„Keinen Tag länger als notwendig“
Die Südwest-Wirtschaft sorgt sich über die anstehende Lockdown-Verlängerung – Viele Firmen in Existenznot
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RAVENSBURG - Endgültig entscheiden werden sich die Regierungschefs von Bund und Ländern erst am heutigen Dienstag. Doch schon zuvor ist durchgesickert, dass der Lockdown wohl noch bis Ende Januar verlängert werden wird. Für die Südwest-Wirtschaft geht es bei der Entscheidung um sehr viel, denn für zahlreiche Betriebe kann jeder weitere Tag der Schließung das Aus bedeuten.
Wie die Nachrichtenagentur dpa am Montag meldete, hat sich die Mehrheit der Ministerpräsidenten bereits für eine Verlängerung bis zum 31. Januar ausgesprochen. Zuvor waren in der Politik auch der 24. Januar oder sogar ein unbefristeter Lockdown debattiert worden.
„Viele Unternehmen, die von dem zweimaligen Lockdown betroffen sind, haben ihr Eigenkapital weitgehend aufgezehrt“, sagt Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Baden-Württembergischen Handelsverbands am Montag. Je länger der Lockdown also dauere, „desto mehr Unternehmen kommen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten und desto mehr werden pleitegehen. Insofern: Je kürzer die Verlängerung ausfällt, desto besser“, sagt Hagmann.
Die Lage sei in jedem Fall katastophal und bei einer beschlossenen Verlängerung müsse man im schlimmsten Fall „mit einer Verdoppelung der von uns prognostizierten 6000 Schließungen in Baden-Württemberg auf rund 12 000 Schließungen und Insolvenzen in den kommenden zwei Jahren rechnen“, sagt Hagmann. Das volle Ausmaß der Krise werde sich erst im kommenden Jahr zeigen.
Auch das baden-württembergische Handwerk schlägt angesichts der anstehenden Lockdown-Verlängerung Alarm. „Jede Verlängerung der Maßnahmen wird die ohnehin dramatische Lage vieler Handwerksbetriebe weiter verschärfen“, sagt Rainer Reichhold, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstags (BWHT) der „Schwäbischen Zeitung“. Der Handwerkstag erwarte, dass sich die Politik der Ausnahmesituation, die ein Lockdown für die Wirtschaft bedeute, bewusst sei „und die Verlängerung keinen Tag länger als notwendig beschließt“.
Handwerksbetriebe, die vom Lockdown betroffen seien, seien vor allem die bereits seit Wochen geschlossenen Friseur- und Kosmetikbetriebe. Für Schreiner, Textil- und Gebäudereiniger, die ihre Aufträge über Veranstaltungen, Messen, Gastronomie
oder Hotels generieren, bedeuteten die Schließungen harte Einschnitte. Auch für Brauereien falle mit der Gastronomie der wesentliche Absatzkanal weg.
Dass die Lage außerordentlich schwierig ist, sieht auch der badenwürttembergische Hotel- und Gaststättenverband Dehoga so. Grundsätzlich unterstütze der Verband laut Sprecher Daniel Ohl Maßnahmen, die zur Eindämmung der Pandemie wissenschaftlich begründet notwendig seien, aber dann müsse der Staat den geschlossenen Betrieben im Gegenzug das wirtschaftliche Überleben auch ermöglichen. „Die versprochenen Hilfszahlungen des Bundes sind aber bisher zu spät und nicht im zugesagten Umfang bei den Betrieben angekommen“, sagt Ohl. Für die Betriebsschließungen im November und Dezember hatte die Bundesregierung den betroffenen Betrieben Zahlungen in Höhe von bis zu 75 Prozent des Umsatzes vom Vorjahresmonat zugesagt.
Ob ein Betrieb die Krise wirtschaftlich überstehen könne, hänge also weniger von der Länge des Lockdowns, sondern vor allem vom Umfang der Hilfszahlungen ab und ob diese eben auch ankommen, sagt Ohl. Bei einer Umfrage des Dehoga Baden-Württemberg von Anfang Dezember,
an der sich rund 5500 Mitgliedsbetriebe beteiligt hätten, hätten 70 Prozent der Betriebe angegeben, dass die wirtschaftliche Existenz ihres Unternehmens durch die Corona-Krise gefährdet sei, sagt Ohl. „Angesichts der Verzögerungen bei den Auszahlungen der Hilfen dürfte sich die Situation nach unserer Einschätzung zwischenzeitlich nicht entspannt haben.“
Wolfgang Grenke, der Präsident des Baden-Württembergischen Industrieund Handelskammertags (BWIHK) macht darauf aufmerksam, dass die Hauptherde der Infektionen nicht im betrieblichen Kontext, sondern im privaten Bereich liegen würden. „Ich appelliere daher, Kontakte wo immer möglich einzuschränken, damit unsere Wirtschaft schnell wieder Fahrt aufnehmen kann. Denn in vielen Branchen ist Alarmstufe Dunkelrot: vom Handel, der Hotellerie über die Gastronomie bis hin zur Veranstaltungs- und Dienstleistungsbranche. Allein im Einzelhandel kostet jeder Tag im Lockdown bundesweit 800 Millionen Euro“, sagt Grenke der „Schwäbischen Zeitung“.
Er erwarte vom Bund-LänderGipfel am heutigen Dienstag „endlich Aussagen zu einem belastbaren Gesamtfahrplan, der sich an der Entwicklung
medizinisch handhabbarer Fallzahlen orientiert“. Die Impfstrategie sei dabei maßgeblich. „Hier müssen wir einen Zahn zulegen. Ebenso erwarte ich, dass kreative Maßnahmen zur Kundenbindung von geschlossenen Betrieben gefördert und nicht verboten werden.“
Ein Beispiel sei der Abholservice Click & Collect. Hier können die Kunden online oder per Telefon zuvor bestellte Ware im Geschäft vor Ort abholen. In Baden-Württemberg war dieses Verfahren von der Landesregierung aber verboten worden, da Warteschlangen und Kundenverkehr in den Innenstädten das Gebot der Kontaktreduzierung konterkarieren würden. „Das ergibt für mich als Unternehmer wenig Sinn“, sagt Grenke, „denn die Kontaktbeschränkungen werden eingehalten und es ist nach den Feiertagen eher unwahrscheinlich, dass sich Warteschlangen bilden. Über ein digital vergebenes Zeitfenster zur Abholung könnte man Ansammlungen vermeiden“, sagt er.
Dass es am heutigen Dienstag zu einer Verlängerung des Lockdowns kommt, dürfte beschlossene Sache sein. Das sehen auch die Verbände so. Für Hilfszahlungen und Erleichterungen für die Betriebe im Land wollen und werden sie aber weiter hart kämpfen.