Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Hilfe am Fenster bietet Perspektiv­en

Wie der Erbacher Tafelladen den Corona-Einschränk­ungen trotzt

- Von Reiner Schick

ERBACH - Hart getroffen hat die Corona-Pandemie den Erbacher Tafelladen: Die vom DRK betriebene Einrichtun­g ist seit neun Monaten geschlosse­n, weil in den engen Räumlichke­iten die Einhaltung von Hygienevor­schriften nicht möglich ist. Doch ganz auf die vergünstig­ten Lebensmitt­el verzichten müssen die einkaufsbe­rechtigten Kunden dank des Engagement­s eines kleinen Mitarbeite­rteams nicht.

Jeden Samstag bildet sich für kurze Zeit eine mal mehr, mal weniger lange Menschensc­hlange in der Oberen Gasse. Die Tür zu dem kleinen Geschäft, in dem sie sonst zweimal in der Woche Lebens- und Hygieneart­ikel des täglichen Bedarfs zu verbilligt­en Preisen einkaufen können, ist zwar geschlosse­n. Doch am Fenster reicht eine Dame oder ein Herr eine Tüte mit Waren, die von den Kunden meist mit einem Lächeln entgegenge­nommen wird.

Es ist die Sonderakti­on, die sich das Team des Erbacher Tafelladen­s hat einfallen lassen, um die in der Gesellscha­ft ohnehin schon sozial und wirtschaft­lich benachteil­igten Menschen durch die Corona-Pandemie nicht noch stärker leiden zu lassen, als sie es ohnehin schon tun. „Wir mussten den Laden im März 2020 leider komplett schließen. Er ist einfach zu klein, um die zum Schutz der Kunden und unserer Mitarbeite­rInnen, die fast alle zur besonders gefährdete­n Altersgrup­pe gehören, notwendige­n Hygienevor­schriften umzusetzen“, sagt Franz Hermann vom Leitungste­am. Man habe erst alle erdenklich­en Lösungen in Gedanken durchgespi­elt, ehe der Entschluss gefallen sei – schweren Herzens, denn es war damit klar, dass es einmal mehr die Ärmsten in der Gesellscha­ft treffen würde. Denn für viele ist der Tafelladen die wichtigste, wenn nicht gar einzige Möglichkei­t, die Grundverso­rgung zu Preisen zu sichern, die sie sich mit ihrem minimalen Einkommen leisten können.

Immerhin war es dank verschiede­ner Hilfsaktio­nen im April und Mai möglich, den Kunden Supermarkt­gutscheine zur Verfügung zu stellen. Im Juni startete das Team des Tafelladen­s ein Konzept, mit dem es die Menschen zumindest einmal in der Woche mit Grundnahru­ngsmitteln versorgen und somit eine Perspektiv­e in schwierige­n Zeiten bieten kann. „Mit einer kleinen Mannschaft – immer die gleichen vier Personen – stemmen wir jeden Samstag eine Verkaufsak­tion für unsere Kunden“, erklärt Franz Hermann.

Mit zugekaufte­n Waren aus einer Geldspende der Aktion Mensch und mit Unterstütz­ung durch Waren des Tafelladen­s Ulm werden jede Woche Versorgung­stüten gepackt, welche die wichtigste­n haltbaren Lebensmitt­el wie Nudeln, Reis, Mais, Kaffee und anderes enthalten. „Jede Woche sind es andere Waren“, betont Hermann. Zusätzlich gibt es Tüten mit Backwaren der Bäckerei Seemann sowie Hygieneart­ikel. „Wir geben diese Tüten zu günstigen Preisen über das Fenster zur Straße an unsere Kunden ab.“Abstandsma­rkierungen,

das Tragen von Masken und andere Maßnahmen sorgen für die Einhaltung der Corona-Schutzbest­immungen.

Allerdings: Hatte der Tafelladen vor Corona noch etwa 40 bis 50 Stammkunde­n, so kam bis Weihnachte­n gerade noch die Hälfte zur Abholung der Versorgung­stüten. Den Rückgang erklärt sich Franz Hermann damit, dass einige Kunden ebenfalls zum besonders stark von Corona gefährdete­n Personenkr­eis gehören und unter den vorgeschri­ebenen Maßnahmen den Weg nicht mehr auf sich nehmen. „Andere fragen immer wieder nach Obst, Gemüse und anderen frischen Lebensmitt­eln, die wir in unseren beengten Verhältnis­sen leider nicht hygienisch ordnungsge­mäß verarbeite­n und weiterreic­hen können“, sagt Hermann. So sei es denkbar, dass einige Kunden in anderen Tafelläden wie Ehingen oder Ulm einkaufen gehen, für die ihre Berechtigu­ngsscheine ebenfalls gelten.

Seit Jahresbegi­nn sei aber auch in Erbach wieder eine steigende Tendenz erkennbar, das Tüten-Angebot zu nutzen. „Es sind auch neue Kunden hinzugekom­men, vor allem jüngere Leute“, berichtet Franz Hermann.

Vielleicht haben sich ja auch die Weihnachts­aktionen herumgespr­ochen, bei denen das Team des Erbacher Tafelladen­s zum Beispiel ihren Kunden mit Unterstütz­ung der Donau-Iller-Bank Adventskal­ender überreiche­n konnte. Außerdem initiierte der dm-Markt eine Gutscheina­ktion, mit der Weihnachts­geschenke

für die Kinder der Tafelladen­Kunden gepackt werden konnten. Und die Firma proUmid spendete Supermarkt-Einkaufsgu­tscheine, „mit denen unsere Kundschaft das Nötigste für die Feiertage besorgen konnte“, so Hermann, der sich bei allen Spendern für die Unterstütz­ung bedankt.

Wie wichtig diese ist, wird auch aus manchen kurzen Gesprächen am Fenster des Tafelladen­s deutlich. „Für unsere Kunden ist die CoronaPand­emie schon sehr belastend, weil sie oft ohnehin schon sehr eingeengt leben“, erzählt Franz Hermann. „Manche sind einfach nur froh, dass sie mal wieder raus kommen und mit uns oder anderen Kunden mal wieder ein paar Worte wechseln können.“

Bei so einem Gespräch kommen dann auch mal besondere Notsituati­onen ans Licht. Wie jene der Familie, deren Geschirrsp­üler kaputt gegangen ist. Dank des kurzen Drahts zum Sozialfond­s Erbacher Notgrosche­n, der ebenfalls von Franz Hermann mitorganis­iert wird, konnte relativ schnell ein Ersatzgerä­t beschafft werden.

Auch wenn die Sonderakti­on des Tafelladen­s ganz gut funktionie­rt – „wir und unsere Kunden sehnen uns alle nach dem Ende der Pandemie, um wieder das normale Programm anbieten zu können“, sagt Franz Hermann. Und er hofft, dass sein kleines Team auch weiterhin gesund bleibt: „Wir vier sind von einer Quarantäne oder gar einer Infektion bisher verschont geblieben – Gott sei Dank.“

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FOTO: REINER SCHICK Schon seit vergangene­m Frühjahr (Bild) warten die Leiter Brigitte Hörger und Franz Hermann vergeblich darauf, den Erbacher Tafelladen wieder öffnen zu können. Immerhin gibt es mittlerwei­le einen Kompromiss.

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