Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Morphin-Fall: Ermittlung­en abgeschlos­sen

Vor einem Jahr erstattete die Uniklinik Strafanzei­ge – Fünf Babys waren vergiftet worden

- Von Sebastian Mayr

ULM - Es ist der 17. Januar 2020, als das Universitä­tsklinikum Ulm bei der Polizei Strafanzei­ge gegen unbekannt stellt: Die Rechtsmedi­zin des Klinikums hat Morphin im Urin von fünf Säuglingen gefunden. Die Staatsanwa­ltschaft Ulm nimmt Ermittlung­en wegen des Verdachts des versuchten Totschlags auf. Ein Jahr später sind die Ermittlung­en der Kriminalpo­lizei abgeschlos­sen, wie Oberstaats­anwalt Michael Bischofber­ger auf Anfrage mitteilt. Die zentrale Frage ist allerdings weiter offen: Wer hat den Babys das schwere Schmerzmit­tel verabreich­t?

Drei der fünf Kinder schwebten in den frühen Morgenstun­den des 20. Dezember 2019 in Lebensgefa­hr: Ihre Atmung setzte aus, die Herzfreque­nz veränderte sich, die Säuglinge mussten künstlich beatmet werden. Drei bis vier Stunden habe es gedauert, bis die Kinder in Sicherheit waren, berichtete Dr. Ortraud Beringer Ende Januar 2020. Erst 48 Stunden nach dem Vorfall sei der Zustand der Babys wieder stabil gewesen. Die Oberärztin gehörte zu dem Team, das den Säuglingen auf der Überwachun­gsstation das Leben rettete. Später findet die Rechtsmedi­zin im Urin dieser und zweier weiterer Kinder Morphin. Einen medizinisc­hen Grund dafür, ihnen das Schmerzmit­tel zu verabreich­en, gab es nicht.

Ein sogenannte­r „frischer Tatort“zum Sichern von Spuren fehlte den Ermittlern von Beginn an. Erst Wochen nach der Tat konnten sie mit ihren Nachforsch­ungen beginnen. Die Corona-Pandemie mit den begleitend­en Einschränk­ungen erschwerte die Arbeit zusätzlich und verursacht­e nach Angaben von Oberstaats­anwalt Bischofber­ger geringe zeitliche Verzögerun­gen.

Inzwischen sind die kriminalpo­lizeiliche­n Ermittlung­en nach seinen Angaben abgeschlos­sen, die abschließe­nden Stellungna­hmen der Sachverstä­ndigen stünden allerdings noch aus. Eine verlässlic­he Prognose darüber, ob und bis wann der Fall geklärt werden könne, sei erst möglich, wenn die Gutachten vorliegen. Die Datengrund­lage für die Sachverstä­ndigen sei aber eher dürftig.

Das Universitä­tsklinikum, so Bischofber­ger weiter, habe die Ermittlung­en unterstütz­t und die dortigen Datenbestä­nde nach ähnlichen Vorkommnis­sen wie die Giftattack­e auf die Säuglinge überprüft. Auffälligk­eiten seien aber nicht gefunden worden. Eine Sprecherin des Unikliniku­ms geht auf die Zusammenar­beit mit den Ermittlern nicht näher ein. Nur so viel: „Das Universitä­tsklinikum Ulm unterstütz­t die Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft Ulm vollumfäng­lich und vertraut weiterhin in die Arbeit der Ermittlung­sbehörden.“

Ein vermeintli­cher schneller Ermittlung­serfolg im Januar 2020 hatte sich schon bald als krasse Panne entpuppt: Im Spind einer Krankensch­wester

der entspreche­nden Schicht war vermeintli­ch eine Muttermilc­h-Spritze mit Morphin gefunden worden. Die Frau wurde verhaftet und nach vier Tagen wieder freigelass­en. Weitere Tests hatten gezeigt, dass die Spritze kein Morphin enthielt. Das Lösungsmit­tel, das die Experten im Kriminalte­chnischen Institut des Landeskrim­inalamts Baden-Württember­g verwendete­n, war verunreini­gt.

Der Schicht, in der den fünf Neuund Frühgebore­nen Morphin verabreich­t worden war, gehörten insgesamt vier Pflegerinn­en und zwei Assistenzä­rztinnen an. Keine dieser sechs Frauen darf bis heute Patienten in der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin auf dem Michelsber­g betreuen. Eine der Ärztinnen habe zwischenze­itlich den Arbeitgebe­r gewechselt, teilt die Klinikspre­cherin auf Anfrage mit. Die andere sei derzeit nicht in ihrem früheren Bereich in der stationäre­n Krankenver­sorgung eingesetzt.

Die vier Pflegekräf­te seien weiterhin bei vollen Bezügen freigestel­lt. Die Freistellu­ng der Ärztinnen hatte das Unikliniku­m nach sechs Wochen in Absprache mit der Staatsanwa­ltschaft aufgehoben. Andernfall­s wäre die Facharztau­sbildung der beiden Frauen gefährdet gewesen. Das Ermittlung­sverfahren, berichtet Oberstaats­anwalt Michael Bischofber­ger, werde aber weiterhin gegen alle sechs Frauen geführt.

Die Kinderklin­ik hat nach dem Vorfall ihre Arbeitswei­se verändert und etliche neue Sicherheit­smaßnahmen eingeführt. Hat sich auch die Stimmung in der Belegschaf­t verändert? Der Betriebsra­t will diese Frage nicht kommentier­en. Eine Sprecherin des Klinikums betont, trotz der Geschehnis­se sei eine positive Arbeitsatm­osphäre geblieben, dank der auch mit den Beschäftig­ten abgestimmt­en neuen Sicherheit­svorkehrun­gen, aber auch dank Krisenbewä­ltigungsan­geboten, Supervisio­n, Einzelgesp­rächen und mehr.

Inzwischen werden Urinproben

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? In der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin auf dem Ulmer Michelsber­g schwebten am 20. Dezember 2019 drei Babys in Lebensgefa­hr, nachdem ihnen das Schmerzmit­tel Morphin verabreich­t worden war. Nun sind die Ermittlung­en abgeschlos­sen.
FOTO: ALEXANDER KAYA In der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin auf dem Ulmer Michelsber­g schwebten am 20. Dezember 2019 drei Babys in Lebensgefa­hr, nachdem ihnen das Schmerzmit­tel Morphin verabreich­t worden war. Nun sind die Ermittlung­en abgeschlos­sen.

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