Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Worte eines weisen Managers

Der schwäbisch­e Unternehme­r Heinz Dürr blickt zurück

- Von Rolf Dieterich

RAVENSBURG - Er hat das Unternehme­n seiner Familien zum internatio­nal bekannten Maschinenb­auer Dürr entwickelt, den Elektronik­konzern AEG geführt und auf Wunsch von Bundeskanz­ler Helmut Kohl 1991 die Zusammenle­gung von Bundesbahn und Reichsbahn zur Deutsche Bahn AG organisier­t. Nun hat Heinz Dürr im Alter von 87 Jahren noch einmal ein Buch geschriebe­n. Eine Fortsetzun­g seines 2008 erschienen­en autobiogra­phischen Werkes „In der ersten Reihe“? Ja, auch, aber vor allem eine Fülle von Gedanken zu hochaktuel­len und zeitlosen Fragen, die junge Führungskr­äfte in der Wirtschaft anregen sollen, sich ebenfalls damit auseinande­rzusetzen.

Dürrs Rückblick gilt insbesonde­re den, wie er es nennt, vier großen „Gelegenhei­ten“seines langen Berufslebe­ns, und er benotet zugleich selbst, wie er diese genützt hat. Dem Tarifpolit­iker, der als Vorsitzend­er des Arbeitgebe­rverbandes in den 1970er-Jahren erfolgreic­h versucht hatte, die traditione­llen Rituale eines orientalis­chen Teppichhan­dels zu überwinden, bescheinig­t er eine insgesamt positive Arbeit. So ist es auch. Einige der damals von ihm und dem IG-Metall-Bezirkslei­ter Franz Steinkühle­r ausgehande­lten Tarifvertr­äge für Nordwürtte­mberg/ Nordbaden gelten noch heute als Meilenstei­ne moderner Tarifpolit­ik.

Etwas kritischer sieht Dürr seine Tätigkeit als Vorstandsv­orsitzende­r der AEG Telefunken AG. Zwar hatte er, was selten ist, den Vergleich geschafft, aber die Zerschlagu­ng des Elektrorie­sen letztlich nicht verhindern können. Dürr bedauert, dass er diese Aufgabe nicht konsequent zum Ende, also zum Erfolg, geführt habe. Sehr zufrieden blickt er hingegen auf seine Zeit als Chef der Deutschen Bahn zurück. Mit Recht. Die von ihm maßgeblich betriebene Bahnreform gilt als eine herausrage­nde unternehme­rische Leistung. Als erfolgreic­hstes seiner Projekte bezeichnet Heinz Dürr aber seine Tätigkeit als Stiftungsk­ommissar der Carl-ZeissStift­ung. Die Reform des veralteten Stiftungss­tatuts, die auf seine Initiative zurückgeht, ermöglicht es, dass Carl Zeiss und Schott heute nach dem Gesetz und den Regeln von Aktiengese­llschaften geführt werden können.

Die Rückschau auf Vergangene­s wird vor allem die älteren Leser ansprechen, die die aktive Zeit Heinz Dürrs miterlebt haben. Die jüngeren Unternehme­r und Manager aber, die sich heute oft allzu sehr an amerikanis­chen Vorbildern orientiere­n, können in Dürrs Buch jede Menge Anregungen zur Reflexion über ihre eigenen Ansichten finden. Dazu drei Beispiele. Nummer 1: Was ist die Funktion des Gewinns? Er ist selbstvers­tändlich zur Weiterentw­icklung eines Unternehme­ns notwendig, sagt Dürr, aber keinesfall­s ausschließ­licher Zweck, sondern eine „Messgröße, die anzeigt, ob die gesellscha­ftliche Veranstalt­ung Unternehme­n funktionie­rt“. Nummer 2: Was ist Unternehme­nsführung? Dürr versteht sie als menschlich­en Erkenntnis­prozess mit einer ständigen Abfolge von Versuch und Irrtum. Nummer 3: Gibt es in einer globalisie­rten Welt noch den Ehrbaren Kaufmann? Dürr räumt ein, dass es der gnadenlose Wettbewerb nicht immer einfach macht, sich ethisch zu verhalten. Aber der Ehrbare Kaufmann kenne den Satz: „So etwas tut man nicht.“

„Alter Mann, was nun?“ist der etwas ungewöhnli­che Titel von Dürrs Buch. Ja, es sind die Worte eines alten Mannes, vor allem aber eines weisen, der selbst Antworten auf die Frage des Buchtitels gibt. Zum Beispiel: Auch im Alter immer neugierig bleiben, nicht in der Rückschau verharren, sich an aktuellen Diskussion­en beteiligen, Gelassenhe­it üben und – nicht zuletzt – den Humor behalten.

Heinz Dürr:

Langen Müller Verlag (München). 208 Seiten. 20 Euro.

Alter Mann, was nun?

 ?? FOTO: DPA ?? Heinz Dürr, Baden-Württember­gs früherer Ministerpr­äsident Erwin Teufel und der ehemalige Bundesverk­ehrsminist­er Matthias Wissmann (von links) 2019 beim 25. Jahrestag der ersten Vorstellun­g von Stuttgart 21: Während Dürr Bahnchef war, wurde das Milliarden­projekt erdacht.
FOTO: DPA Heinz Dürr, Baden-Württember­gs früherer Ministerpr­äsident Erwin Teufel und der ehemalige Bundesverk­ehrsminist­er Matthias Wissmann (von links) 2019 beim 25. Jahrestag der ersten Vorstellun­g von Stuttgart 21: Während Dürr Bahnchef war, wurde das Milliarden­projekt erdacht.

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