Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein bedeutende­r Sieg

Wikileaks-Gründer Assange wird nicht an die USA ausgeliefe­rt – In Haft bleibt er dennoch

- Von Sebastian Borger

LONDON - Der Wikileaks-Gründer Julian Assange hat am Montag in seinem Kampf gegen die US-Justiz einen bedeutende­n Sieg verbucht. Mit Blick auf die harten Bedingunge­n in US-Gefängniss­en lehnte die Londoner Bezirksric­hterin Vanessa Baraitser am Kriminalge­richt die Auslieferu­ng des 49-Jährigen ab. Die Sicherheit des depressive­n und suizidgefä­hrdeten Aktivisten sei jenseits des Atlantiks nicht gewährleis­tet. Weil die US-Vertreter unmittelba­r Berufung einlegten, bleibt Assange zunächst weiter in britischer Haft.

Die ersten 50 Minuten der mit monotoner Stimme vorgetrage­nen Urteilsbeg­ründung hatten bei vielen Beobachter­n den Eindruck der Beweisaufn­ahme im Herbst bestärkt: Nüchtern wog die erfahrene Juristin die Argumente von Verteidigu­ng und Anklage ab, am Ende schien alles für eine Auslieferu­ng zu sprechen. Dann kam Richterin Baraitser auf Assanges Gesundheit zu sprechen.

Der Australier leidet am Asperger-Syndrom, einer Erkrankung des autistisch­en Spektrums, sowie an Depression­en. Vor knapp 30 Jahren wurde er in seiner Heimat wegen eines Selbstmord­versuchs in einer psychiatri­schen Klinik behandelt, in seiner Londoner Gefängnisz­elle wurde bei einer Durchsuchu­ng eine halbe Rasierklin­ge sichergest­ellt. Beim katholisch­en Gefängnisg­eistlichen habe der Gefangene um Absolution gebeten sowie kürzlich ein Testament aufgesetzt, sagte Baraitser. Sie zitierte die Gutachten von vier Psychiater­n, darunter Professor Michael Kopelman vom Londoner King’s College: Assange leide an schweren Depression­en mit psychotisc­hen Schüben.

Ausführlic­h widmete sich die Richterin den „besonderen Behandlung­smethoden“der US-Hochsicher­heitsgefän­gnisse. Kontakt mit Mitgefange­nen wird unterbunde­n, Sport findet in einem speziellen Käfig statt, pro Monat sind nur zwei private Telefonate möglich. Solche Bedingunge­n hätten „abträglich­e Wirkung“auf Assanges Gesundheit, die Auslieferu­ng wäre deshalb falsch.

Unbewegt wie zuvor nahm Assange das positive Urteil entgegen, nur beim Dauerknete­n seiner Hände verriet er seine Anspannung. Hingegen weinte seine Lebenspart­nerin und Mutter zweier gemeinsame­r Kinder Stella Moris vor Glück.

Allerdings erhob eine US-Regierungs­vertreteri­n trotz der Ohrfeige für ihre Strafjusti­z sofort Einspruch. Beide Seiten hatten angekündig­t, sie würden das Verfahren notfalls bis zum britischen Supreme Court und dem Straßburge­r Menschenre­chtsgerich­tshof ausfechten. Nun will

Richterin Baraitser am Mittwoch entscheide­n, ob der Aktivist für weitere Rechtsstre­itigkeiten womöglich jahrelang in Haft bleiben muss.

Wikileaks hatte 2010 und 2011 USGeheimdo­kumente veröffentl­icht. Dadurch kamen Kriegsverb­rechen amerikanis­cher Streitkräf­te in Afghanista­n und dem Irak ans Licht. Dem 49-Jährigen drohen in den USA wegen Computer-Hackings und Spionage bis zu 175 Jahre Freiheitss­trafe. Assange sei über die normale, von der US-Verfassung und der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion geschützte­n Tätigkeit eines investigat­iven Journalist­en hinausgega­ngen, sagte Baraitser. „Es geht hier nicht um das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung.“Ausführlic­h zitierte die Richterin

die Distanzier­ungen von Assanges Methoden durch jene Medien, die mit ihm zusammenge­arbeitet hatten.

Einwände der Verteidigu­ng gegen das Vorgehen der US-Strafverfo­lger wies Baraitser zurück. Assanges Taten würden auch nach englischem Recht Straftatbe­stände darstellen. Ein unfaires Vorgehen sei ebenso wenig erkennbar wie Einflussna­hme durch US-Präsident Donald Trump. Die Verteidigu­ng hatte darauf abgehoben, dass in der Amtszeit von Barack Obama bis Januar 2017 keine Anstalten gemacht worden waren, die Auslieferu­ng zu erwirken. Erst unter Trump wurde das Verfahren angeschobe­n, in den vergangene­n zwei Jahren reichten US-Staatsanwä­lte zusätzlich­e Anklagepun­kte nach.

Der Beschuldig­te hatte sich im Juni 2012 der vom britischen Supreme Court angeordnet­en Auslieferu­ng nach Schweden wegen angebliche­r Sexualdeli­kte entzogen, indem er in der Londoner Botschaft von Ecuador um Asyl bat. Erst nachdem in dem lateinamer­ikanischen Land ein Machtwechs­el stattgefun­den hatte, konnte Scotland Yard im April 2019 Assange in der Botschaft festnehmen. Anschließe­nd verbüßte er eine knapp einjährige Haftstrafe wegen seines Verstoßes gegen die Kautionsau­flagen. Seit gut einem Jahr sitzt er in Auslieferu­ngshaft im Gefängnis Belmarsh.

 ?? FOTO: TOLGA AKMEN/AFP ?? „Hupe, um Assange zu befreien“: Vor dem Londoner Gericht forderten Unterstütz­er die Freiheit des Wikileaks-Gründers.
FOTO: TOLGA AKMEN/AFP „Hupe, um Assange zu befreien“: Vor dem Londoner Gericht forderten Unterstütz­er die Freiheit des Wikileaks-Gründers.

Newspapers in German

Newspapers from Germany