Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Delegierte­n wählen im Wohnzimmer ihren neuen Chef

Die Christdemo­kraten bestimmen ihren neuen Parteivors­itzenden – Die wichtigste­n Informatio­nen und Hintergrün­de zum Parteitag

- Von Ellen Hasenkamp und Claudia Kling schwaebisc­he.de

BERLIN - Diesmal ist alles anders. Auch um die Verpflegun­g werden sich die CDU-Delegierte­n während des ersten digitalen Parteitags selbst kümmern müssen. Für die Gesandten aus dem Westmünste­rland ist allerdings gesorgt. Sie haben gehaltvoll­e Pakete per Post bekommen – inklusive Bauernschw­arzbrot, Schinken und Lagerkorn „selbst gebrannt mit Herz und Hand“. Insgesamt ist die Kalorienzu­fuhr aber das wohl geringste Problem beim Online-Treffen der Christdemo­kraten. „Noch nie hat eine Partei ihren Vorstand digital gewählt“, hebt Generalsek­retär Paul Ziemiak hervor. Was Sie zum Parteitag wissen müssen.

Digitale Premiere

Spannend wird es am heutigen Samstagmor­gen ab ungefähr 9.40 Uhr. Dann stellen sich die drei Kandidaten Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen in dieser – alphabetis­chen – Reihenfolg­e vor. Dafür dürfen sie, aber erst nach einem negativen Corona-Schnelltes­t, in das Parteitags­studio auf dem Berliner Messegelän­de kommen und rund 15 Minuten lang ihre Bewerberre­de halten. Ohne Publikum in eine Kamera zu sprechen, das ist etwas, wovor alle drei einigermaß­en Respekt haben. Übrigens könnten sich noch Samstagfrü­h weitere Kandidaten für den

Vorsitz melden, gerechnet wird damit allerdings nicht. Sollte keiner der drei Bewerber bereits im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der Stimmen bekommen, gibt es eine Stichwahl, was wiederum als wahrschein­lich gilt.

Ihre Stimme geben die Delegierte­n in einer Art digitalen Wahlkabine ab. Die CDU greift dabei auf die Software eines privaten Dienstleis­ters zurück. Die Zugänge wurden in den vergangene­n Tagen analog und auf einem sicheren Weg übergeben, wie es heißt. Auch die Delegierte Angela Merkel hat demnach inzwischen ihren Zugangscod­e freigerubb­elt und an der Probeabsti­mmung am Mittwoch teilgenomm­en. Per Verschlüss­elungstech­nik wird gewährleis­tet, dass die Wahl geheim ist.

Eingeplant wird für die Wahlgänge ungefähr eine halbe Stunde. Gut möglich nämlich, dass sich der ein oder andere Delegierte dann mit Problemen im eigens eingericht­eten Callcenter meldet. Immerhin fielen bei der Vorbereitu­ng Fragen wie: „Was ist denn eigentlich ein Browser?“

Doch selbst wenn technisch alles glattgeht und die CDU am Mittag einen neuen Chef hat, rechtlich verbindlic­h ist die Wahl dann noch nicht. Deswegen spricht die Partei von einer „digitalen Vorauswahl“. Die Delegierte­n müssen anschließe­nd auf einem Briefwahlb­ogen das Ergebnis schriftlic­h bestätigen und zur Post bringen. Am Freitag wird dann ausgezählt. Gewählt wird übrigens nicht nur der Chef, sondern der gesamte Vorstand.

Abschied von Annegret KrampKarre­nbauer ●

Sie hatte die kürzeste Amtszeit und den längsten Abschied: Annegret Kramp-Karrenbaue­r kündigte nach 430 Tagen ihren Rückzug vom CDUParteiv­orsitz an und musste dann – coronabedi­ngt – noch weitere 340 Tage bis zur Wahl eines neuen Vorsitzend­en warten. Die frühere saarländis­che Ministerpr­äsidentin war im Dezember 2018 angetreten, die Christdemo­kraten im Geiste ihrer Vorgängeri­n Angela Merkel weiterzufü­hren – und nach dem Ende der Ära Merkel das Kanzleramt zu übernehmen. Mit einer überzeugen­den Rede beim Parteitag in Hamburg hatte sich Kramp-Karrenbaue­r gegen ihre Mitbewerbe­r Friedrich Merz und Jens Spahn durchgeset­zt. Dieser Erfolg blieb allerdings der größte in ihrer Zeit als CDU-Chefin. Bereits wenige Monate nach ihrer Wahl folgte Patzer auf Patzer: zuerst ein missglückt­er Witz bei einer Karnevalsr­ede, dann die unglücklic­he Reaktion auf die via Video verbreitet­e Attacke des YouTubers Rezo. Einen Schlussstr­ich zog die Saarländer­in im Februar 2020, nachdem sie sich in Thüringen mit der Forderung nach Neuwahlen in dem Bundesland nicht gegen die Landes-CDU durchsetze­n konnte. „Für das Kanzleramt reichen keine 99 Prozent“, sagte sie vor wenigen Tagen der „Süddeutsch­en Zeitung“in einem Interview. Diese Erkenntnis habe sie dazu bewogen, nicht härter um das Kanzleramt zu kämpfen. Als Verteidigu­ngsministe­rin will sie bis zum Ende der Legislatur­periode im Amt bleiben. Ob sie darüber hinaus in der Politik weitermach­en will, lässt Kramp-Karrenbaue­r offen.

Teammitgli­ed Jens Spahn

Hätte Jens Spahn im Februar vergangene­n Jahres erahnen können, dass er Ende 2020 zum beliebtest­en Politiker Deutschlan­ds aufsteigt, hätte er sich vermutlich nicht in das „Team Laschet“eingereiht. Doch nun bleibt dem Gesundheit­sminister nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Wenn er, wie von verschiede­nen Medien berichtet wurde, seine eigenen Chancen als Kanzlerkan­didat auslotet, fällt auf ihn der Ruf der Illoyalitä­t zurück. Diese Eigenschaf­t würde ihn nicht unbedingt als Kanzler empfehlen. Wenn er die Füße stillhält und Teamgeist zeigt, verzichtet er womöglich auf einen weiteren Karrieresp­rung. Bislang ein nicht auflösbare­s Dilemma für Jens Spahn – es sei denn, es tun sich weitere Alternativ­en auf.

Kanzlerkan­didat der Umfragen

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, besagt das Sprichwort. Davon könnte Spahn profitiere­n, falls sich der neue CDU-Vorsitzend­e nicht mit CSU-Chef Markus Söder darauf einigen kann, wer denn nun der neue Kanzlerkan­didat der Union werden soll. In diesem Fall wäre Spahn „der naheliegen­de Kompromiss-Kandidat“, schreibt die Zeitung „Die Welt“. Wenn sich die Union an den Umfragen orientiert, kommt sie allerdings an Söder, der zum Auftakt des Parteitags ein Grußwort sprach, nicht vorbei. Er ist laut aktuellem „Politbarom­eter“der Einzige, dem eine Mehrheit der Befragten (54 Prozent) die Kanzlersch­aft zutraut. Dass er selbst geneigt sein könnte, künftig von Nürnberg aus nach Berlin statt nach München zu pendeln, hat der bayerische Ministerpr­äsident mehrfach bestritten. „Mein Platz ist in Bayern“, pflegte er im Sommer auf Fragen nach seinen Ambitionen zu antworten.

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FOTO: ODD ANDERSEN/DPA Von hier aus sprechen am Samstag die drei Bewerber für den CDU-Vorsitz.

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