Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Keiner will es gewesen sein

Ex-Minister Dobrindt sieht Schuld für Maut-Debakel bei seinem Nachfolger Scheuer

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Der Karlsruher FDP-Abgeordnet­e Christian Jung hatte sich am Donnerstag viel vorgenomme­n. „Das wird eine Nachtsitzu­ng“, kündigte er den Journalist­en an, die in einem gesonderte­n Sitzungssa­al die Zeugenanhö­rung im Maut-Untersuchu­ngsausschu­ss verfolgten. Da war es noch früher Nachmittag. Obwohl nur drei Zeugen geladen waren, sollte Jung recht behalten. Erst gegen vier Uhr morgens ging die Sitzung mit der Befragung des früheren Verkehrsmi­nisters Alexander Dobrindt (CSU) zu Ende.

Gemessen am Aufwand war das Ergebnis der Befragung überschaub­ar. Ein Fehlverhal­ten bei der bis zu 560 Millionen Euro teuren Pleite bei der 2019 geplatzten Einführung der Pkw-Maut will sich niemand ankreiden lassen. Damals entschied der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH), dass die ausschließ­lich Ausländer treffende Gebühr nicht europakonf­orm sei. Damit war das Projekt gestorben.

Die Verträge mit den Betreibern hatte der amtierende Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer jedoch schon vor dem Urteil abgeschlos­sen. Daraus

resultiere­n nun die hohen Schadeners­atzforderu­ngen des Betreiberk­onsortiums.

Dobrindt wies jede Mitschuld von sich.

Nach seinen Verhandlun­gen mit der EU-Kommission habe es keine Zweifel an einer Vereinbark­eit der Maut mit dem Europarech­t gegeben.

Das spätere Urteil habe ihn sehr überrascht. Seinem Nachfolger Scheuer mochte der heutige Chef der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag keinen Freibrief ausstellen. Jeder Minister sei für seine Entscheidu­ngen selbst verantwort­lich, sagte Dobrindt. Eine Rückenstär­kung war diese Aussage nicht. Opposition­spolitiker werten dies auch eher als Absetzbewe­gung vom amtierende­n Ressortlei­ter.

Der wichtigste Vorwurf gegen Scheuer lautet weiterhin, dass er die Verträge mit den Betreibern trotz ausstehend­em EuGH-Urteil abschloss und damit erhebliche finanziell­e Risiken einging. Auch haben Zeugen der Betreiberg­esellschaf­t vor dem Ausschuss ausgesagt, dass es von ihrer Seite das Angebot an den Minister gab, mit der Unterschri­ft bis zu einem Urteil zu warten.

Hier steht auch kurz vor dem Abschluss der Anhörungen Aussage gegen Aussage. Beweisen konnten die bisherigen Vernehmung­en die Behauptung nicht. Scheuer kann sich an ein solches Angebot nicht erinnern. Sein früherer Staatssekr­etär Gerhard Schulz, damals wegen seiner starken Einbindung in das Projekt als „Mister Maut“bezeichnet, ist sich sicher, dass es kein derartiges Angebot gab. Diese Aussage wiederholt­e er nun noch einmal. Auch mit Nachfragen zu einem Medienberi­cht, dem zufolge ein Teil der Mailkommun­ikation zum Verfahren über Scheuers private Mailadress­e gelaufen sei, kam der Ausschuss nicht weiter. Den Vorwurf wies Schulz zurück.

Wie glaubwürdi­g die Angaben der Betreiber zu ihrem vermeintli­chen Angebot sind, lässt sich vermutlich nicht mehr endgültig klären. Schulz verwies dazu auf die Interessen­lage. Die beiden betreffend­en

Manager würden von einem erfolgreic­hen Schiedsver­fahren selbst finanziell profitiere­n. Eine Schwächung der Gegenseite könne Teil einer Verhandlun­gsstrategi­e sein.

Die letzte Möglichkei­t, direkt aus dem Mund des wichtigste­n Akteurs die Wahrheit zu erfahren, hat der Ausschuss am 28. Januar. Dann tritt Scheuer zum zweiten und letzten Mal in den Zeugenstan­d. Bisher hat der Minister es wohl eher dem Glück zu verdanken, dass das Mautdesast­er ihn nicht seinen Job gekostet hat. Als es eng für ihn wurde, kam die Corona-Krise auf und drängte alle anderen Themen zurück. Als er im vergangene­n Oktober öffentlich­keitswirks­am im Ausschuss antreten musste, befasste sich die Öffentlich­keit vorrangig mit der Corona-Erkrankung von Donald Trump.

Bis zum Sommer will der Ausschuss einen Abschlussb­ericht vorlegen. Unabhängig von dessen Ergebnisse­n wird Scheuer vor der Bundestags­wahl im September kaum aus dem Amt gedrängt. Ob er sich als Verkehrsmi­nister für andere Regierungs­aufgaben empfohlen hat, darf nach der jüngsten Aussage Dobrindts angezweife­lt werden.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA 560 Millionen Euro kostet den Staat und seine Bürger die geplatzte Pkw-Maut auf deutschen Autobahnen.
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FABIAN SOMMER FOTO: A. Dobrindt

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