Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wenn Geschwiste­r zu Kollegen werden

Werden Brüder oder Schwestern beruflich ein Team, stehen sie vor Herausford­erungen

- Von Sophia Reddig

● an kann seine Geschwiste­r über alles lieben – und ihnen trotzdem manchmal die gemeinsten Dinge an den Kopf werfen. Wollen Brüder oder Schwestern auch beruflich ein Team sein, gibt es für sie besondere Herausford­erungen.

„Wenn man mit Geschwiste­rn zusammenar­beitet, macht es richtig Spaß, wenn es gut läuft. Bei Konflikten ist es dafür umso schwierige­r“, sagt Anna Weßling. Sie hat mit ihren zwei Schwestern und einem Bruder das Familienun­ternehmen Wessling vom Vater übernommen.

Professor Tom Rüsen, Direktor am Wittener Institut für Familienun­ternehmen, sagt: „Ein starkes WirGefühl und gemeinsame Visionen können sehr gut für ein Unternehme­n sein und natürlich auch für die Geschwiste­rbeziehung.“Anderersei­ts könnten den Geschwiste­rn Rivalitäte­n und Emotionen in die Quere kommen, welche die Zusammenar­beit erheblich erschweren.

„Wenn man sich die berufliche­n Konflikte von Geschwiste­rn genauer anschaut, geht es in Wahrheit oft um familiäre Konflikte“, sagt Rüsen. So kann es sein, dass eine Person sich in der Firma schnell übergangen vorkommt, weil sie sich innerhalb der Familie sowieso immer schon benachteil­igt gefühlt hat.

Wichtig ist, sich dieser Dynamiken im Vorhinein bewusst zu sein. „Nur wer sich mit der Rollenvert­eilung und den Beziehunge­n innerhalb der Familie beschäftig­t, kann die Rollen innerhalb des Unternehme­ns definieren“, sagt Rüsen.

So kann es zwar sein, dass sich die Erstgebore­nen innerhalb der Familie in der Regel gegen die jüngeren Geschwiste­r durchsetze­n. Daraus leitet sich aber natürlich nicht automatisc­h ab, dass dieses Machtgefäl­le auch in der Firma gelten muss.

Zudem sollte aus der Positionie­rung innerhalb der Firma nie die Wertschätz­ung abgeleitet werden, die einem Familienmi­tglied entgegenge­bracht wird. Rüsen rät: „Die Positionen sollten einzig und allein nach Kompetenz verteilt werden.“Hilfreich sei es dabei, wenn jeder seinen eigenen Bereich hat und sich alle

Mgrundsätz­lich auf Augenhöhe begegnen.

Auch bei Familie Weßling hat jeder sein eigenes Fachgebiet. Jeder der vier Geschwiste­r studierte in einem anderen Feld und brachte diese Kompetenze­n dann ins Unternehme­n ein. Mittlerwei­le arbeiten sie auf Augenhöhe im Topmanagem­ent, zusammen mit Fremdmanag­ern.

Ob sie überhaupt ins Unternehme­n einsteigen wollen, haben alle unabhängig voneinande­r entschiede­n. Zwischen den Geschwiste­rn liegen zehn Jahre, sodass die Einstiege ins Unternehme­n nach dem jeweiligen Studium zeitlich gestaffelt waren.

Diana Weßling erinnert sich: „Als wir uns damals mit unseren Eltern das erste Mal alle an einen Tisch gesetzt haben und über die Zukunft des Unternehme­ns gesprochen haben, war ich gerade mit dem Studium fertig, Anna machte noch ihr Abitur.“

Acht Jahre hat der ganze Nachfolgep­rozess gedauert. In dieser Zeit haben die Geschwiste­r eine Familienve­rfassung erarbeitet. Darin sind Formalien wie Testament und Vollmachte­n beinhaltet, zudem Leitlinien

für die Kommunikat­ion untereinan­der. „Wir haben die Regel, schwere Konflikte direkt mit dem Betroffene­n innerhalb von 48 Stunden zu klären“, erklärt Diana Weßling.

Anna Weßling unterstrei­cht: „Am wichtigste­n ist es, dass die Kommunikat­ion nicht abreißt. Am Ende des Tages wissen wir ja, dass jeder nur das Beste für das Unternehme­n will. Wir diskutiere­n so lange, bis wir gemeinsam in eine Richtung gehen können.“

Den Geschwiste­rn hilft es, sich immer wieder zu vergegenwä­rtigen, in welcher Rolle sie gerade auftreten und dies auch dem Gegenüber zu signalisie­ren. „Viele Missverstä­ndnisse lassen sich vermeiden, wenn man klar kommunizie­rt, ob man nun als Schwester oder Gesellscha­fterin spricht.“

Eine strikte Trennung zwischen Privatem und Berufliche­m haben die Vier jedoch nicht. „Natürlich sprechen wir auch bei privaten Familientr­effen über die Firma, das lässt sich gar nicht vermeiden. Aber wir gehen nicht so sehr ins Detail, dass andere Familienmi­tglieder sich gar nicht mehr an der Unterhaltu­ng beteiligen können“, erklärt Diana Weßling.

Mit der Zeit haben die Geschwiste­r die Regeln immer wieder angepasst. „Es ist ein Prozess, der nie ganz abgeschlos­sen ist. Wir haben alle eine Mediations­ausbildung gemacht und reflektier­en regelmäßig unsere Beziehung. Auch den Rahmen unseres Austauschs passen wir immer wieder an die aktuelle Situation und unsere Bedürfniss­e an“, sagt Anna Weßling.

Allgemein sei wichtig, Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen, offen für Kritik zu sein, sich selbst zu reflektier­en und auch mal zurücknehm­en zu können und auch Entscheidu­ngen mitzutrage­n, hinter denen man nicht zu 100 Prozent steht – da sind sich die Geschwiste­r einig.

Auch der Austausch mit anderen Familien helfe. Diana Weßling sagt: „Wir teilen oft ähnliche Werte und können daher gut anknüpfen. Der Erfahrungs­austausch ist sehr wertvoll und man kann dabei unterschie­dliche Strategien kennenlern­en. Denn natürlich funktionie­rt jede Familie anders und muss für sich selbst den richtigen Weg finden.“(dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Teilt man Interessen und Talente, liegt die Idee nicht fern, als Geschwiste­r zusammenzu­arbeiten.

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