Zwiespältige Gefühle
Handball: Der Ehinger Trainer Marko Gegic über die WM in Zeiten der Pandemie
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EHINGEN - Mit dem Spiel zwischen Gastgeber Ägypten und Chile ist am Mittwoch die Handball-Weltmeisterschaft eröffnet worden. Das Turnier findet in einer Zeit statt, in der die Pandemie das öffentliche Leben und auch den Profisport nach wie vor beeinträchtigt. Wegen vieler CoronaFälle sagten die Nationalmannschaften aus Tschechien und den USA ihre Teilnahme kurzfristig ab, beim deutschen Team verzichten Spieler vorsorglich auf ein Mitwirken. Für die SZ blickt Marko Gegic, Trainer des Handball-Bezirksligisten TSG Ehingen, auf die WM, bei der Ausrichter Ägypten zunächst eine bestimmte Zuschauerzahl zulassen wollte. Ein weiteres Thema ist die Größe des Turniers, erstmals sind bei einer Handball-WM 32 Teams dabei. Darunter sind Deutschland und Kroatien, auf die Gegic ein besonderes Augenmerk hat.
Die Organisation WM und Pandemie: „Ich hätte die Weltmeisterschaft zu diesem Zeitpunkt nicht gemacht“, sagt Marko Gegic. In vielen Teilen der Welt sind die Corona-Fallzahlen hoch und dass kurzfristig die USA und Tschechien wegen vieler infizierter Spieler absagten und die Kapverden, einer der deutschen Vorundengegner, sowie Brasilien ebenfalls kurz vor Turnierbeginn Corona-Fälle in ihrer Mannschaft meldeten, bestärken den Ehinger Trainer in seiner Auffassung, dass man die WM im Januar 2021 besser gestrichen hätte. Anders als die Handball-Bundesliga, deren Austragung Gegic begrüßt, weil es dort um die Existenz der Vereine und Spieler geht. „Dass man die Bundesliga hochhält, ist sinnvoll.“Und dass bei der WM TopSpieler wie Steffen Weinhold, Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek vom THW Kiel zur Risikovermeidung in der Pandemie auf die Teilnahme verzichten, dafür hat Marko Gegic Verständnis.
WM-Ausrichter: Ägypten hält Marko Gegic nicht für den optimalen Ausrichter, ein etwas mulmiges Gefühl sei da schon dabei, sagt er. Dies hat auch damit zu tun, dass der Gastgeber lange Zeit am Plan festhielt, eine bestimmte Anzahl an Fans zuzulassen und die Hallen zu einem Teil zu füllen. Vornehmlich der Protest von Spielern sorgte für ein Umdenken, nun bleiben die Ränge leer. Gegic findet dies richtig. „Wir kämpfen mit hohen Infektionszahlen, Maßnahmen werden immer strenger, und dann werden zu
Handball-Spielen Zuschauer zugelassen. Das wäre für mich unverständlich gewesen.“
32 Teilnehmer: Die Aufstockung der Weltmeisterschaft auf nun 32 Mannschaften stößt bei Gegic auf Kritik. „Das ist überhaupt nicht gut“, sagt der TSG-Trainer. Zum einen bringe dies zu viele „langweilige“Spiele mit sich („Die EM ist viel interessanter“), zum anderen führe die Ausdehnung zu einer Mehrbelastung für die Profis. „Sie haben schon ihre normale Liga, Champions League und Pokal, im Handball kommt eins nach dem anderen.“Und eine Pause gibt es nach der WM für die Spieler auch nicht. „Eine Woche nach der WM geht es in den in den Vereinen weiter.“
Der Sport Vorfreude: Ungeachtet der Kritik an der Austragung in diesen Tagen schlägt bei Marko Gegic die Liebe zum Handballsport und das Interesse am Turnier durch. „Klar schimpft man mal, aber wenn das erste Spiel angepfiffen ist und man dann auch gute Spiele zu sehen bekommt, ist man doch dabei“, sagt er. Gleichwohl müssen die Fernsehzuschauer Abstriche machen, denn ohne Publikum in der Halle fehle viel Atmosphäre, so Gegic. Auf Dauer schränke dies die Freude ein, der Ehinger Trainer erlebt es bereits bei den Bundesliga-Spielen, die ebenfalls aus leeren Hallen übertragen werden. „Wenn man dann das Quietschen der Schuhe hört, merkt man, wie sehr die Stimmung fehlt.“Doch Gegic wird die Handball-WM nicht nur als Fan verfolgen, sondern auch als Trainer. Er achte darauf, ob es technisch und taktisch etwas Neues gebe. „Wie wird in der Abwehr gespielt, wie reagiert eine Deckung auf groß gewachsene Spieler – das sind Sachen, aus denen man auch was für den Amateursport ziehen kann“, sagt Gegic. Ebenfalls interessant für ihn sind die Ansprachen der Nationaltrainer bei Auszeiten. „Wenn es kurz vor Schluss Unentschieden steht, ist schon spannend, was sie sagen. Oft ist es das Gleiche, was ich meinen Jungs auch sagen.“Nur hörten die Nationalspieler manchmal besser auf ihren Trainer, ergänzt Gegic schmunzelnd.
