Von der Kita bis zum Abi
Streitpunkte vor den Landtagswahlen – Was die Parteien in der Bildungspolitik planen
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STUTTGART - Bildung ist das wohl wichtigste Politikfeld der Bundesländer. Hier haben sie fast absolute Gestaltungsmacht. In allen anderen Bereichen dominiert der Bund, oder mischt zumindest kräftig mit. Der Stellenwert von Schulen und Kitas schlägt sich auch finanziell nieder. Grob ein Viertel des baden-württembergischen Landeshaushalts fließt in die Bildung. Welche Ziele verfolgen die Parteien für die kommenden fünf Jahre? Die Ideen der CDU stehen noch unter Vorbehalt: Das Wahlprogramm soll beim Parteitag am Samstag verabschiedet werden.
Kitas
Im vergangenen Jahrzehnt ist Baden-Württemberg mit seinen Kitas vom Schlusslicht im Ländervergleich an die Spitze geklettert, vor allem durch massive Investitionen vom Land. Nirgends sonst muss sich eine Erzieherin um weniger Kinder kümmern. Ein Hauptproblem bleibt der Personalmangel – trotz neuer Ausbildungsplätze gerade in der Praxisintegrierten Ausbildung, kurz: Pia. Im Gegensatz zur herkömmlichen Ausbildung verdienen Pia-Azubis Geld. Dieses Modell soll auch mehr Männer ansprechen. Die CDU will die Pia-Ausbildung „konsequent fortführen“, Grüne und SPD wollen die Ausbildungsplätze weiter ausbauen. Dafür plädiert auch die Linke und fordert, wie die SPD, mehr Studienplätze für Kindheitspädagogik.
Trotz gesetzlichen Anspruchs gibt es längst noch nicht für jedes Kind einen Kita-Platz. Grüne und CDU fordern daher mehr Plätze. Die Grünen kündigen an, sich bei den Kommunen für längere Öffnungszeiten einzusetzen. Die SPD fordert, die Kita-Gebühren abzuschaffen – wie auch die Linke und die AfD. Die FDP lehnt das ab, geht es nach ihr, solle Geld in die Qualität und zusätzliche Ausbildungsplätze fließen. Die Grünen halten kostenlose Kitas für nicht finanzierbar. Sie wollen mit den KitaTrägern sozial gestaffelte Gebühren im ganzen Land vereinbaren.
Die FDP legt einen Schwerpunkt auf die Kindertagespflege – für viele Eltern eine gute Alternative, nicht nur wegen mangelndem Kita-Platz. Die Betreuung durch Tageseltern soll gleichwertig sein, die Tageseltern entsprechend entlohnt werden. Auch CDU und Grüne betonen den Stellenwert der Kindertagespflege.
Die AfD fordert ein Landesbetreuungsgeld für Familien, die ihre Kinder selbst betreuen. Die Linke plädiert für „einen Rechtsanspruch auf einen beitragsfreien Ganztagesplatz in Wohnortnähe für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr“und mehr Lohn für Erzieherinnen. Die SPD legt Wert auf Demokratieerziehung.
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Schularten
Kaum ein anderes Land hat ein so differenziertes Schulsystem wie Baden-Württemberg. Als jüngste staatliche Schulart kam 2012 unter grünroter Regierung die Gemeinschaftsschule dazu, die an wenigen Standorten auch zum Abitur führt. Sie trat in Konkurrenz zu Werkrealschulen, Realschulen und Gymnasien sowie zu den beruflichen Gymnasien. Das hat zu Streit geführt. Ein Lager schwört auf die „Schule für alle“. Hier könne jeder Schüler nach seinen Fähigkeiten ideal gefördert werden. Gegner verweisen unter anderem darauf, dass viele Eltern von Kindern mit Gymnasial- oder Realschulempfehlung ihre Sprösslinge lieber an diese Schulen schicken. Sie wollen das dreigliedrige Schulsystem stärken.
Die Grünen bekennen sich klar zur Gemeinschaftsschule. Die SPD strebt ein Zwei-Säulen-System aus Gymnasien und Gemeinschaftsschulen an. Die Linke setzt komplett auf Gemeinschaftsschulen und will alle anderen Schularten perspektivisch abschaffen – genauso wie Noten. Diese sollen durch Beurteilungen ersetzt werden. Die AfD bezeichnet Gemeinschaftsschulen als Irrweg. Die CDU plädiert für ein gegliedertes, vielfältiges Schulsystem – genau wie FDP und AfD, die zudem zurück wollen zur verbindlichen Grundschulempfehlung. So weit geht die CDU nicht, sagt aber auch: „Die Grundschulempfehlung braucht wieder mehr Verbindlichkeit.“
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Grüne, SPD und Linke setzen zudem auf Ganztagsschulen. Die SPD will 70 Prozent der Grundschulen bis 2028 auf den Ganztag umstellen und Schülern vom ersten Geburtstag bis zum letzten Schultag eine Ganztagsgarantie bieten. Auch CDU und FDP bekennen sich zum Ganztag – allerdings als flexibles Angebot.
Die SPD will wieder mehr neunjährige Gymnasien zulassen – im Gegensatz zu Grünen und CDU. Die Linke will komplett zurück zum
G9. Für die CDU ist der Leistungsbegriff in der Bildung zentral – ähnlich äußert sich die AfD.
