Scannen statt stechen
Dank digitaler Helfer wird die Diabetesbehandlung für Patienten immer unblutiger
D● er Eingriff ist denkbar einfach: ein fünf Millimeter kleiner Schnitt am Oberarm, in den eine Mini-Kapsel direkt unter die Haut versenkt wird. Dieser Chip steckt voller ausgeklügelter Elektronik. Alle paar Minuten misst er den Glukosewert im Gewebe, der sofort mittels eines Senders auf der Haut an ein Handy mit der entsprechenden App gesendet wird. Für Diabetiker entfällt mit dieser Technik das mehrmals tägliche Piksen in den Finger, um den Zuckerwert im Blut zu ermitteln – eine im wahrsten Sinne des Wortes spürbare Erleichterung für die Betroffenen. In Verbindung mit einer automatischen Insulinpumpe sieht so heutzutage die moderne Behandlung von Diabetes mellitus aus.
„CGM (Continuous Glucose Monitoring), also die kontinuierliche Glukosemessung, garantiert eine bessere Behandlungsqualität und reduziert die Langzeitfolgen. Die Patienten sind einfach besser mit Insulin eingestellt“, sagt Martin Pfeifer, leitender Arzt Diabetologie der Klinik Tettnang. Rund 350 Diabetiker behandelt der Mediziner pro Quartal, davon nutzen inzwischen etwa die Hälfte CGM-Systeme.
Ganz neu sei das Verfahren nicht, erklärt Pfeifer. Doch jahrelang bremsten die Kosten von mehreren Tausend Euro eine breitere Anwendung. Erst seit 2016 gebe es eine gesetzliche Verordnung zur Kostenübernahme durch die Kassen, auch wenn der Papierkram dafür immer noch immens hoch sei, sagt der Arzt.
Fünf verschiedene Systeme verschiedener Anbieter gibt es derzeit auf dem Markt; Martin Pfeifer besitzt Zertifizierungen für alle. „Und ich habe auch alle Systeme im Einsatz“, so der Diabetologe. Die Modelle würden sich nämlich deutlich in Handhabung und Komfort unterscheiden. „Das eine einzige beste System gibt es nicht. Der Patient sucht sich sein Gerät aus, das für ihn und seine Bedürfnisse am besten passt, in enger Abstimmung mit seinem Arzt. Es ist eine ganz individuelle Entscheidung. Das gleicht manchmal einem Marathon.“
Unterschiede gibt es beispielsweise bei der Liegedauer des Sensors im Arm oder im Bauch , die zwischen sechs und 180 Tage variieren kann, in der Wasserdichtigkeit, in der Kombinierbarkeit mit einer Insulinpumpe und in der Übertragung der Daten auf ein Empfangsgerät oder ein Smartphone. Darunter sind auch sogenannte FGM-Systeme (Flash Glucose Monitoring), bei denen der Nutzer aktiv seine Werte abfragen muss. Dazu wird der Scanner, zum Beispiel das dazugehörige Messgerät oder das Smartphone mit der passenden App, aktiv über den Sensor bewegt. Der Nachteil: Schläft der Patient, gibt es aus diesem Grund keine aktuellen Werte. Diese Varianten, die außerdem nicht mit einer Insulinpumpe verbunden werden können, sind deutlich günstiger.
Bei manchen CGM-Modellen ist eine Kalibrierung notwendig. Einoder zweimal täglich muss nach wie vor auf konventionelle Weise der Blutzucker ermittelt werden, um den Sensor gewissermaßen zu eichen. Eines jedoch haben alle Geräte gemeinsam: Sie machen Diabetikern das Leben sehr viel leichter und schmerzfreier.
„Die Therapie gestaltet sich deutlich diskreter. Und den Patienten wird die dauernde Blutzuckermessung abgenommen“, sagt Martin Pfeifer. Der Spezialist nennt noch weitere Vorteile dieser modernen Entwicklung: Die aufgezeichneten Werte könnten in einer Cloud hinterlegt werden, auf die auch der behandelnde Arzt Zugriff habe. „Bei Problemen kann ich sofort einen Blick darauf werfen.“Würden Kinder an Diabetes leiden, könnten die Eltern jederzeit die Zahlen überwachen – selbst wenn die Kinder unterwegs seien.
Die 16 Jahre alte Alisa Deiss hat so einen digitalen Helfer am Oberarm. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde bei der jungen Leutkircherin eine Diabeteserkrankung diagnostiziert.
Mit dem anfänglichen Stechen in den Finger zur Blutzuckermessung sei sie überhaupt nicht zurechtgekommen, erinnert sich Alisa. „Sieht man mal von den technischen Problemen ab, die es mit dem Transmitter schon gab, ist es eine wahnsinnige Erleichterung für mich“, sagt sie, „vor allem beim Sport.“Und noch einen weiteren Vorteil nennt sie. „Ich mache gerade eine Ausbildung zur Industriemechanikerin. Da habe ich oft schmutzige Hände. Ein Sensor ist da Gold wert.“Zudem schätzt Alisa Deiss die Alarmfunktion auf ihrem Handy bei drohender Unterzuckerung.
„Die Closed-Loop-Systeme werden die Zukunft sein“, sagt Diabetologe Pfeifer. Darunter versteht man den Glukosesensor und die Recheneinheit, die eine Insulinpumpe entsprechend der gemessenen Werte
steuert. Nichtsdestotrotz hat er aber auch Patienten, die nach wie vor auf die konventionelle Methode setzen, auf die Zwei-Spritzen-Therapie. Sie spritzen sich bis zu fünfmal täglich Insulin, dazu kommen noch die andauernden Messungen. „Wenn es der Patient so möchte, dann ist das sein ganz persönlicher Weg“, sagt Pfeifer.