sich nicht wundern, wenn in Zukunft ein Corona-Soli beschlossen wird, denn: „Irgendjemand muss die ganzen Zuschüsse auch zahlen.“