Wann die Klasse nicht in Quarantäne muss
Einzelfallentscheidung des Gesundheitsamts sorgt teils für Unmut – So lief es in Erbach
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ERBACH - Wieso muss neuerdings nicht unbedingt die gesamte Klasse in häusliche Quarantäne, obwohl es einen positiv getesteten Schüler in den eigenen Reihen gibt? Diese Frage treibt Jürgen Czirr, unter anderem stellvertretender Elternbeirat der Realschule Erbach sowie Mitglied im 19. Landeselternbeirat von Baden-Württemberg, nach einem Corona-Fall in der Erbacher Realschule um.
„Wir haben die Tage das erste positiv getestete Kind an der Schule, und alles lief nicht so, wie ich es erwartet hätte“, so Czirr. Die Schülerin sei zwar in häuslicher Quarantäne, doch die Mitschüler nicht. „Ich bin entsetzt“, sagt Czirr. Auslöser für seine Bedenken sind die aktuellen Maßnahmen des Gesundheitsamts. „Dass die aufgestellten Regeln wie Kaugummi gezogen werden, darüber bin ich baff“, sagt er.
Bisher, so sein Wissensstand, wurden auch die Kontaktpersonen von an Covid-19 erkrankten Schülerin isoliert. Das Gesundheitsamt aber habe „grünes Licht gegeben“, nur die Einzelschülerin zu isolieren – für Czirr nicht nachvollziehbar. „Mir tun die Kinder leid, die betroffen sind“, sagt er. Maßgeblichen Einfluss darauf, wie verfahren wird, wenn ein Schüler positiv auf Corona getestet wurde, hat die Maskenpflicht im Unterricht. „Dies hat Auswirkungen auf die Frage der Beurteilung und Einstufung von Kontaktpersonen“, heißt es aus dem Landratsamt AlbDonau-Kreis (LRA). Entsprechend der Corona-Verordnung Schule des Landes in der Fassung vom 22. Oktober gilt ab der fünften Klasse in weiterführenden und beruflichen Schulen die Maskenpflicht auch im Unterricht.
„Was die Einstufung der Kontaktpersonen eines Indexfalles angeht, folgt das Gesundheitsamt den Richtlinien des Robert Koch-Instituts (RKI)“, so LRA-Sprecher Bernd Weltin auf Nachfrage. Der Indexfall, also die Person, die nachweislich Corona-positiv ist, wird nach den RKI-Vorgaben dann einzeln isoliert, wenn mehrere Punkte in der Schule zutreffen: Die Maske muss durchgehend getragen und es muss regelmäßig gelüftet werden, auch „die Gesamtsituation, also die Einhaltung der Hygienebestimmungen“, muss nachweislich eingehalten werden. So kann eine Kontaktperson der Kategorie 1 zur Kontaktperson der Kategorie 2 werden,
„In jedem Fall nimmt das Gesundheitsamt eine Einzelfallentscheidung vor.“Landratsamt Alb-Donau-Kreis
eine häusliche Quarantäne ist dann nicht mehr vorgesehen.
Treffen diese Punkte nicht zu oder sind diese unklar – das ist laut LRA mitunter in Grundschulen und Kitas der Fall – wird die entsprechende Klasse beziehungsweise Gruppe als Kontaktperson ersten Grades eingestuft und isoliert. Das ist beispielsweise an der Ehinger Michel-BuckSchule der Fall, dort sind wie berichtet aktuell 45 Schüler, sechs Lehrkräfte sowie ein Schulsozialarbeiter in häuslicher Quarantäne.
Wie das LRA betont, habe das Gesundheitsamt in jedem Fall gemeinsam mit der Schulleitung und den betroffenen Lehrern beziehungsweise dem jeweiligen Schüler die Situation im Blick. „In jedem Fall jedoch nimmt das Gesundheitsamt immer eine Einzelfallentscheidung vor, das bedeutet: Jeder einzelne Covid-19Fall in einer Schule wird hinsichtlich der konkreten Umgebungssituation hinterfragt und bewertet“, so das Landratsamt.
Für Jürgen Czirr, der auch Vorsitzender des Gesamtelternbeirats der Stadt Erbach ist, geht diese Begründung nicht ganz auf. Die Realität im Schulalltag sei eine andere. Von seinen Söhnen wisse er aus erster Hand, dass „nach sechs Stunden Maske tragen diese durchnässt ist und dann mitunter schon mal unter der Nase getragen wird“. Czirr betont jedoch auch, dass seine Sorgen nicht als Kritik an der Schulleitung gesehen werden sollen, ganz im Gegenteil. „Mein Dank gilt der Schulleitung, die wirklich an jeder Front kämpft“, sagt er, und mehr leiste, als sie müsste.
Ganz froh, sagt Realschulleiterin Nicole Dolpp, sei die Schulleitung, dass es lediglich bei diesem einen Fall geblieben ist. Obwohl der neue, seit März andauernde Schulalltag mittlerweile Normalität ist, habe man sich beim Corona-Fall – es ist der erste an der Erbacher Realschule – ins Gedächtnis rufen müssen, „wie man wem was mitteilt“, so Dolpp. Ihr stehe es nicht zu, das Gesundheitsamt infrage zu stellen bezüglich der Entscheidung, die Mitschüler nicht in häusliche Quarantäne zu schicken. Bei der Schulleiterdienstbesprechung vor wenigen Tagen sei versichert worden, dass „das mittlerweile so gehandhabt wird“.
Natürlich habe man bei den von der Maskenpflicht befreiten Schülern genauer hingeschaut, sie „extra betrachtet“. Glücklicherweise sei aber exakt in dieser Woche, als der Fall bekannt wurde, ein von der Maske befreiter Mitschüler nicht im Unterricht gewesen. „Daher war es gar kein Problem“, sagt die Schulleiterin. Die Mehrarbeit äußere sich für das Konrektorat insbesondere beim Erstellen der Stundenpläne. Für Dolpp sei die Erreichbarkeit ein weiterer
Aspekt: „Auch am Wochenende schaue ich noch mehr aufs Handy und in meine Mails als noch vor Corona.“
Was die Teststrategie angeht, folgt das LRA eigenen Angaben zufolge dem Vorgehen des Landes, das ausdrücklich darauf hinweist, dass für den Fall, in dem Testkapazitäten nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, eine Priorisierung der Testungen erforderlich sei, auf der Basis der Empfehlungen des RKI. Danach sollen im Einzelfall in Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung, der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe oder der Ausübung bestimmter Tätigkeiten über eine Testung entschieden werden. Asymptomatische Kontaktpersonen sollen nicht mehr routinemäßig, sondern nach Einzelfallentscheidungen getestet werden. In der Priorisierung stehen insbesondere Patienten und das Personal in Krankenhäusern sowie Bewohner und das Personal in Pflegeeinrichtungen im Vordergrund. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg hatte durch den regionalen Pandemiebeauftragten vor Kurzem auf die begrenzten Testkapazitäten bei den Labors hingewiesen. „Insofern dürfte es auch für die Schulen und Schulleitungen nachvollziehbar sein, dass bei der derzeitigen Situation eine Priorisierung der Testkapazitäten vor allem zugunsten vulnerabler Gruppen vorgenommen werden muss“, so das Amt.