Weltmeister und Nummer 1 – buaaaaaah!
Gerwyn Price, 2014 vom Rugbyfeld an die Dartsscheibe gewechselt, ist endgültig ganz oben
LONDON (dpa) - Die prickelndsten Stunden seiner Dartskarriere genoss Triumphator Gerwyn Price ganz alleine. Zunächst schleppte der erste Weltmeister aus Wales die 25 Kilogramm schwere Sid-Waddell-Trophy quer durch den Konfettiregen im coronabedingt leeren Alexandra Palace. Dann musste der frühere Rugbyprofi auch im Londoner Hotel ohne seine Frau und die beiden Töchter feiern. Doch Gerwyn Price ließ sich den größten Sieg seiner Laufbahn nicht im geringsten verderben. Mit Weltmeisterpokal im Arm sagte er strahlend und allerbester Laune: „Ich hoffe, dass sich die 500 000 Pfund (Preisgeld; d. Red.) genauso schwer anfühlen.“
Der furiose 7:3-Finalsieg über Schottlands Ex-Weltmeister Gary Anderson war für den muskulösen Price eine Krönung in zweierlei Hinsicht. Der 35-Jährige darf sich nun nicht nur Weltmeister nennen, er löste am Montag auch den niederländischen Primus Michael van Gerwen nach dessen siebenjähriger Regentschaft als Nummer 1 der Weltrangliste ab.
„Worte können nicht beschreiben, was ich fühle. Es ist wohl schwieriger, die Nummer 1 zu werden als Weltmeister. Dass ich nun beides gleichzeitig geschafft habe, ist unglaublich für mich“, sagte Gerwyn Price. Englands Rekordweltmeister Phil Taylor gratulierte direkt via Twitter und attestierte Price, „brillant“gespielt zu haben.
Für den so Geadelten ist der WMTriumph der Höhepunkt seines Sportartenwechsels vom Rugbyfeld an die Dartsscheibe, den er 2014 endgültig vollzogen hat. Der Traum vom walisischen Nationalteam war zuvor geplatzt, nachdem er sich am Handgelenk verletzt hatte. Über sich selbst sagt Gerwyn Price gerne: „Vor ein paar Jahren war ich noch Rugbyspieler, heute ziehe ich Dartsprofis das Geld aus der Tasche.“Provokante Aussagen wie diese ließen Gerwyn Price unbeliebt werden. Fans buhten ihn gerne, häufig und lautstark aus. Für den Weltverband PDC allerdings ist er ein Segen – bedient er die Sehnsucht nach echten Typen doch so gut wie kaum ein anderer.
Im Siegestrubel vom Sonntag wollte Gerwyn Price das alte Kapitel endgültig schließen. „Rugby ist vorbei, ich bin Weltmeister und die Nummer 1 der Welt“, sagte „The Iceman“, der im Endspiel nur einmal zittern musste, als er elf Matchdarts auf ein Doppelfeld liegen ließ. So einen Druck habe er in seinem Leben noch nie verspürt, erklärte Price später.
Manch dartskritischer Fernsehzuschauer dürfte sich gewundert haben, dass ein definierter Muskelprotz das wichtigste Turnier der Welt gewinnt – und kein Profi, der zumindest einen Bauchansatz vor sich herschleppt. Gerwyn Price ist aber nicht nur in dieser Hinsicht anders. Durch die üblichen Gepflogenheiten in seiner alten Sportart ist der Waliser andere Sitten gewohnt. Um die Etikette am Dartsboard scherte er sich in den vergangenen Jahren nicht groß. Über ihm abgeneigte Fans etwa sagte er der Tageszeitung „Die Welt“einmal: „Das beschäftigt mich nicht. Die können mich mit Bier oder Münzen beschmeißen, mich bespucken. Das würde mich nicht aus der Ruhe bringen.“
Das Image als Bad Boy pflegte Gerwyn Price über einen längeren Zeitraum, im Corona-Jahr hielt er sich mit seinen Aussagen eher zurück. Das laute und markante „Buaaaaaah!“nach erfolgreichen Würfen aber ist geblieben. Deutschlands Topprofi Max Hopp ist von Gerwyn Price und dessen Attitüde nicht nur deshalb begeistert. „Gerwyn ist kein verkehrter Typ. Er ist manchmal ein bisschen drüber, aber das sind Emotionen, und der Sport braucht Emotionen“, sagt Hopp. Der 24-Jährige hatte schon vor dem WM-Turnier auf Price als Sieger getippt.
Der Weltmeister 2021 hatte in der abgelaufenen Saison die meisten Titel gewonnen und galt neben Van Gerwen und Titelverteidiger Peter Wright tatsächlich als großer Favorit. Dass der bestens dotierte Coup von London wirklich gelang, machte ihn selbst ein Stück fassungslos. „Es gibt keinen größeren Tag als diesen. Ein großes Dankeschön geht an die Familie. Wenn ich heimkomme, werde ich definitiv mit ihnen feiern“, sagte Gerwyn Price. Der Titel bedeute ihm die Welt; er ist die Folge eines stetigen Aufstiegs. Quereinsteiger Price verbesserte sich über die Jahre von Rang 76 über die Plätze 31, 20, 13, sieben und drei – nun steht er ganz oben.
Nach seinem Achtelfinaleinzug bei der WM hat auch in der Weltrangliste einen Sprung nach vorne gemacht. Der 37 Jahre alte Saarländer verbesserte sich in dem vom Weltverband PDC veröffentlichten Ranking um zwei Plätze auf und steht erstmals in seiner Karriere in den Top 30. (Idstein) wird als zweitbester Deutscher auf Rang 39 geführt wird.
Gabriel Clemens
Position 29
Max Hopp