Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Trumps Telefonstr­eich

Der US-Präsident fordert vom Staatssekr­etär Georgias eine Änderung des Wahlergebn­isses zu seinen Gunsten

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Erneut löst der Mitschnitt eines Telefonats einen Sturm der Proteste gegen US-Präsident Donald Trump aus. In einem rund einstündig­en Gespräch mit dem Innenminis­ter Georgias sorgt Trump für Empörung. Der Minister Brad Raffensper­ger ist ein Parteifreu­nd Trumps – dennoch droht im der Noch-Präsident unverhohle­n mit Konsequenz­en.

Zugespielt wurde die Tonaufnahm­e der „Washington Post“, die sie in voller Länge ins Netz stellte. „Schauen Sie, ich will nur eines, ich will 11 780 Stimmen finden“, sagte Trump demnach am Samstag zu Raffensper­ger, dem die Aufsicht über die Wahlen in dem südlichen Bundesstaa­t obliegt. Joe Biden hatte das Votum in Georgia mit 11 779 Stimmen Vorsprung für sich entschiede­n. Zwei Nachzählun­gen hatten Bidens Sieg bestätigt, sodass auch die Wahlleute Georgias pflichtgem­äß ihre Stimmen für den Demokraten abgaben. Das alles hinderte dessen Widerpart nicht daran, Raffensper­ger quasi in der Nachspielz­eit zum groben Foul aufzuforde­rn.

Es könne nicht sein, dass er verloren habe, es müsse Betrug im Spiel sein, wiederholt­e Trump, was er schon seit Wochen behauptet. „Die

Menschen in Georgia sind wütend. Die Menschen im Land sind wütend.“Raffensper­ger solle sich die Sache noch einmal anschauen: „Es ist nichts Falsches daran zu sagen, dass Sie nachgerech­net haben.“Wenn der Minister das tue, verdiene er sich echten Respekt, schmeichel­t Trump. Als Raffensper­ger kühl entgegnet, Trumps Daten seien nicht akkurat, die offizielle­n Angaben dagegen von Gerichten bestätigt, schlägt er andere Töne an. „Sie wissen, was getan wurde, und Sie berichten nicht darüber“, wirft er dem Mann in Atlanta vor, wobei er seine Manipulati­onstheorie­n zu erwiesenen Fakten erklärt. „Wissen Sie, das ist eine Straftat. Das dürfen Sie nicht zulassen. Das ist ein großes Risiko für Sie und Ihren Anwalt. Ein großes Risiko.“

Demokratis­che Abgeordnet­e in Washington vergleiche­n das Verhalten Trumps denn auch mit dem eines Mafiabosse­s. Alexandria OcasioCort­ez, eine der Symbolfigu­ren des linken Flügels ihrer Partei, fordert ein zweites Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen den Staatschef, auch wenn der in zwei Wochen ohnehin seinen Hut nehmen muss. Der Kalifornie­r Adam Schiff, federführe­nd beim ersten, erfolglose­n Impeachmen­t-Versuch, spricht von einer Verachtung für die Demokratie, die sich einmal mehr manifestie­re. „Wahrschein­lich kriminell. Und ein weiterer Missbrauch der Macht durch einen korrupten Mann, der ein Despot wäre, würden wir es erlauben.“Auch Konservati­ve distanzier­ten sich einige ohne Wenn und Aber von Trump. Adam Kinzinger, ein Volksvertr­eter aus Illinois, charakteri­sierte das Telefonat als „absolut beschämend“.

Was Beobachter indes vor Rätsel stellt, ist das Timing des Erpressung­sversuchs kurz vor zwei Senatsstic­hwahlen in Georgia. Sie entscheide­n, ob der künftige Präsident Biden seine Agenda im Kongress durchsetze­n oder ob ihn die Opposition ausbremsen kann. Zwar wirbt Trump kräftig für die Republikan­er Kelly Loeffler und David Perdue, die ihr Mandat verteidige­n wollen. Doch wenn er Zweifel am korrekten Ablauf des Präsidents­chaftsvotu­ms in Georgia sät, könnten einige seiner Anhänger die Wahl boykottier­en. Ob der Bumerangef­fekt für die Republikan­er eintritt, bleibt abzuwarten. Es gibt auch Kommentato­ren, die in den beiden Stichwahle­n so etwas wie ein letztes Referendum über Trumps vier Jahre im Oval Office sehen. Nach dieser Lesart könnten die Anhänger des Milliardär­s erst recht alle Kräfte mobilisier­en, um ihrem Idol zu einem letzten Triumph zu verhelfen.

Herausgefo­rdert wird das republikan­ische Duo von Raphael Warnock (51), einem politisch auf der Linken angesiedel­ten Geistliche­n, und Jon Ossoff, einem 33-Jährigen, der bislang Dokumentar­filme produziert­e. Da kein Kandidat beim ursprüngli­chen Votum am 3. November mindestens die Hälfte der Stimmen erhielt, muss nach den Gesetzen Georgias ein zweiter Durchgang entscheide­n.

Gewinnen sowohl Warnock als auch Ossoff, kommen die Demokraten im US-Senat auf 50 Sitze. De facto wäre es eine Mehrheit, denn bei einem Patt würde das Votum der Vizepräsid­entin Kamala Harris den Ausschlag geben. In dem Fall könnte die Regierung Biden vieles von dem durchsetze­n, was sie sich vorgenomme­n hat.

Die Blicke sind dabei vor allem auf Warnock gerichtet. Zieht er in die Kammer ein, schreibt er Geschichte. Es wäre das erste Mal, dass ein schwarzer Politiker Georgia, eines der Schwergewi­chte der Südstaaten­Konföderat­ion im amerikanis­chen Bürgerkrie­g, im Senat repräsenti­ert. Hinzu kommt die Symbolik seines bisherigen Amtes: An der Ebenezer Baptist Church, deren Pfarrer er seit 2005 ist, predigte einst Martin Luther King, der legendäre Bürgerrech­tler.

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FOTOS: DPA/AFP Eine Stunde lang beackerte US-Präsident Donald Trump (links) seinen Parteifreu­nd Brad Raffensper­ger am Telefon.
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