Angebot an Arbeitskräften drastisch gesunken
Fast eine halbe Million Arbeitnehmer und Selbstständige weniger in 2020 – Marktforscher rechnen 2021 nicht mit weiterem Einbruch
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FRANKFURT - 2020 zählte das Statistische Bundesamt 44,8 Millionen Arbeitnehmer und Selbstständige, das waren knapp eine halbe Million weniger als noch im Vorjahr. Damit sind 14 Jahre Aufschwung am Arbeitsmarkt zu Ende gegangen, ein Aufschwung, der noch nicht einmal durch die Finanzkrise 2007/2008 gestoppt wurde. „2020 war ein schlechtes Jahr nach sehr vielen, sehr schönen Jahren“, meint Holger Bahr, Leiter Volkswirtschaft der Dekabank. Nun aber wurden zwar wegen der Corona-Krise viele Arbeitsplätze gestrichen, noch mehr aber konnten durch Kurzarbeit gerettet werden – jedenfalls bisher.
Staatliche Arbeitgeber und die Bereiche Gesundheit und Erziehung beschäftigten gut 150 000 mehr Menschen als noch 2019, die Zahl der Arbeitnehmer in der Baubranche legte ebenfalls leicht zu auf gut zweieinhalb Millionen. Die Industrie aber zählte über das Gesamtjahr gesehen mit 8,2 Millionen Arbeitnehmern 191 000 weniger als ein Jahr zuvor. Doch immerhin zog die Nachfrage nach deutschen Exportgütern in der Industrie in der zweiten Jahreshälfte wieder an und stabilisierte damit auch die Beschäftigung im produzierenden Gewerbe. Für weite Teile des Dienstleistungssektors aber war 2020 „ein verlorenes Jahr“, urteilt Holger Bahr von der Dekabank. So verzeichneten die Bereiche Handel, Verkehr und Gastgewerbe die größten Verluste. Sie boten 207 000 Menschen weniger Arbeit, das war ein Minus von zwei Prozent. Ein Minus von 156 000 Menschen verzeichneten die Unternehmensdienstleister. Die Zahl der Selbstständigen geht schon seit neun Jahren zurück, inzwischen sind es nur noch vier Millionen – ein Minus von 3,7 Prozent.
Im laufenden Jahr rechnen Arbeitsmarktforscher zwar nicht mit einem weiteren Einbruch – trotz des zweiten Lockdowns. „Wir wissen mittlerweile, woran wir mit einem Lockdown sind“, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. „Und wir haben die Perspektive, dass wir mit den Impfungen die Pandemie irgendwann in den Griff bekommen können.“
Allerdings werde sich der Arbeitsmarkt nicht sofort umfassend erholen, der Weg zurück zum Vorkrisenniveau werde schwierig. „Deswegen ist es auch essenziell, dass wir den Arbeitsmarkt zusätzlich anschieben mit einer Förderung von Neueinstellungen, damit der Arbeitsmarkt sich schneller erholt und sich Arbeitslosigkeit nicht am Ende noch verfestigt.“
Auch Holger Bahr von der Dekabank rechnet erst für die zweite Jahreshälfte mit leichten Zuwächsen, 2022 dann mit einem Plus von etwa einem Prozent.
Das Statistische Bundesamt weist aber auch auf einen strukturellen Trend hin: Denn das Angebot an Arbeitskräften, das „Erwerbspersonenpotenzial“, sinkt und das unabhängig von der Corona-Krise. Das liegt vor allem am demografischen Wandel, mehr Menschen scheiden also etwa wegen Rentenbeginn aus dem Arbeitsmarkt aus als andere hinzukommen. In den vergangenen Jahren war dieser Trend noch nicht so stark. „Wir hatten seit knapp einem Jahrzehnt eine sehr hohe Zuwanderung“, erklärt Enzo Weber vom IAB. Und vor allem hätten immer mehr Frauen und ältere Menschen am Arbeitsleben teilgenommen. Das aber habe sich 2020 stark gewandelt. Denn da sei das Angebot an Arbeitskräften um einige Hunderttausend gesunken. Auch wenn sich das in dem Ausmaß nicht so fortsetzen dürfte, so bleibe aber der grundsätzliche Trend, sagt Weber: „Die Zeit immer steigender Erwerbstätigkeit ist vorbei.“Darauf sollte sich die Politik vorbereiten, meint Holger Bahr von der Dekabank und rät zu einer Erhöhung des Renteneintrittsalters. Denn die Bevölkerung werde weiter schrumpfen.