Das große Problem der kleinen Parteien
Linke, Freie Wähler und andere fühlen sich in Corona-Zeiten vom Land benachteiligt
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STUTTGART - Politisch verbindet sie kaum etwas. Dennoch haben sich Freie Wähler, die Linke, die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), die Satire-Partei Die Partei und die Piratenpartei zusammengeschlossen, um für eine Änderung des baden-württembergischen Landtagswahlgesetzes zu kämpfen. Die Parteien, die nicht im Landtag sitzen, trifft die Corona-Pandemie besonders. Sie sind verpflichtet, Tausende von Unterschriften zu sammeln, um überhaupt für die Wahl am 14. März 2021 zugelassen zu werden – und das trotz geltender Kontaktbeschränkungen. Den Landtagsfraktionen werfen sie vor, die Pandemiesituation zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Deshalb haben die kleinen Parteien Klage beim Verfassungsgerichtshof eingereicht.
Wogegen wehren sich die Parteien ● genau?
10 500 Unterschriften muss eine Partei, die aktuell nicht im baden-württembergischen Landtag sitzt, sammeln, um landesweit zur Wahl zugelassen zu werden. Die Zahl ergibt sich aus den 70 Wahlkreisen, in denen jeweils 150 Unterschriften zu sammeln sind. Diese Wähler-Unterschriften sollen dazu dienen, die Ernsthaftigkeit der Kandidatur nachzuweisen. Doch in Pandemiezeiten sei das Sammeln von Unterschriften unzumutbar, sagen die betroffenen Parteien. Seit dem Frühjahr versuchen sie deshalb, eine Reduktion der benötigten Unterschriften zu erreichen. Doch bei den Landtagsfraktionen und dem zuständigen Innenminister Thomas Strobl (CDU) sehen die Kleinparteien keine Gesprächsbereitschaft, eine Wahlrechtsänderung auf den Weg zu bringen. „Das Verhalten der im Landtag vertretenen Parteien ist eine Bankrotterklärung für die Demokratie“, sagt Claudia Haydt, die Landesgeschäftsführerin der Linken Baden-Württemberg. „Die Corona-Verordnungen müssen ihren Niederschlag im Landeswahlgesetz finden. Wenn das nicht passiert, haben wir eine Verzerrung des demokratischen Raums. Wir haben damit keine Chancengleichheit mehr mit den anderen politischen Parteien.“
Was sagt das Innenministerium? ●
Die Parteien hätten noch ausreichend Zeit für die Sammlung für die Landtagswahl 2021, heißt es auf Anfrage
aus dem Innenministerium. „Seit 1. Februar sind Aufstellungsversammlungen und die Sammlung von Unterstützungsunterschriften auch unter Pandemie-Bedingungen möglich. Auch unter Berücksichtigung der Einschränkungen durch die Pandemie ist dies ein ausreichender Zeitraum zur Sammlung der erforderlichen Unterstützungsunterschriften. Die Möglichkeit, zum Beispiel durch die Bereitstellung des Formulars im Internet oder Werbung in sozialen Netzwerken Unterstützer zu gewinnen, wird durch die Pandemie nicht beeinträchtigt“, sagt ein Sprecher. Die Sammlung solle die Ernsthaftigkeit der Wahlvorschläge der Parteien und einen gewissen Mindestrückhalt der Kandidatinnen und Kandidaten in ihrem jeweiligen Wahlkreis sicherstellen. „Das Unterstützungsquorum für Wahlvorschläge ist daher auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt.“
Wie sind die Vorgaben in anderen ●
Bundesländern?
Tatsächlich ist die Hürde in BadenWürttemberg verhältnismäßig hoch.
In Bayern etwa müssen Parteien und Wählergruppen, die bei der vergangenen Landtagswahl mindestens 1,25 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht haben, gar keine Unterstützungsunterschriften vorlegen. In den meisten Bundesländern sind zwischen 1000 und 2000 Unterschriften erforderlich, wenn die Partei nicht aktuell im Landtag vertreten ist. In Rheinland-Pfalz, wo ebenfalls im März gewählt wird, liegt die Hürde bei 2040 Signaturen. Der dortige Landeswahlleiter zeigte sich in einem Interview zuletzt offen für eine pandemiebedingte Senkung der benötigten Unterschriftenzahl für die anstehende Landtagswahl.
Warum werden die Unterschriften ● nicht digital gesammelt?
Innenminister Strobl forderte die kleinen Parteien zuletzt dazu auf, die Unterschriften nicht mehr an Infoständen in den Innenstädten, sondern im Internet zu sammeln. Rechtlich ist es in Baden-Württemberg jedoch lediglich erlaubt, das Formular online bereitzustellen. Es muss dann heruntergeladen, ausgedruckt, ausgefüllt und per Post an die jeweilige Partei geschickt werden. Als „völlig realitätsfern“bezeichnet Guido Klamt, der Landesvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei in Baden-Württemberg (ÖDP), deshalb den Vorschlag Strobls. LinkenGeschäftsführerin Claudia Haydt präzisiert: „Um eine Unterschrift zu sammeln, müssen wir mindestens acht bis zehn Personen ansprechen. Wir müssen erklären, warum sensible Daten wie Adressen und Geburtsdaten gesammelt werden und was damit passiert. Dazu müssen wir Vertrauen zu den Leuten aufbauen. Dieses Vertrauen können wir nicht über Aufrufe im Internet herstellen.“
Wie geht es jetzt weiter?
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Der Verfassungsgerichtshof von Baden-Württemberg verhandelt am
9. November über die Klage. Ob am Tag der mündlichen Verhandlung ein Urteil verkündet wird, ist noch nicht klar. Bleibt die aktuelle Regelung bestehen, haben die Parteien noch bis zum 14. Januar 2021 Zeit ihre 10 500 Unterstützungsunterschriften zu sammeln.