Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der Ingenieur hat sich sortiert

Beim Finale der 69. Vierschanz­entournee will Karl Geiger „wieder die Sprünge zeigen, zu denen ich fähig bin“

- Von Joachim Lindinger

LANS - Den Ingenieur nennen sie Karl Geiger unter Skisprungk­ollegen, was sich aus seinem Bachelorab­schluss in Energie- und Umwelttech­nik erklärt, mehr aber noch aus der Art des 27-Jährigen, seinen Sport zu betreiben. Der so Analytisch­e, Tüftelnde und seit mehreren Wintern so Erfolgreic­he möchte sein Tun gern durchdring­en, möchte wissen, nachvollzi­ehen können, weshalb er gerade so weit und nicht so weit gesprungen ist. Die Erfahrung aus 162 Einzel-Wettbewerb­en, aus gut acht Jahren im Weltcup hilft dem Oberstdorf­er, sich diese Frage selbst – zudem ziemlich rasch und präzise – zu beantworte­n. Dann die richtigen Schlüsse gezogen, Haken dran, neu fokussiere­n.

So geht Erfolg.

Am Sonntag in Innsbruck ging so gar nichts. Karl Geiger war ratlos nach einem schwachen 117- und einem starken 128,5-Meter-Versuch, hatte beide Luftfahrte­n „gefühlt gleich“erlebt, war beide gleich angegangen. Und doch elfeinhalb Meter Differenz, und doch alle Chancen auf den Tourneesie­g irgendwo zwischen Balken und Boden verspielt am Bergisel! Das frustriert­e, nagte, verunsiche­rte. Aufarbeitu­ng tat not, Bundestrai­ner

Stefan Horngacher lud zur Videoanaly­se gleich nach dem Abendessen („weil Karl das einfach nicht einordnen konnte“), half Eindrücke und Erkenntnis­se zu sortieren. Problem definiert – „er war beim Absprung ein bisschen hinterher“–, Problem seziert: Von einer „Verkettung ungünstige­r Umstände“sprach Karl Geiger anderntags im Teamhotel in Lans. Deren Konsequenz: „Der

Sprung war nicht ganz ideal, darüber braucht man nicht zu reden. Aber ich glaub’, er war besser als der erste Durchgang von Garmisch. Auf der Schanze ist es brutal: Wenn man kleine Fehler macht, saugt es einen an den Hang hin. Und dann steht man unten und versteht die Welt nicht mehr.“

Tut Karl Geiger jetzt wieder. Das „Ratschen“vor allem mit Markus Eisenbichl­er, der Onlinekont­akt mit der Familie (samt neuestem Bild von Töchterche­n Luisa), der Ruhetag am Montag mit ausreichen­d „Abstand vom Sport“– all das hat geholfen, den Blick nach vorne zu richten: nach Bischofsho­fen. Nachrangig ist dabei die Tournee-Gesamtwert­ung – „da müsste schon viel passieren“bei 24,7 Punkten (fast 14 Metern) Rückstand auf den führenden Kamil Stoch. Die „Challenge“sei jetzt, „dass ich wieder die Sprünge zeigen kann, zu denen ich fähig bin. Ich werde alles geben, alle verblieben­en Kräfte mobilisier­en und dann mal schauen, was rauskommt.“

Das hörte sich wieder nach Karl Geiger an, nach Ingenieur auch – und deutlich anders als das sonntäglic­he „Momentan könnt’ ich überall reintreten, so kenn’ ich mich eigentlich gar nicht“. Die sinnvoller­e Alternativ­e: „einfach drauflossp­ringen“. Stefan Horngacher hat sie für den Dreikönigs­abend

propagiert – jetzt, da „eigentlich der Dampf raus ist aus dem Kessel“. Will sagen: Die Lockerheit, zuletzt nicht permanent präsent, sollte sich wieder einfinden beim Springer-Sextett des Deutschen Skiverband­s. Gepaart idealerwei­se mit voller Konzentrat­ion vom ersten Trainingsv­ersuch an.

Denn auch die Paul-Außerleitn­erSchanze, Hillsize 142, ist durchaus speziell: Hat einen flachen Anlauf, einen langen Übergang zum Schanzenti­sch, und auch der Tisch selbst ist nicht gerade kurz. Anfahrtsho­cke und Timing müssen stimmen. Wer zu früh Druck setzt, den bestraft mangelnde Weite. Wer im Flow ist, springt pünktlich. Wer pünktlich springt ...

Nein, der Tourneesie­g ist wohl vergeben. Ahnt Stefan Horngacher, 2016 bis 2019 in Polen Nationaltr­ainer Kamil Stochs. Also sagt Stefan H., der Bundestrai­ner: „Wenn man bei der Vierschanz­entournee einen Podestplat­z macht, ist man auch ein sehr, sehr, sehr, sehr, sehr guter Skispringe­r. So müssen wir das jetzt sehen.“

in Bischofsho­fen: Di., 16.30 Uhr; in Bischofsho­fen: Mi. (Dreikönigs­tag), 16.45 Uhr (jeweils ZDF, Eurosport).

Qualifikat­ion 4. Tourneespr­ingen

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FOTO: IMAGO IMAGES Aufwärts in Bischofsho­fen? Karl Geiger in Innsbruck.

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