Wahlkampfexperte schätzt US-Situation ein
Julius van de Laar über Trumps umstrittenes Georgia-Telefonat – Fazit zur besonderen Wahl
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URSPRING – Die Stimmzettel sind ausgezählt, der Sieger der Wahl steht fest: Doch ruhig wird es in den USA deswegen noch lange nicht. Julius van de Laar, ehemaliger Urspringschüler, US-Wahlkampfexperte und Strategieberater ordnet im Gespräch mit der SZ nun nicht nur die ganz besondere Wahl in Amerika ein, sondern ordnet auch die neuesten Nachrichten aus dem Weißen Haus ein.
Denn wie die Washington Post am Sonntag berichtete, bemühte sich der noch amtierende US-Präsident Donald Trump, seine Wahlniederlage im Bundesstaat Georgia nachträglich zu verändern. In einem einstündigen Telefonat forderte er den Staatssekretär Brad Raffensperger mehrfach dazu auf, nachträglich Stimmen für ihn „zu finden“, das Ergebnis „nachzuberechnen“. Das löste bei den Demokraten Entrüstung aus.
Für den Wahlkampfexperten van de Laar ist klar: „Es gibt noch die paar letzten, verzweifelten Versuche der Republikaner, die Wahl rauszuschieben. Es sind politisch motivierte Versuche, die am Ausgang der Wahl nichts ändern werden, sondern lediglich der eigenen Positionierung innerhalb der republikanischen Parteibasis dienen.“So sei auch das nun veröffentliche Telefonat zu interpretieren. Gleich am Sonntag hörte sich der ehemalige Urspringschüler die Aufzeichnung an. Überraschend kommt die Nachricht für viele Experten nicht. van der Laar: „Donald Trump weiß, was er tun muss, um in der medialen Berichterstattung vorzukommen.“
Die Motivation seitens Trump, nachträglich den Sieg für sich zu beanspruchen, sieht van de Laar in der Konsequenz, die auf den scheidenden Präsidenten am 20. Januar wartet. „Joe Biden wird aller Voraussicht nach am 20. Januar um 12 Uhr mittags als neuer US-Präsident vereidigt“, sagt van de Laar und ergänzt: „Siegen stand immer schon für Donald Trump über allem. Dementsprechend tut sich der amtierende Amtsinhaber schwer damit, der Realität ins Auge zu schauen, dass er einer der wenigen US-Präsidenten mit nur einer Amtszeit sein wird.“
Spannend sei, so der Experte, was am Dienstag in Georgia passieren wird: Denn am 5. Januar fällt die letzte Entscheidung der US-Wahl, im Bundesstaat Georgia wird der Senat per Stichwahl ermittelt. Der Ausgang dieser Senatswahl wiederum entscheidet nicht nur über die Repräsentanten des Staates in der Hauptstadt, sondern auch über die Kontrolle der oberen Kongresskammer. Kommt es zum Patt, entscheidet letzten Endes laut Verfassung die dann neue Vize-Präsidentin und Demokratin Kamala Harris. Bekäme Joe Biden nicht die Mehrheit, könnte er als Präsident nicht „durchregieren“, sondern muss per Dekret regieren – und damit wäre Biden nach 100 Jahren der erste Präsident, dem dieses Schicksal widerfährt.
Auch in Georgia macht das Land der Superlative Schlagzeilen. „Die Kampagnen in der Senatswahl im Bundesstaat Georgia investieren mehr als 500 Millionen Dollar in Wahlwerbung. Das kann man sich in Deutschland nicht vorstellen. Schließlich hat der Bundesstaat sieben Millionen Bewohner und es geht ‚nur‘ um zwei Sitze im Senat. Zum Vergleich: Allein in Baden-Württemberg leben 11,7 Millionen Menschen“, erklärt der Wahlkampfexperte.
Mit etwas Abstand zur US-Wahl fällt Julius van de Laar ein gemischtes Fazit. „Die Wahl war unter den Gesichtspunkten Corona, den beiden ältesten Kandidaten aller Zeiten und dem, was auf dem Spiel stand, etwas wirklich Besonderes und dennoch war das Ergebnis das, was unter den Umständen absolut offensichtlich scheint.“Und auch er ist sich sicher: Ruhig wird es in den USA wohl nicht werden.