Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Niederländ­ische Regierung tritt nach Skandal zurück

Steuerbehö­rden hatten Tausende Eltern zu Unrecht als Betrüger hingestell­t

- Von Annette Birschel

DEN HAAG (dpa) - Wenige Wochen vor der Parlaments­wahl im März ist die niederländ­ische Regierung zurückgetr­eten und hat damit die Konsequenz­en aus einer beispiello­sen Affäre um Kinderbeih­ilfen gezogen. „Der Rücktritt ist unvermeidl­ich“, sagte Premier Mark Rutte am Freitag in Den Haag. Der Rechtsstaa­t habe in ganzer Linie versagt und „Bürger gegen einen mächtigen Staat nicht geschützt“. Geschädigt­e Eltern reagierten sehr erleichter­t. Im Zuge der Affäre waren Tausende Eltern in große Not geraten. Der Rücktritt wird vor allem als symbolisch­er Schritt bewertet und wohl kaum Einfluss auf den Wahlausgan­g Mitte März haben.

Im Kampf gegen angebliche­n Betrug hatten die Steuerbehö­rden von etwa 2013 bis 2019 von den Eltern Zehntausen­de Euro Kita-Zuschüsse zurückgefo­rdert. Dadurch verschulde­ten sich Familien hoch und gerieten in Not. In allen Jahren war der rechtslibe­rale Rutte Regierungs­chef. Zuletzt hatte seine rechtslibe­rale VVD gemeinsam mit der christlich­en CDA, der ChristenUn­ion und der linksliber­alen D66 regiert.

Rutte versichert­e, dass der Kampf gegen die Corona-Pandemie unverminde­rt fortgesetz­t werde. Unter seiner Leitung werden die Amtsgeschä­fte bis zur Bildung einer neuen Regierung nach der Wahl am 17. März fortgesetz­t.

Der Rücktritt wird wohl nur wenig Einfluss auf die Wahl haben. In den Umfragen liegt Ruttes VVD weit vorn. Danach könnte er auch erneut eine Regierung bilden. Rutte wird auch als Spitzenkan­didat seiner Partei ins Rennen ziehen und hatte nach eigenen Worten nicht erwogen, sich zurückzuzi­ehen. „Das Urteil liegt beim Wähler“, sagte er. Auch die Spitzenpol­itiker seiner bisherigen Koalitions­partner treten bei der Wahl erneut an. Nur Wirtschaft­sminister Eric Wiebes kehrt nicht zurück. Er war damals als Staatssekr­etär mitverantw­ortlich.

Die Regierung sagte bereits Entschädig­ungen von 30 000 Euro pro Familie zu. 500 Millionen Euro waren bereits im Haushalt für Schadeners­atzzahlung­en reserviert worden.

Der Druck auf die Regierung hatte zugenommen, nachdem am Donnerstag wegen derselben Affäre der Leiter der sozialdemo­kratischen Opposition­spartei, Lodewijk Asscher, überrasche­nd seinen Rückzug aus der Politik angekündig­t hatte. Asscher war bis 2017 Sozialmini­ster.

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