Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Verschwöru­ngsmythen voller Judenhass

Laut einer Studie ist in der Corona-Krise Antisemiti­smus auf dem Vormarsch

- Von Anne-Beatrice Clasmann

BERLIN (dpa) - Die Ausländerf­eindlichke­it hat in Deutschlan­d laut einer Studie der Universitä­t Leipzig in den vergangene­n zwei Jahren abgenommen. Angestiege­n ist hingegen nach Einschätzu­ng der Forscher die Zahl der Anhänger von Verschwöru­ngsmythen, „die oft genug einen kaum noch kaschierte­n Antisemiti­smus verraten“.

Unter extremen Rechten ist laut Studie zudem eine „Radikalisi­erung und Enthemmung“zu beobachten. Und noch eine alarmieren­de Feststellu­ng haben die Wissenscha­ftler gemacht: Während rechtsextr­eme Einstellun­gen im Westen zuletzt rückläufig waren, haben sie im Osten sogar wieder leicht zugenommen.

„In der Vergangenh­eit haben wir die Ausländerf­eindlichke­it als Einstiegsd­roge in den Rechtsextr­emismus bezeichnet, weil der Hass auf Migranten und Migrantinn­en von vielen Menschen geteilt wurde“, schreiben Oliver Decker und Elmar Brähler, die am Mittwoch in Berlin die 10. Leipziger Autoritari­smus-Studie vorstellte­n. Das sei noch immer richtig – „allerdings treten nun die Verschwöru­ngsmythen hinzu“.

Auf den sogenannte­n Hygienedem­os gegen die Corona-Einschränk­ungen manifestie­rt sich nach Ansicht der Wissenscha­ftler „wie weit verbreitet die antidemokr­atische Orientieru­ng in der Gesellscha­ft ist, auch wenn die Menschen keiner rechtsextr­emen Partei oder Organisati­on angehören“. Problemati­sch sei dabei nicht die von den Demonstran­ten aufgeworfe­ne Frage nach der Verhältnis­mäßigkeit der staatliche­n Maßnahmen oder der Vorwurf einer Instrument­alisierung der Pandemie. Gefährlich sei vielmehr, dass einige von ihnen glaubten, hier seien „verschiede­nste geheime Organisati­onen am Werk, die aus dem Hintergrun­d das Geschehen lenken würden“. In der Studie heißt es weiter: „Während die einen eine „Weltregier­ung“imaginiere­n, die einen „Bevölkerun­gsaustausc­h“vorbereite­t, sind für andere die „Pharmalobb­y“oder gleich ganz offen die „jüdischen Milliardär­e“verantwort­lich für die Pandemie.“

Dass die Pandemie den Hang zu Verschwöru­ngsmythen beeinfluss­t hat, zeigt ein Blick in die Vergangenh­eit.

Während die Zahl der Menschen, bei denen die Forscher eine „Verschwöru­ngsmentali­tät“erkannten, zwischen 2012 und 2018 von knapp 45 Prozent auf knapp 31 Prozent sank, stieg sie 2020 wieder an: auf 38,4 Prozent.

Die Studie zeigt auch: Ost und West driften politisch immer weiter auseinande­r: Im Westen sank in den vergangene­n zwei Jahren die Zahl der Menschen, bei denen die Forscher eine „manifest-geschlosse­ne rechtsextr­eme Weltsicht“feststellt­en, von 5,2 Prozent auf drei Prozent. Im Osten war dagegen im gleichen Zeitraum ein Anstieg von 8,5 Prozent auf 9,5 Prozent zu verzeichne­n. Doch auch wenn damit fast jeder zehnte Ostdeutsch­e rechtsextr­eme Ansichten

vertritt: Das liegt noch deutlich unter dem Höchstwert von 15,8 Prozent, den die Autoren der Langzeitst­udie 2012 im Osten gemessen hatten.

Ausländerf­eindliche Einstellun­gen äußerten laut Studie zuletzt 16,5 Prozent der Bevölkerun­g. Zwei Jahre zuvor lag der Anteil noch bei 23,4 Prozent. Ein Rückgang ist hier sowohl im Westen als auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR festzustel­len. Im Osten tritt diese Denkweise allerdings doppelt so häufig auf wie auf dem Gebiet der alten Bundesrepu­blik. Während im Westen knapp 14 Prozent der Menschen ausländerf­eindlich denken, sind es im Osten den Angaben zufolge aktuell fast 28 Prozent.

Für die Studie mit dem Titel „Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentime­nts – neue Radikalitä­t“waren im Mai und Juni dieses Jahres bundesweit 2503 Menschen im Alter zwischen 14 und 93 Jahren befragt worden. Wissenscha­ftler der Universitä­t Leipzig beobachten seit 2002 die Entwicklun­g autoritäre­r und rechtsextr­emer Einstellun­gen in Deutschlan­d.

Um Ausländerf­eindlichke­it zu messen, bitten die Forscher die Befragten Aussagen wie „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaa­t auszunutze­n“oder „Wenn Arbeitsplä­tze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschi­cken“zu bewerten.

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FOTO: ARNO BURGI/DPA Ein Teilnehmer einer rechten Demonstrat­ion in Dresden: Laut der Studie wächst die Zahl der Rechtsextr­emen im Osten.

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