Auch die FDP strebt wieder Spitzenplätze in den Ländervergleichsstudien an, in denen BadenWürttemberg zuletzt abrutschte. Den Leistungsbegriff bemühen auch die Grünen, wollen ihn aber in einem gesellschaftlichen Dialog „Schule 2030“neu definieren. Für SPD und Linken stehen gleiche Bildungschancen für alle im Zentrum.
Beginn dieses Schuljahres unbesetzt. Die AfD befasst sich in ihrem Wahlprogramm nicht mit der Frage, wie der Mangel beseitigt werden soll. Die anderen Parteien sind sich in einem Befund einig: Der Beruf muss attraktiver werden. „Lehrerin oder Lehrer soll eines der begehrtesten Berufsziele für junge Menschen sein“, erklärt etwa die CDU.
Die Grünen wollen mit Gewerkschaften und Verbänden das Arbeitszeitmodell für Lehrer modernisieren – auch Arbeit jenseits von Unterricht soll „realistisch“entlohnt werden. Sie wollen ein freiwilliges pädagogisches Bildungsjahr einführen, um jungen Menschen den Lehrberuf schmackhaft zu machen. Außerdem sollen Lehramtsstudierende in Schulen unterstützend auf Honorarbasis arbeiten dürfen. Das plant auch die Linke. Die SPD will zehn Millionen Euro für zusätzliches Personal bereitstellen, um Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Die FDP will die Zahl der Studienplätze weiter ausbauen und im Studium mehr Unterrichtspraxis integrieren. Die Schulen sollen zudem mehr Spielraum bei der Lehrereinstellung bekommen.
Die SPD will die Krankheitsreserve ausbauen – also den Stab an Lehrkräften, die bei Krankheitsfällen einspringen. Das fordert auch die Linke. Sie möchte zudem Studierenden einen Rechtsanspruch auf ein Referendariat bieten und das Grundschullehramt
LANDTAGSWAHLEN BADENWÜRTTEMBERG 2021
Lehrermangel
Der Lehrermangel macht Schulen bundesweit zu schaffen. Vor allem Grundschulen auf dem Land trifft er hart. Einen Grund sehen Experten in falschen Prognosen zur Entwicklung der Schülerzahlen. Die Politik habe zu spät darauf reagiert. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hat viel getan, auch auf kreativen Wegen, um Personal zu aktivieren. Trotzdem blieben 790 Stellen zu
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stärken. Dann sollen alle Lehrkräfte gleich bezahlt werden.
Linke, SPD und Grüne nennen zudem als Ziel, die Lehrer durch Teamarbeit zu unterstützen. Zu diesen multiprofessionellen Teams sollen etwa Sozialpädagogen, Psychologen und Lerntherapeuten gehören, erklären die Grünen. Starten wollen sie in den Grundschulen – diese sollen zudem mehr Mittel, also vor allem Stellen zugewiesen bekommen, wenn sie eine besonders schwierige Schülerschaft haben. Auch die CDU will „sozial bedingte Unterschiede der Einzugsbereiche der Schulen“stärker berücksichtigen und multiprofessionelle Arbeit zur Unterstützung der Lehrer in den Blick nehmen. Die FDP plädiert derweil für eine Beratung etwa durch Schulpsychologen und Sozialarbeiter.
Inklusion
Welche Schule ist die beste für Kinder mit Förderbedarf, mit geistigen oder körperlichen Behinderungen? Seit 2015 haben diese Kinder das Recht auf einen Platz an einer Regelschule – also auf Inklusion. Das spezielle Bildungsangebot, das ihnen zusteht, können sie an Regelschulen oder an einem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) einfordern – das entscheiden die Eltern.
Zuletzt wählte aber nicht mal jede sechste Familie den inklusiven Weg. Manche Eltern entscheiden sich für ein SBBZ, weil ihnen die Expertise der Sonderpädagogen dort wichtig ist. Andere wünschen sich Inklusion, sehen an den Regelschulen aber zu wenig Unterstützung. Die Rahmenbedingungen für Inklusion an Schulen wollen die Grünen „spürbar verbessern“. Dafür planen sie, wie auch die SPD, ein Zwei-PädagogenPrinzip einzuführen. Das heißt, dass in allen Klassen, in denen Kinder inklusiv beschult werden, neben dem Lehrer ein Sonderpädagoge vor Ort ist. Die Grünen nehmen alle Schulen in die Pflicht: Sie sollen einen Zeitplan erstellen, wie gute Inklusion gelingen kann. Die Linke will sonderpädagogische Schulen überflüssig machen Die CDU pocht auf Wahlfreiheit für Eltern zwischen Inklusion und SBBZ. Die FDP wirbt für die SBBZ, bekennt sich aber auch zur Inklusion. Als guten Mittelweg bezeichnet sie Außenklassen. Dabei werden Klassen von SBBZ und einer allgemeinen Schulen gemeinsam unterrichtet – jedes Kind auf seinem Niveau.
Die AfD fordert „Inklusion mit Augenmaß“. Die „vielen spezialisierten Sonderschulen“böten eine optimale Förderung.
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