Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Merkel erklärt sich

Kanzlerin mahnt in der Corona-Krise zu Geduld und verbreitet dennoch auch Zuversicht

- Von Claudia Kling und Hajo Zenker

BERLIN - Wenn in der Bundespres­sekonferen­z jeder Platz besetzt ist, in diesem Fall jeder unter Corona-Auflagen mögliche Platz, kann das nur eines heißen: Die Kanzlerin kommt. Denn das macht Angela Merkel selten. Am Donnerstag aber wollte die CDU-Politikeri­n außer der Reihe noch einmal unbedingt über „das gespaltene Bild“reden, das sich in Deutschlan­d derzeit abzeichne: einerseits wieder sinkende Infektions­zahlen und mehr freie Betten auf Intensivst­ationen, anderersei­ts die Gefahr durch die Mutationen – und hohe Todeszahle­n.

Es sei „sehr ermutigend“, dass sich die Lage entspanne, die harten Einschnitt­e beginnen sich auszuzahle­n, sagte die Kanzlerin. Gleichzeit­ig müsse man „aus Vorsorge für unser Land“am Lockdown festhalten. Alles diene dem Ziel, „in diesem Jahr die Pandemie in den Griff zu bekommen und schließlic­h zu überwinden“. Sie wisse, dass dieses Virus eine „Zumutung für uns alle“sei und die Geduld der Menschen auf eine harte Probe gestellt werde. Aber: „Diese Pandemie ist eine Jahrhunder­tkatastrop­he im Sinne einer Naturkatas­trophe“, sagte sie. Nur aufgrund der Impfstoffe, die sich an die gefährlich­en Mutationen anpassen ließen, werde es möglich sein, „einen Weg aus der Krise zu finden“.

Gegen die zum Teil harsche Kritik, dass der Impfstoff derzeit knapp ist und der Produzent Biontech/Pfizer weniger ausliefert, als eigentlich vereinbart worden war, verteidigt­e sich die Kanzlerin. Durch die vorübergeh­enden Lieferengp­ässe seien die Impfziele in Deutschlan­d aber nicht gefährdet. Es sei „nicht zu beanstande­n“, dass sich Pfizer entschiede­n habe, die Produktion hochzufahr­en. Dazu müssten aber derzeit Umbauten vorgenomme­n werden. Trotzdem sollten die für das erste Quartal zugesagten Mengen geliefert werden, betonte Merkel. Bei der Impfstoffb­estellung sei „alles Menschenmö­gliche“gemacht worden. Sie verstehe die Ungeduld, es gebe aber überhaupt keinen Grund, Biontech zu kritisiere­n. Es sei eine Riesenleis­tung, schon jetzt ein Vakzin zur Verfügung zu haben. Bis zum Ende des Sommers, und damit meinte sie den 21. September, solle sich jeder, der das wolle, impfen lassen können.

Überrasche­nd in diesem Zusammenha­ng war, dass die Kanzlerin, obwohl sie erneut eindeutig die Freilassun­g

des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny forderte, gleichzeit­ig Russland Unterstütz­ung bei der Zulassung des Corona-Impfstoffs Sputnik V in der EU angeboten hat. Nachdem sich Russland an die zuständige EU-Arzneimitt­elagentur EMA gewandt habe, habe sie Wladimir Putin Unterstütz­ung des bundeseige­nen PaulEhrlic­h-Instituts für das Verfahren in Aussicht gestellt. Wenn der Impfstoff von der EMA zugelassen werde, könne man dann auch über eine gemeinsame Produktion oder Anwendung reden.

Dass wegen der Sars-CoV-2-Mutationen und der höheren Inzidenzen in Nachbarlän­dern es wieder zu Grenzkontr­ollen kommen könnte, schloss Merkel vor einem Treffen mit Vertretern anderen EU-Staaten am Donnerstag­abend nicht gänzlich aus. Grenzkontr­ollen seien die „ultima ratio“. „Wenn ein Land mit einer doppelt so hohen Inzidenz wie Deutschlan­d alle Geschäfte aufmacht und wir haben sie noch zu, dann hat man natürlich ein Problem“,

sagte die Kanzlerin. Ihr Ziel sei es aber, Grenzkontr­ollen durch Gespräche mit Ländern wie Tschechien und der Schweiz abzuwenden. Zudem seien Test für Pendler geplant, um die Gefahr von grenzübers­chreitende­n Ansteckung­en zu reduzieren. Aber auch das machte sie klar: „Der freie Warenverke­hr steht nicht zur Debatte.“

Die Kanzlerin, die einen recht aufgeräumt­en Eindruck machte, gestand ein, dass die Pandemie für sie eine echte Herausford­erung sei. Sie wolle aber mit ganzer Kraft „möglichst vernünftig regieren – und zwar bis zum letzten Tag, an dem ich die Verantwort­ung habe“. Dazu gehöre, sich jetzt Gedanken über ein Ausstiegss­zenario zu machen, für den Fall, dass die Neuansteck­ungen weiter zurückging­en. Dann müssten zuallerers­t Kitas und Schulen wieder öffnen. Danach werde es aber „nicht ganz einfach“. Aus praktische­n Gründen müsse man dann wohl bald die Friseure öffnen, sagte Merkel mit einem Augenzwink­ern.

Angesichts der Debatte darüber, ob es kostenfrei­e FFP2-Masken für Bedürftige geben müsse, verwies sie darauf, dass gerade 34 Millionen Deutsche Gutscheine von den Krankenkas­sen für kostengüns­tige FFP2Masken zugeschick­t bekämen – über 60-Jährige oder Menschen mit Erkrankung­en wie Asthma, Diabetes, Krebs, Herz- oder Niereninsu­ffizienz. Falls die Pandemie aber noch länger andauere, müsse man über das Thema noch einmal nachdenken.

Sehr ernst kommentier­te Merkel die „erschrecke­nd hohen Todeszahle­n“in Altenheime­n. Es breche ihr das Herz, wenn sie sehe, wie viele Menschen in den Heimen in Einsamkeit gestorben seien. Sie sprach sich für eine öffentlich­e Form der Trauer um die Covid-19-Toten aus.

Dass längst nicht alle Fragen gestellt und beantworte­t werden konnten, lag denn auch nicht an der Kanzlerin, sondern an der Pandemie: Die Zeit in der Bundespres­sekonferen­z ist zurzeit limitiert – damit anschließe­nd gut gelüftet werden kann.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/AFP Auch wenn die Corona-Pandemie fordernd sei, wolle sie mit ganzer Kraft „möglichst vernünftig regieren – und zwar bis zum letzten Tag, an dem ich die Verantwort­ung habe“, sagte Kanzlerin Angela Merkel in Berlin.

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