Mit der Corona-Welle kam der Boom
Fahrradhändler erleben erfolgreiches Geschäftsjahr – Neu-Ulm will sich für mehr Sicherheit auf dem Rad einsetzen
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NEU-ULM - Im Rückblick auf die vergangene Fahrradsaison wirkt Günter Ege durchaus zufrieden. „Wir sind wahrscheinlich die Profiteure, die mit dem geringsten Schaden durch den ersten Lockdown im Frühjahr gekommen sind“, sagt der Filialleiter des Fahrradgeschäfts „B.O.C.“in der Neu-Ulmer Innenstadt. Stornierte Reisen und Kontaktbeschränkungen, wie sie die Sicherheitsvorkehrungen der Coronapandemie fordern, haben den Fahrradhändlern unerwartet viele neue Kunden gebracht.
Fahrradtasche statt Fernreise oder Pedale treten statt Kreuzfahrt – das scheint für viele Urlauber das Motto des Jahres gewesen zu sein. Bisweilen habe der Ansturm die Kapazität der Werkstatt überschritten, erklärt Ege zum Fahrradboom der vergangenen Monate. „Wir sind vor zwei Jahren in Neu-Ulm angetreten, um in unserer Servicewerkstatt jedem Radler zu helfen, auch wenn er sein Fahrrad nicht bei uns gekauft hat.“Wegen der vielen Inspektionen habe man jedoch die eigenen Kunden in den vergangenen Monaten eher berücksichtigt, räumt Ege ein und fügt hinzu, dass die Wartung und Instandhaltung der Fahrzeuge in vergangenen Jahren viel komplexer geworden sei: „Früher hat es gereicht, wenn jemand einen Platten im Reifen flicken konnte.“Doch besonders die modernen E-Bikes seien Hightechgeräte auf zwei Rädern, sagt Ege. Qualifiziertes Fachpersonal für die Werkstatt zu finden, sei dementsprechend schwierig und so lässt sich der Fachhandel einiges einfallen, um Nachwuchs zu generieren. Auszubildende bei B.O.C. dürfen beispielsweise sich nach bestandener Probezeit ein Fahrrad aussuchen.
Der Blick in die Zukunft gestalte sich derweil aber ungewiss, sagt Ege. Die gesamte Branche klage über Lieferengpässe. Die meisten Hersteller von Fahrradteilen hatten im Frühjahr wegen der ersten Coronawelle geschlossen, weshalb es nun besonders bei den Ersatzteilen knapp werden könne. Auch, wer sich derzeit für ein neues Fahrrad interessiert, muss sich mit einer eingeschränkten Auswahl zufrieden geben. Besonders bei den Mountainbikes ist der Nachschub schwierig – Trekking- und Kinderräder seien dagegen noch gut verfügbar. Ege hat für seine Kunden auch noch einen Tipp: „Bringen Sie ihr Fahrrad am besten während der Winterzeit zur Inspektion, wenn in der Werkstatt die Lage etwas entspannter ist.“
Um den Zufriedenheitsfaktor für Radler in Neu-Ulm steht es derweil nicht gut, wenn es nach dem Sprecher vom Team Radentscheid, Nikolaus Kaltenbacher geht. Zu schmale Radwege, wie auf der Schützenstraße oder fehlende Fahrstreifen wie auf der Augsburger Straße nennt er als Beispiele. Zudem fordern die Initiatoren eine Fahrradstreife, die auf den Wegen für Recht und Ordnung sorgen soll.
Im Neu-Ulmer Landkreis arbeitet derzeit die neue Mobilitäts- und Klimaschutzbeauftragte Antonia Gordt am Ziel, hier eine Fahrrad-Vorzeigeregion zu schaffen. Um die Zertifizierung „Fahrradfreundlicher Landkreis“zu erhalten, sollen Abstellplätze an Schulen verbessert werden oder eine Radfahrkarte für den Landkreis erstellt werden. Um Auto und Fahrrad besser kombinieren zu können, sollen einbruchsichere Fahrradboxen an Pendlerparkplätzen entlang der Autobahn aufgestellt werden. Zudem prüft ein Ingenieurbüro die Möglichkeit, einen Radschnellweg nach Burgau oder Memmingen zu bauen.
Um festzustellen, wie zufrieden oder kritisch die Radfahrer die Situation in der Region empfinden, führt der Allgemeine Fahrradclub (ADFC) derzeit eine Online-Umfrage durch. Radler sollen noch bis zum 30. November beurteilen, ob sie hier mit Spaß und Sicherheit oder mit Stress unterwegs sind. Vor zwei Jahren landete Neu-Ulm bei der Bewertung mit der Note 3,87 auf Platz 35 von 106.