Engpässe in jedem zehnten Gesundheitsamt
- Während am Montag in Deutschland die neuen Corona-Regeln in Kraft treten, wächst die Sorge vor einer Überlastung des Gesundheitssystems durch Corona-Notfälle. „Die Situation ist erschreckend und alarmierend: Schon bald kann es zu einem Kollaps in vielen der 1900 Krankenhäuser in Deutschland kommen“, sagte der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) der „Bild am Sonntag“. Hier sei ein Gegensteuern dringend notwendig. Wegen fehlenden Pflegepersonals würden bereits Stationen geschlossen und Notaufnahmen abgemeldet.
Es drohten „italienische Verhältnisse“, sagte Hans mit Blick auf die Lage in Bergamo und anderen italienischen Orten im Frühjahr. Damals konnten dort nicht alle lebensgefährlich erkrankten Corona-Patienten auf den vorhandenen Intensivstationen behandelt und beatmet werden. Hans forderte, dass Kliniken wie im Frühjahr eine Pauschale dafür erhalten sollten, wenn sie Betten für Corona-Notfälle freihielten.
Auch Notfallmediziner sehen die Lage als ernst an. Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), erklärte: „Es ist in einigen Bundesländern nicht mehr viel Spielraum.“Berlin habe nur noch 14 Prozent freie Intensivbetten, Bremen 17 Prozent. Vielfach würden nicht genug Intensivbetten für Corona-Patienten freigehalten. Dies liege auch daran, „dass viele Kliniken immer noch ihr Routineprogramm durchführen, Magen-Bypässe, Gelenk-Operationen“. Für viele drohe sonst der Ruin, solange es nicht wie im April Freihaltepauschalen gebe. Er warnt: Im Frühjahr „war die Situation (...) viel weniger dramatisch als das, was jetzt auf uns zukommt“.
Zuvor hatte das Bundesgesundheitsministerium erklärt, dass auf Intensivstationen und in der Geriatrie Untergrenzen für Personal wieder in Kraft gesetzt worden seien. In anderen Bereichen seien diese nach wie vor ausgesetzt, sagte eine Sprecherin. In Ausnahmesituationen dürften diese Grenzen jedoch unterschritten werden.
Die Stiftung Patientenschutz fordert Nachbesserungen am sogenannten DIVI-Register, das die Auslastung der Intensivbetten angibt. Es sei zweifelhaft, inwieweit die als verfügbar angezeigten Betten tatsächlich belegt werden könnten, sagte
Vorstand Eugen Brysch. „Im neunten Monat der Pandemie fehlt schlichtweg qualifiziertes Personal, das die professionelle Hilfe am Schwerstkranken leisten kann.“Krankenhäuser sollten künftig auch melden, „ob für die Plätze genügend Fachpersonal bereitsteht.“Derweil gibt es bereits 38 von rund 400 deutschen Gesundheitsämtern haben beim Robert-Koch-Institut Überlastung angezeigt. Damit stößt fast jedes zehnte Amt mit dem Stand vom 30. Oktober entweder aktuell an Kapazitätsgrenzen oder rechnet innerhalb der nächsten Tage damit. Das teilte das RobertKoch-Institut (RKI) am Wochenende auf Anfrage mit. Am 20. Oktober lagen 22 solcher Anzeigen vor, die sich je nach Überlastungsgrad in drei Kategorien gliedern. Das RKI hatte die Überforderungen einiger Gesundheitsämter Pläne, Kranke auf das Land zu verteilen. „Entwickelt sich eine Lage, die eine Verlegung über die Nachbarländer beziehungsweise angrenzende Regionen hinaus erforderlich macht, findet ein sogenanntes Kleeblattprinzip Anwendung“, heißt es im Konzept des Bundesinnenministeriums,
bereits am 22. Oktober als „ernst und besorgniserregend“bezeichnet. Die Gesundheitsämter in den Ländern sind bei der Nachverfolgung der Kontakte von Infizierten zunehmend auf Hilfe der Bundeswehr angewiesen. „Wir sind mittlerweile in jedem zweiten Gesundheitsamt aktiv“, sagte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU).
Aktuell seien 4000 Helfer im Einsatz.
„Wir sehen, dass der Bedarf an Hilfe der Bundeswehr von Tag zu Tag sprunghaft ansteigt“, fügte sie hinzu. (epd/dpa)