Vorlieben: Das Augenmerk von Marko Gegic, der als Kind kroatischer Einwanderer im fränkischen Haßfurt zur Welt kam, ehe die Familie mit dem damals Sechsjährigen nach Ehingen zog, richtet sich bei der WM in erster Linie auf die deutsche und die kroatische Mannschaft. „Das ist mein Vorteil. Ich habe zwei Karten, und so kann ich bei Turnieren meist lange den Daumen drücken.“Beide Länder zählen zu den Schwergewichten im Handballsport und in der Vergangenheit hat es zumindest eine von ihnen bei einer WM, einer EM oder bei Olympischen Spielen meist weit gebracht. Emotional sei er ein wenig mehr für Kroatien, sagt er. Was auch damit zu tun hat, dass er Spiele der Kroaten gern im kroatischen Fernsehen anschaut und es dabei in der Regel lauter und lebhafter zugeht als bei Spielen der deutschen Mannschaft in der ARD oder im ZDF. Sportlichen Erfolg wünscht er gleichwohl beiden Mannschaften und bei einem Duell der beiden Nationen kann er mit jedem Ergebnis leben. „Wenn Kroatien gegen Deutschland verliert, bin ich danach nicht gefrustet.“
Favoriten: Sechs Mannschaften kommen für Gegic für den WM-Titel 2021 in Frage: Neben Deutschland und Kroatien noch Titelverteidiger Dänemark, Norwegen, Island und vor allem Frankreich. „Für mich der Top-Favorit.“Eine Mannschaft, die sehr konstant und auch von der Bank her gut besetzt ist. Ein Vorteil vor allem gegenüber die Kroatien, die in Domagoj Duvnjak und Luka Cindric ihre herausragenden Spieler haben. „Wenn man sie aus dem Spiel nimmt, entsteht ein Bruch.“Was aus Sicht von Gegic ebenfalls nicht für Kroatien spricht, ist neben dem immer wieder gezeigten Nervenflattern in entscheidenden Momenten auch Coach Lino Cervar, 70 Jahre alt ist, von 2002 bis 2020 schon einmal fürs Nationalteam verantwortlich und 2017 zurückgeholt auf den Posten. „Das war für mich ein Schritt zurück. Wir haben moderne Spieler, aber einen Trainer der eher alten Schule.“Marko Gegic sieht Parallelen zum deutschen Fußball-Nationaltrainer Joachim Löw. „Keine Frage, was sie geleistet haben, aber irgendwann ist die Zeit vorbei.“Deutschlands Handball-Nationalcoach Alfred Gislason ist zwar auch kein Frischling und mit 61 zwar jünger als Cervar, aber nicht als Löw, doch übernahm der Isländer erst im Februar 2020 die Mannschaft, für den langjährigen erfolgreichen Vereinstrainer eine ganz neue Herausforderung. Ein Plus für das deutsche Team sieht Gegic bei den Torhütern. Gleich drei hervorragende Torhüter seien im Kader, während die meisten anderen Nationen „nur einen Wahnsinnskeeper haben und die anderen okay sind“. Darüber hinaus könne auch die Mentalität ein Vorteil sein.